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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

545–548

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lamb, David T.

Titel/Untertitel:

Righteous Jehu and His Evil Heirs. The Deuteronomist’s Negative Perspective on Dynastic Succession.

Verlag:

Oxford: Oxford University Press 2007. XVI, 304 S. 8° = Oxford Theological Monographs. Geb. £ 55,80. ISBN 978-0-19-923147-8.

Rezensent:

Klaus-Peter Adam

Von Jehus überraschend positiver Darstellung in 2Kön 8–10,36 heben sich alle anderen Nordreichkönige ab, auch seine dynastischen Nachfolger Joahas, Joasch, Jerobeam II und Sacharja. David T. Lamb hält diese Spannung zwischen positiver Wertung des Dynas­tiegründers Jehu und der Abwertung seiner dynastischen Nachfolger für erklärungsbedürftig und macht sie zum Ausgangspunkt seiner Arbeit (Dissertation, betreut von S. Gillingham, Ox­ford). L. erklärt die Diskrepanz vor allem durch dtr Redaktion. Redaktionsgeschichtlich rechnet L. mit einer Entstehung des DtrG mit nur einem exilischen Dtr (Noth/McKenzie 1994; bis 2Kön 25,26; jedoch vor 582 v. Chr.) (8). Zwar sei die positive Wertung des Dynastiegründers Jehu bereits in den Quellen vorgegeben, doch verstärke der Dtr diese und er sei auch verantwortlich für die auffällige Abwertung der dynastischen Nachfolger Jehus. Nach einer forschungsgeschichtlichen Diskussion (Knott, Minokami, Mulzer, Gugler, Barré, White, S. Otto, Ishida) grenzt L. eine Jehu-Erzählung des DtrG ab: 2Kön 9,1–10,36; 13,1–25; 14,8–29; 15,8–12. Als Seitentexte behandelt L. 1Kön 19,16–17; 2Chr 22,7–9; 25,17–24; Hos 1,1.4; Am 7,9–11 (11).
Dtrs redaktionelle Strategien zur Legitimation Jehus (Kapitel 2) seien in Hervorhebungen positiver Aspekte Jehus zu erkennen, wie z. B. seiner rechtmäßigen göttlichen Erwählung, der prophetischen Salbung sowie seines Gehorsams. Zum anderen (ver-)kürze bzw. entschärfe der Dtr negative Aspekte wie die Herkunft Jehus, Ge­bietsverkleinerungen und auf Grund assyrischer Quellen ge­mutmaßte Tributleistungen Israels unter Jehu an Salmanassar III (2.7). Ferner spreche die Menge des Materials von 73 Versen für Dtrs Wertschätzung des Jehu. Der Dtr kürze darüber hinaus belastendes Material, indem er Jehu positiv unter den Nordreichkönigen werte in 2Kön 10,36 (2.1.2; vgl. Tabelle 2.1B); ihn als Putschisten gegen die Omriden von diesen dadurch abrücke (2.2). U. a. die Auffälligkeit, dass nur Jehu und Jerobeam in direkter Rede berufen werden (2Kön 10,30; 1Kön 14,9), sei nicht erklärbar durch die generell bessere Bewertung judäischer gegenüber israelitischen Königen im DtrG. Diese positive Haltung des Dtr gegenüber Jehu will L. durch dessen Tendenz zu Gunsten eines (weit definierten) Ideals des berufenen »charismatischen« Führers erklären (Kapitel 3). David und Jehu teilten die meisten positiven Ähnlichkeiten als charismatische Könige, die der Dtr positiv bewerte: Salbung, Wahl, Erscheinungen des Gottesgeistes, heroische Feldzüge, Unterstützung im Volk sowie Davids direkte Kommunikation mit JHWH (130.131–151).
Die Spannungen zwischen dtr Abwertung der Nachfolger Jehus im Vergleich zur positiven Wertung des Dynastiegründers gehe auf den Dtr zurück (Kapitel 4): Während die 74 Jahre der Herrschaft der Nachfolger in der Jehu-Dynastie durchaus deren positive Wertung nahelegten, sei deren Beurteilung in mehrerer Hinsicht auffällig: So komme es zu den Diskrepanzen in den Darstellungen der Nachfolger Jehus: Joahas sei der einzige negativ beurteilte Herrscher, dessen Gebet gleichwohl beantwortet werde (2Kön 13,3–7; mit 13,4a ältere Quelle, 13,3.4b–5a dtr). Joasch und Jerobeam II. seien die einzigen Herrscher, die prophetische Unterstützung erhielten (Elisa 2Kön 13,19; Jona 2Kön 14,25). Alle drei Jehu-Nachfolger würden darüber hinaus negativ beurteilt, seien jedoch militärisch erfolgreich. Joahas könne die unter Jehu begonnene aramäische Unterdrü­ckung beenden; Joasch schlage Ben-Hadad von Aram und Amazia von Juda; Jerobeam II restituiere nach Jonas Weissagung das israelitische Königreich in den Grenzen des davidischen Reiches (2Kön 14,25). Das negative Urteil über die Nachfolger Jehus auf dem israelitischen Thron führt L. auf Grund der Hochschätzung Jehus als Dynastiegründer nicht auf einen generellen anti-israelitischen Ton zurück, sondern auf Tendenzen des Dtr zu Gunsten erwählter (charismatischer) und zu Lasten von lediglich dynastisch legitimierten Nachfolgern.
Die Kritik des Dtr gegenüber Jehus Nachfolgern erklärt L. (Kapitel 5) mit dessen genereller Ablehnung der dynastischen Sukzession. Seine Darstellung stelle die dynastische Sukzession grundsätzlich in Frage und verstehe Königsherrschaft grundsätzlich als Lohn für Gehorsam. In gleicher Weise schließe der Dtr dynastische Beurteilungen als Erklärungen für die Kürze von Dynastien ein. Usurpatoren ohne Nachfolger bedürften daher keines Orakels, da das Geschichtsbild des Dtr für diese negativ beurteilten Herrscher keine andauernde Herrschaft vorsehe. Im DtrG gebe der Dtr mehr Herrschern negative dynastische Beurteilungen als Dynastiezusagen, nehme diese jedoch sofort wieder zurück (Salomo und Jerobeam). Der Dtr wiederhole dieses anti-dynastische Muster (einer Eingrenzung der Dynastiezusage) in der Jehu- und in der Daviddynastie und bilde die Verwerfung von Dynastien darüber hinaus in vorkönigszeitlichen Dynastiebildungen von Gideon, Eli und Sa­muel ab. Im Muster des Dynastieabbruchs zeige sich die Skepsis des Dtr gegenüber der dynastischen Sukzession: dynastische Führer beurteile der Dtr grundsätzlich negativ und bevorzuge demgegenüber charismatische Führer. Dies wiederum erkläre die Aufwertung der Figur des Dynastiegründers Jehu sowie die Abwertung seiner militärisch erfolgreichen dynastischen Nachfolger.
Als Rezipienten der subversiven Dynastiekritik des Dtr be­stimmt L. die Gemeinde der beginnenden Exilszeit, die gegenüber bloßer dynastischer Sukzession die Erwählung des einzelnen Kö­nigs sowie dessen Gehorsam betone.
Jenseits der unmittelbaren Ergebnisse für die Jehu-Überlieferung hält L. fest, dass (unter Ausblendung literarkritischer Einzelheiten) die dtr Bearbeitung der Jehu-Überlieferung eine teils unabhängige Entstehungsgeschichte von Sam-Kön von Jos-Ri bestätige (260 f.). Sie widerlege ferner eine prodavidisch/antidynastische Redaktionsfolge (Cross). – 24 tabellarische Übersichten zu Einzelbefunden in assyrischen und biblischen Quellen, die klar benannte Fragestellung sowie der konzise Stil und die breite Diskussion von Sekundärliteratur zeichnen die Monographie aus, die eine ausführliche Bibliographie, ein Stellen- sowie ein Autorenregister beschließen.
Insgesamt stellt L. überzeugend kontextuelle, historische und re­daktionsgeschichtliche Zugänge zur Jehu-Überlieferung dar und wird damit seinem (gegenüber Davies, Thompson) formulierten Ziel der Beschreibung der »Historizität« der Jehu-Überlieferung als einer israelitischen Dynastie des 9. Jh.s (11) gerecht; insbesondere bei der Darstellung der assyrischen Quellen gelingt dies gut (29–40). Sachgerecht und unter Berücksichtigung vieler Quellen zeichnet L. die israelitisch-judäische Ausprägung der altorientalischen Königsideologie am Beispiel Jehus und seiner Dynastie nach, vgl. zur Dauer der Königsherrschaft (164–177), zum militärischen Erfolg (177–179) und zur dynastischen Sukzession (206–219) als Beurteilungskriterien der Herrscher. Auch die Bearbeitung von weniger zentralen Einzelfragen, z. B. nach der Möglichkeit einer biologischen Abstammung Jehus von Omri, 27–29.41, schmälert dieses Verdienst nicht.
Redaktionsgeschichtlich ist L.s Beschränkung auf nur einen exilischen Dtr (2–8) als Kontrapunkt in Zeiten intensiv betriebener Atomisierung der dtr Redaktionen durchaus reizvoll und erfrischend, wenngleich sich im Einzelnen Fragen stellen: vgl. die Zuordnung von 2Kön 13,3.4b–5a zu DtrH 183; oder die Zuordnung der Orakel über die »Leuchte für David« 1Kön 11,36; 15,4; 2Kön 8,19; (zu ergänzen wäre 2Sam 21,17*) zu DtrH 228–230. Dass möglicherweise (teils) prophetische Trägerkreise die Jehu-Überlieferung bearbeitet haben könnten, wie besonders in Auseinandersetzung mit der dynastischen Sukzession der Davididen anzunehmen ist (130–154; vgl. zu 2Kön 14,25: 197–198; oder im Bereich 2Kön 9,1–6*.10b.11–12; 10,18–27*), will L. trotz der eingestandenen Nähe zur Prophetie nicht folgern (56.153.187–204), so dass DtrH stark prophetische Züge erhält.
Ein Hauptverdienst L.s liegt darin, dass er das Augenmerk auf Jehus herausgehobene Stellung in der dtr Geschichtsschreibung richtet. Ob sich die Einschätzung, der Dtr bewerte zwar den Dy­nastiegründer Jehu positiv, er bevorzuge auf Grund seiner Ge­schichtstheologie jedoch charismatische, von JHWH erwählte Herrscher und stehe Dynastien an sich kritisch gegenüber, verallgemeinern lässt, wird sich in der Diskussion zeigen. Angemerkt sei allerdings, dass durch L.s Konzentration auf die Jehu- und die David-Dynastie andere Dynastien und Jehus Verhältnis zu ihnen in den Hintergrund treten, wie L. selbst einräumt (261).
Jehus Funktion als Putschist gegen die wegen ihrer Vorherrschaft über Juda verhassten Omriden misst L. für seine Fragestellung wenig Bedeutung zu; vgl. zur Aufwertung Jehus aus diesem Grund 2.5.2; 91–102. In Kön dürfte allerdings (anders Hos 1,4) Jehus Gewalttätigkeit zunächst weniger entscheidend sein (vgl. 81–92.97–99) als sein faktischer Erfolg gegen die Omriden. Als Usurpator hat Jehu Israel vorübergehend geschwächt, da er vermutlich die Hilfe eines aramäischen Verbündeten in Anspruch nahm (vermutlich Hasael von Damaskus; vgl. in Interpretation der Tel Dan-Stele W. Schniedewind, BASOR 302, 83–85; Wesselius; S. Otto u. a. – L., 106–110, folgert aus Dtrs Nichterwähnung eines möglichen Bündnisses Jehus mit Aram wiederum Dtrs Aufwertung des Jehu). Auch wenn Jehu die Omriden ohne fremde Hilfe stürzte: Der durch die Territorialverluste belegte Schaden, den er dem omridischen Israel zufügte, ist ein gewichtiger Grund für Jehus Wertschätzung aus judäischer Sicht. Die positive Wirkungsgeschichte dieser Entspannung für Juda in späteren prophetischen Kreisen könnte vor allem in der Akzentuierung von Jehus offensiver Religionspolitik gegen die Baalspropheten liegen; vgl. die Zuweisung im Schichtenmodell von 2Kön 10,34–35 zu DtrH; 10,28(29–33?) DtrN; bzw. DtrP/DtrN in 10,18–27 z. B. durch Würthwein.
Auch wenn man L. im Blick auf eine grundsätzliche Dynastiekritik des Dtr nicht folgen will, so ist doch sein ebenso sachkundiger wie bedenkenswerter Beitrag zur Jehu-Überlieferung anzuerkennen.