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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

548–550

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmitz, Barbara

Titel/Untertitel:

Prophetie und Königtum. Eine narratologisch-historische Methodologie entwickelt an den Königsbüchern.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XII, 462 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 60. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16- 149665-3.

Rezensent:

Wolfgang Oswald

Die Arbeit wurde im Jahr 2008 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg als Habilitationsschrift angenommen und umfasst fünf Hauptkapitel. Das erste bietet den »Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie«, das zweite einen Überblick über die Komposition der Königsbücher, dann folgen zwei Kapitel »close reading« zu 1Kön 13 und zu 1Kön 22, das letzte Kapitel bietet Überlegungen zur Autorschaft dieser beiden Kapitel und des dtr Geschichtswerkes. Textpräparationen, Literaturverzeichnis, Stellen-, Namen- und Sachregister beschließen den Band.
Der erste Hauptteil entfaltet eine Methodologie der Erzähltextanalyse, ein Unterfangen, das in der alttestamentlichen Wissenschaft nicht zum ersten Mal durchgeführt wurde. Man wäre interessiert zu erfahren, inwiefern sich das hier Gebotene nach S.s Ansicht von dem unterscheidet, was Schweizer, Bar-Efrat, Hardmeier, Utzschneider und andere vor ihr entwickelt haben, doch äußert sie sich dazu nicht. Nach Einschätzung des Rezensenten ist der letzte Abschnitt des methodologischen Kapitels der innovativste, der sich unter der Überschrift »Autorfunktionen und Autorfigurationen« mit der literaturwissenschaftlichen Rehabilitierung der Kategorie des Autors befasst. Darin zeigt S. auf, wie unter Vermeidung von Fehlansätzen in rechter Weise vom Autor gesprochen werden kann: »Ausgangspunkt sind die Spuren im Text, die dem ›Autor‹ als Verfasser und Textproduzenten zugesprochen werden können« (85). Bestimmte Aspekte eines Textes werden gemeinhin dem Autor als textexterner Instanz zugesprochen und diese Funktionen können aus jedem Text erhoben werden: Auswahl, Gestaltung, Selektion, Bedeutung und Intention, Erkenntnis, Innovation und raum-zeitliche Fixierung (86–94). Die spezifische Ausprägung dieser Funktionen bildet die »Autorfiguration« (95–100) und deren Auswertung lasse methodisch kontrollierte Schlussfolgerungen über den Autor eines Textes zu.
In den beiden exegetischen Kapiteln zur Erzählung vom Gottesmann aus Juda (1Kön 13) und zur Erzählung von Micha ben Jimla (1Kön 22) stehen aber zunächst narratologische Analysen im Vordergrund. S. geht den Text Satz für Satz durch, indem sie in erster Linie die »Erzählstimme« und die verschiedenen Weisen der »Fokalisierung« beschreibt. Der gemeinsame Nenner dieser beiden Texte sei die Frage nach der Eindeutigkeit von Prophetie sowie die Zuordnung von Prophetie und Königtum. In 1Kön 13 würden zwei einander widersprechende Gottesworte nebeneinandergestellt und die Erzählstimme beurteile als Metainstanz, welches echt und welches Lüge sei. Demgegenüber stelle 1Kön 22 drei Versionen eines Gotteswortes nebeneinander, ohne dass die Erzählstimme eine Wertung äußere: »Damit werden die Lesenden zu einer Positionierung herausgefordert« (397). Beide Erzählungen demonstrierten, dass »das Wort JHWHs … nicht einfach ›objektiv‹ vorliegt, sondern in seinen vielfältigen Formen erforscht und auch erstritten werden will« (398). Die Zusammenstellung der Texte unter dieser Fragestellung und die differenzierende Interpretation sind – auch wenn man nur teilweise zustimmen kann – theologisch sehr anregend.
Nun will aber S. bei literarischen Analysen nicht stehen bleiben, sondern in Anwendung der eingangs entfalteten Methodologie die »Autorfigurationen« der Texte ermitteln. Sie konstatiert zu Recht eine große Distanz zwischen Autor und erzähltem Ereignis, denn die Hauptakteure würden prototypisch dargestellt: Der König von Israel in 1K 22 sei »Projektionsfläche für jeden x-beliebigen König Israels« (355), während in 1Kön 13 der »Gottesmann für Juda und der Prophet für Israel« stehe (371).
Die Ankündigung der Zerstörung des Altars (1Kön 13,2) bezieht S. auf 2Kön 23,15–20: »Eine weitere Antizipation ist die detaillierte Schilderung der zukünftigen Ereignisse der realen Profanierung des Altars von Bet-El durch Joschija (1Kön 13,2). Damit ist die Erzählstimme klar in der Zeit Joschijas zu verorten …« (220). Mit »real« scheint hier »historisch« gemeint zu sein, denn mehrfach spricht S. davon, dass 1Kön 13 die Taten Joschijas legitimiere (219 u. ö.). Nun wird in der jüngeren Forschung der historische Kern des in 2Kön 23 Erzählten meistens in 23,4–15 vermutet und gerade nicht in 2Kön 23,16–20. S. äußert sich dazu nicht, ebenso gibt sie keine Begründung für ihre Auffassung, 2Kön 23,15–20 sei literarisch einheitlich. Sie scheint vielmehr vorauszusetzen, dass hier ein einheitlicher Bericht über historische Maßnahmen Joschijas vorliegt. Daraus folgert S.: »Die Kontextualisierung von 1Kön 13 in 2Kön 25,15–20 ermöglicht eine über die textinterne, fiktionale Textwelt hinausgehende epochenspezifische und historische Verortung im Sinne eines terminus a quo. Mit anderen Worten: Die ›joschijanische‹ Erzählstimme weist auf eine ›joschijanische‹ Autorfunktion hin …« (382). Man liest und staunt, denn aus dem terminus a quo wird im nächsten Satz unter der Hand der terminus in quo. Schließlich meint S., diese Schlussfolgerungen würden das DtrG-Modell von Frank Cross belegen, wonach eine erste Ausgabe des DtrG, die in 2Kön 23,25a geendet habe, unter Joschija entstanden sei (394). Das Problem ist nicht nur der Fehlschluss vom terminus a quo auf den terminus in quo, sondern sehr viel grundlegender, dass die gesamte autorenbezogene Argumentation von Anfang an voraussetzt, was sie zu beweisen vorgibt: 2Kön 23,15–20 legitimiere historische Ereignisse und müsse daher aus joschijanischer Zeit stammen. Ob sich das Cross’sche Modell mit solchen Beweisführungen retten lässt?
Die Autorschaft von 1Kön 22 will S. mit Hilfe kompositionsgeschichtlicher Überlegungen begründen (373–379). Die Verbwurzel puz (zerstreuen) würde im Königebuch neben 1Kön 22,17 nur noch in 2Kön 25,5 verwendet, 2Kön 25 erweise sich daher als Erfüllung der Vision Micha ben Jimlas. Zudem erschienen die Wortfelder »weiden, hüten; Hirte« neben 1Kön 22 nur noch in 2Sam 7,5–16. So gebe es zwar keine direkten Bezüge zwischen 2Sam 7 und 2Kön 25, diese entstünden jedoch »wenn man 1Kön 22 als Verbindung versteht« (377). 1Kön 22 reflektiere die Situation Judas unter Jojachin: »Weder das (davididsche) Königtum wird seinem Hirtenamt gerecht, noch kann die Prophetie eindeutig das Wort JHWHs vertreten« (377). Der Aufruf am Ende von 1Kön 22, »jeder Einzelne« solle »in seine Stadt und in sein Land zurückzukehren« (378), drücke die Hoffnung auf Exilsheimkehr aus. Der Verfasser des Endtextes von 1Kön 22 sei derselbe wie der Verfasser der Begnadigung Jojachins 2Kön 25,27–30 (390), nämlich Dtr 2 im Sinne des Modells von Cross (394). Hier hängt alles daran, ob man den aufgeführten Lexemverteilungen dieselbe kompositionsgeschichtliche Signifikanz beimisst wie S.
So interessant die texttheoretische Rehabilitierung des Autors und so anregend das »close reading« der beiden Kapitel aus dem Königebuch auch sind, so defizient erscheint die abschließende Umsetzung im Sinne einer »historische(n) Fundierung einer narratologischen Methodologie« (9). Der theoretische Analyserahmen muss viel weiter gefasst sein, so dass etwa die Möglichkeit, dass in 1Kön 13 und 2Kön 23,16–20 die längst idealisierte, literarische Gestalt des Königs Joschija im Rahmen einer Debatte über Bethel instrumentalisiert wird, nicht von vornherein ausgeschlossen ist.