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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

550–552

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wagner, Andreas

Titel/Untertitel:

Beten und Bekennen. Über Psalmen.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2008. X, 358 S. 8°. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-7887-2241-8.

Rezensent:

Beat Weber

Der Band enthält in der Mehrzahl bereits publizierte Beiträge zu Psalmen und mit ihnen verwandten Themen des an der Theologischen Fakultät Bern lehrenden Alttestamentlers. Der Vf. hat sich einen Namen gemacht durch Studien zur hebräischen Linguistik und Pragmatik, insbesondere durch Erschließung biblischer Texte anhand der Sprechakttheorie. – Im Einzelnen handelt es sich um folgende, unter vier Themen arrangierte Beiträge:
Sprechen zu Gott – Sprechen über Gott. Die Psalmen zwischen Gebet und lehrhaft-bekenntnishafter Aussage, aufgezeigt am Sprechrichtungswechsel (2./3. Pers.) im Psalter (3–19); Funktionen einer Sammlung – Hohes Lied und Psalter (21–46); Die Stellung der Sprechakttheorie in Hebraistik und Exegese (49–75); Der Lobaufruf im israelitischen Hymnus als indirekter Sprechakt (77–88); Bekennen. Zur Analyse eines religiösen Sprechakts (89–95); Ps 91 – Bekenntnis zu Jahwe (97–122); Permutatio religionis – Ps. cxxxix und der Wandel der israelitischen Religion zur Bekenntnisreligion (123–143); Ist Ps 29 die Bearbeitung eines Baal-Hymnus? (147–148); (Mit Johannes F. Diehl und Anja A. Diesel) Von der Grammatik zum Kerygma. Neue grammatische Erkenntnisse und ihre Bedeutung für das Verständnis der Form und des Gehalts von Psalm xxix (149–171); Zum Textproblem von Ps 29,9. Überlegungen zum Plural der Nomina collectiva und der Pflanzennamen im biblischen Hebräisch und ihre Bedeutung für das Verständnis von Ps 29,9 (175–195); (Mit Anja A. Diesel) »Jahwe ist mein Hirte.« Zum Verständnis der Nominalen Behauptung in Ps 23,1, (197–215); Segnen im Alltag des Alten Israel (217–220); Dichten und Denken. Zum Verständnis des ›Personenwechsels‹ in alttestamentlicher, ugaritischer und verwandter Literatur (223–234); Der Parallelismus membrorum zwischen poetischer Form und Denkfigur (235–261); Gottes Konturen in der Sprache. Körper und Emotionen Gottes in Psalmen und Kirchenliedern (265–287); Körperbegriffe als Stellvertreterausdrücke der Person in den Psalmen (289–317); Literatur, Stellenregis­ter, Nachweis der Erstveröffentlichungen (321–358).
Nachfolgend sollen lediglich die beiden Originalbeiträge dieses Bandes sowie der stark erweiterte, an zweiter Stelle publizierte Aufsatz referiert werden.
In der ersten Studie unternimmt es der Vf., die in den Psalmen zum Tragen kommenden wesentlichen Dialogrichtungen zu erörtern. Er differenziert drei Kommunikationsebenen: 1. Gemeinde/ Kultteilnehmende – Gott; 2. Sprecher des Gebets – Gemeinde/Kultteilnehmende; 3. Mitglieder der Gemeinde bzw. Kultteilnehmende untereinander, die gemeinsam sprechen und das gemeinsame Sprechen erleben. Das »Gebet« lässt sich gemäß dem Vf. als »mehrfachadressiert« verstehen. Mit Ausnahme der Hymnen findet sich öfters ein Changieren zwischen 2. und 3. Person. Der Wechsel vom Du-Gebet zur Er-Rede ist mit Momenten der (Selbst-)Reflexion verbunden. Eine tabellarische Zusammenstellung von Anredestrukturen und Sprechrichtungswechseln macht deutlich, dass Sprechrichtungswechsel häufig sind und »den Psalter insgesamt zu einem deutlich mehrfachadressierten und multifunktionalen ›Großtext‹« (18) machen.
Im zweiten Beitrag geht es um das Zueinander von Textteilen und Buchganzem im Blick auf Hohes Lied und Psalter. Der Vf. analysiert Untergliederungsmarker und Scharnierstellen des Canticum und gelangt zum Fazit, dass Zäsuren weithin registriert, aber oft unterschiedlich bewertet werden. Übergreifende Strukturen werden kritisch beurteilt, da sie über die Textstruktur hinaus keine Sinnstruktur aufzuweisen vermögen. Der Blick auf andere altorientalische Liebeslyrik bestätigt dem Vf. die Annahme einer »lo­ckeren Komposition«, zumal sich das Thema gleichsam der Ordnung entzieht: »Liebe ist nicht systematisierbar« (40). Als mit dem Canticum vergleichbar wird der Psalter als »Sammlung von Sammlungen« eingestuft. Auch beim Psalter stehen Beziehungs- und Gefühlsaspekte im Vordergrund, und diese Offenheit und Vielfältigkeit entspricht einer »Sammlung« und nicht einer systematisierten Komposition.
Argumentationsführung und Schlussfolgerungen (insbesondere was den Psalter betrifft) dieses Beitrags sind nach Ansicht des Rezensenten problematisch. Wenn der Vf. schreibt, dass die dargebotene Sammlung (Canticum) nur eine realisierte Möglichkeit der Anordnung darstellt, aber Raum lässt, dass es ganz anders sein könnte, so mag man dem zustimmen. Allerdings ergibt sich von einer Eventualität her keine Relevanz für das Faktum, nämlich das vorliegende Buch in seinem So-und-nicht-anders-geworden-Sein adäquat zu verstehen und zu beschreiben. Auch die Logik, dass Liebeslieder und »Beziehungstexte« wie die Psalmen nicht systematisierbar sind und sich damit der Annahme einer durchgestalteten Komposition entziehen, ist fragwürdig – man denke nur an die Threni mit ihren »chaotischen« Sachverhalten und – gegenläufig dazu – ihrer hochgradigen Ordnung (alphabetische Akrostichie!).
Im letzten Beitrag unternimmt es der Vf., Bezeichnungen des »Körpers« in den Psalmen als Stellvertreterbegriffe für die Person zu untersuchen. Einschlägige Stellen zu Begriffen wie »Hand«, »Ge­sicht«, »Auge«, »Kehle, Hals«, »Kopf« etc. werden erläutert und die damit verbundenen Spezifika bestimmt, z. B. »bei Hand geht es dabei in der Regel um die Akzentuierung der Macht und der Handlungsmöglichkeit« (298). Entsprechend ergibt sich das Postulat, bei Übersetzungen nicht einnivellierende pronominale oder den Leibaspekt vermeidende Begrifflichkeit zu verwenden, sondern den mit den anthropologischen Bezeichnungen eingebrachten Aspekten sorgfältig Rechnung zu tragen. Dem kann nur beigepflichtet werden!
Dem Sammelband, der sich den Psalmen unter den Leitkate­gorien »Beten« und »Bekennen« widmet, ist eine gute Aufnahme in der Psalmenforschung und darüber hinaus zu wünschen. Insbesondere von der sprechakttheoretischen Kompetenz des Vf.s ist bei der Erfassung der komplexen dialogischen Strukturen in den Psalmen und im Psalter viel zu lernen.