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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

541–543

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Ed. by H. W. Guggenheimer

Titel/Untertitel:

The Jerusalem Talmud. Edition, Translation, and Commentary. Third Order: Nasim.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter. Tractate Yebamoth. 2004. XII, 671 S. gr.8° = Studia Judaica. Forschungen zur Wissenschaft des Judentums, 19. Lw. EUR 148,00. ISBN 978-3-11-018291-0. Tractates Sotah and Nedarim. 2005. XIII, 761 S. gr.8° = Studia Judaica. Forschungen zur Wissenschaft des Judentums, 31. Lw. EUR 188,00. ISBN 978-3-11-018668-0. Tractate Ketubot. Sixth Order: Taharot. Tractate Niddah. 2006. XIII, 727 S. gr.8° = Studia Judaica. Forschungen zur Wissenschaft des Judentums, 34. Lw. EUR 178,00. ISBN 978-3-11-019033-5. Tractates Gittin and Nazir. 2007. XIII, 767 S. gr.8° = Studia Judaica. Forschungen zur Wissenschaft des Judentums, 39. Lw. EUR 178,00. ISBN 978-3-11-019459-3. Tractate Qiddusin. 2008. IX, 425 S. gr.8° = Studia Judaica. Forschungen zur Wissenschaft des Judentums, 43. Lw. EUR 118,00. ISBN 978-3-11-020290-8.

Rezensent:

Andreas Lehnardt

Die von mir bereits in ThLZ 127 [2002], 1172–1174; ThLZ 130 [2005], 249–252, festgehaltenen kritischen Bemerkungen zur Textgrundlage, Parallelenberücksichtigung und Vokalisation der nun weit fortgeschrittenen Talmud Yerushalmi-Ausgabe und -Übersetzung von Heinrich W. Guggenheimer seien hier zunächst in Erinnerung gerufen. Die Bearbeitung beruht nun vollständig auf der 2001 von Yaakov Sussman im Auftrag der Academy of the Hebrew Language herausgegebenen emendierenden Edition der einzigen vollständigen Handschrift dieses wichtigen rabbinischen Sammelwerkes.
Berücksichtigt werden auch Einbandfragmente sowie Geniza-Fragmente, teilweise sogar solche, die bislang unveröffentlicht ge­blieben sind (vgl. Introduction to Qiddušin, 6), wobei Lesarten übernommen werden, die in der von Y. Sussman erstellten Edition von Handschrift Leiden veröffentlicht wurden, ohne dass sich diese bislang alle überprüfen ließen. In der Übersetzung des Traktates Qiddushin werden immerhin zwei noch unpublizierte Geniza-Fragmente herangezogen, die auch mit ihren Siglen im Vorwort genannt werden (6). In der Regel unberücksichtigt bleiben Zitate aus der mittelalterlichen jüdischen Literatur, wie sie teilweise einmal von B. Ratner, Ahavath Zion we-Jerusholaim, Wien 1913, Nachdruck Jerusalem 1966/67, gesammelt wurden. In der Übersetzung des Traktates Qiddu šin wird dann ein kritischer Apparat zu einigen Halakhot geboten, die Sigla im Index werden aber ungenau aufgelöst, was keine genaue Überprüfung der Lesarten, die zusätzlich in den Anmerkungen erläutert werden, ermöglicht. Im Traktat Yevamot (622) wird der Text dagegen direkt in der Vorlage der Übersetzung verbessert, was zwar durch eckige Klammern kenntlich gemacht ist, aber wieder eine andere Editionstechnik darstellt. Verwirrend ist auch die Verzeichnung der parallelen Texte im Yerushalmi, die zumindest teilweise mitberücksichtigt werden. In dem Band mit den Bearbeitungen von Ketubbot und Nidda werden dann sogar regelmäßig Lesarten aus den Parallelen mitgeteilt, da »parallel passages are to be considered as witnesses to the same original text« (Ketubot, V); auch dies ermöglicht allerdings nicht in allen Fällen eine sinnvolle Rekonstruktion des an vielen Stellen korrupten Textes (vgl. Ketubot, 486).
Zum Inhalt der einzelnen Bände: Der Traktat Yevamot behandelt die Gebote der Leviratsehe (Dtn 25,5–9), die in einem eigenartigen Gegensatz zum Inzestverbot mit der Schwägerin (Lev 18,16) stehen. Ein Kind, welches aus einer solchen Verbindung hervorgeht, gilt als Bastard, mamzer, der von der Heirat mit einem Juden aus­geschlossen ist (Dtn 23,3). G. geht davon aus, dass die auf der Mischna basierende Yerushalmi-Interpretation dieses offensichtlichen Widerspruchs eine antisadduzäische Haltung reflektiere, da sich Verbote der Vielehe auch in Schriften aus Qumran fänden. Ein großer Teil des Traktates behandelt die Haliza, d. h. die Verweigerungszeremonie der Leviratsehe. Ein weiterer Abschnitt zeigt die Möglichkeiten für eine Frau, in eine priesterliche Familie aufgenommen zu werden (Lev 22,10–13). – Der Traktat Sota erläutert die in Num 15,11–31 ausgeführten Gebote bezüglich der des Ehebruchs verdächtigten Frau. Aus Sicht der Rabbinen geht es dabei nur um theoretische Fragen, da das Num 5,11–31 beschriebene Ordal be­reits in der Zeit des Tempels außer Übung kam. – Der Traktat Nedarim behandelt die rabbinischen Kommentare zu Num 30 und Erläuterungen zu den abzuleitenden Bestimmungen. Es finden sich Definitionen von Gelübden, die auch für das Verständnis neutestamentlicher Texte von Belang sind. Bemerkenswert ist eine längere Anmerkung zu Mt 15,5 in dem Kommentar zu yNed 1,1 (ed. Guggenheimer, 426). – Der umfangreiche Traktat Ketubot behandelt alle finanziellen Aspekte der Heirat. Eine Hochzeitsurkunde (»ketubah« – so von G. transkribiert!) be­schreibt die Verpflichtungen des Mannes gegenüber seiner Frau. Es wird die Frage der Mindestsumme für eine Jungfrau erörtert oder wie die Ketuba beschaffen sein muss. Bemerkenswert sind die Erläuterungen zu der schwie­rigen Mischna Ketubbot 10,4, die G. als kundigen Mathematiker ausweisen (473–478). – Der Traktat Nidda, von der Menstruierenden, ist vermutlich der einzige erhaltene Traktat der siebten Ordnung (Toharot) im Yerushalmi. Im Unterschied zum Bavli enthält er Gemara nur bis Pereq 4,1, danach brechen Ms Leiden und alle anderen Textzeugen ab. Anhand der einschlägigen Bibelstellen Lev 12,1–8; 15,19–30; 18,19 erläutert er die Reinheitsvorschriften im Zusam­menhang mit der Men­strua­tion und dem Wochenbett. – Die beiden bislang in keiner deutschen Übersetzung vorliegenden Traktate Gittin und Nazir aus der dritten Ordnung der Mischna be­handeln Scheidebriefe und das Naziräat, d. h. eine durch Gelübde geheiligte Zeit der Enthaltung von Trauben, Wein und Lebensmitteln, die mit Wein in Berührung gekommen sind. – Der Traktat Qiddushin, eigentlich Heiligung, was dann so viel wie Antrauung heißt, behandelt wie der Bavli die Gebote, die bei der der eigentlichen Heirat vorangehenden An­trauung zu beachten sind. Hauptthemen sind die Antrauungsformen durch Geld, Urkunde oder Beischlaf, die Bedingungen für eine Antrauung und Eheschließungen zwischen Angehörigen verschiedener Herkunft. Im Unterschied zum Bavli kennt der Yerushalmi dabei das Institut des »symphonon«, ein eigenes schriftliches Übereinkommen über die Verlobung.
Dass die 3. und 4. Ordnung, Nashim (Frauen) und Toharot (Reinheit), sowie der Traktat Nidda so rasch in dieser Reihe erschienen sind, ist sehr zu begrüßen. Für einige Teile des palästinischen Talmud liegen noch immer keine hinreichend kommentierten deutschen oder englischen Übersetzungen vor, so dass G. in mancher Hinsicht Pionierarbeit geleistet hat. Die deutsche Übersetzung, herausgegeben von M. Hengel, P. Schäfer, F. Avemarie, H.-J. Becker und G. Hüttenmeister, ist in den angesprochenen Ordnungen noch nicht so weit fortgeschritten, und es bleibt zu hoffen, dass dies für diesen wichtigen Teil des Yerushalmi überhaupt noch gelingt. Immerhin liegen für die nun von G. vorgelegten Traktate vergleichbare deutsche Übersetzungen von unterschiedlichen Bearbeitern zu den Traktaten Qiddushin (H.-P. Tilly, 1995), Nidda (M. Morgenstern, 2006) und Gi t.t.in (B. Rebiger, 2008) vor; der Traktat Nedarim ist jedoch nur in einer älteren, vergleichsweise ungenauen Bearbeitung von Ch. Horowitz (1957, 21983) zugänglich, was die Übersetzung und Kommentierung von G. zusätzlich aufwertet. Eine Stärke der hier besprochenen Übersetzungen ist somit zweifellos, dass sie aus einer Hand stammen, d. h. individuelle Unterschiede, wie sie in den deutschen Bänden, aber auch in der von J. Neusner herausgegebenen englischen Übersetzung zu beobachten sind, wegfallen. Allerdings fällt auch auf, dass manche Kommentare und Anmerkungen G.s auf seine Vorbildung verweisen, andere Themen dagegen ausgeblendet bleiben.
So fällt z. B. der Kommentar zu mathematischen Problemen in Ketubot länger aus, medizinische Fragen im Traktat Nidda, der insgesamt sehr knapp kommentiert ist und auch nicht die fehlenden Mishnayot ab Kapitel 4,1 bietet, werden dagegen übergangen. Hier fehlt jeglicher Bezug auf die verzweigte Forschungsliteratur, die – wie bereits früher angemerkt – in der von angesehenen Herausgebern betreuten Reihe nur sehr selektiv reflektiert wird. Bemerkenswert ist dagegen, dass im Vorwort zu Yebamot auf die interessante Tatsache hingewiesen wird, dass babylonische Rabbinen gelegentlich palästinische Halakha übernommen oder tradiert haben, was von Z. M. Dor, Torat Erez Yisrael be-Bavel, Tel Aviv 1971, untersucht wurde. Ebenso findet sich ein Hinweis auf E. M. Zianys (1992) Studie zum Einfluss der palästinischen Halakha auf die Saboräer und Redaktoren des Bavli. Auch finden sich gelegentlich Hinweise auf religionsgeschichtliches Vergleichsmaterial (etwa Codex Hamurabi).
Es bleibt darauf hinzuweisen, dass sich in den Übersetzungen gelegentlich Glättungen finden, die in der deutschen Übersetzung in der Regel vermieden werden. So wird z. B. yQid 4,6 (66b) u. ö. das Wort »macase« schlicht mit »it happened« übersetzt, während es in der deutschen Übersetzung heißt: »ein Tatfall«, was der syntaktischen Struktur und dem dahinter stehenden strukturierenden Denken näher kommt. G. lässt gelegentlich hebräische und aramäische termini technici unübersetzt, teilweise gibt er sie auch nur in Hebräisch im englischen Übersetzungstext wieder (vgl. etwa Yebamot, 501), was dann allerdings meist in den Fußnoten erklärt wird. In den deutschen Übersetzungsbänden wird diesbezüglich zwar unterschiedlich verfahren, doch werden in der Regel Lesungen angeboten, die eine Zitation ermöglichen. Auch fällt bei G. die abweichende Gliederung der Sugyot auf, was allerdings nicht weiter verwundert, da selbst zwischen der Synopse des Talmud Yerushalmi und den deutschen Übersetzungen große Unterschiede bestehen.
Wie schwierig die Interpretation und Wiedergabe des Textes des Yerushalmi ist, zeigt sich dabei gelegentlich schon bei der Wiedergabe von Tradentennamen. In yGit 1,2 [43c], Z. 18 übersetzt G.: »Rabbi Jacob bar Adda, Bar Athlay in the name of Rabbi Eleazar«, während Rebiger auf S. 15 mit »Rabbi Yacaqov bar Adda bar cAtelai (sagte) im Namen von Rabbi Laczar« überträgt und dafür auf M. Kosovsky, Concordance to the Talmud Yerushalmi, Onomasticon, Jerusalem 1985, 584 (bzw. 56) verweist. Der Name ist ansonsten nicht belegt, so dass beide Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen sind, sogar einiges für die von G. gebotene Entscheidung spricht, da Reihen mit drei Tradentennamen häufiger belegt sind als »Söhne von Söhnen«. In ySot 6,1 (20d), auf S. 246, ist wohl mit J. N. Epstein, Introduction to the Text of the Mishna, Jerusalem 22000, 85, Anm. 1, von »Rabbi Zecira« zu »Rabbi ̒cAzarya« zu konjizieren. In yYev 9,1 bietet G. in einer Anmerkung einen auf Grund von bYev 84b emendierten Text, den er zur Grundlage seines Kommentars macht, da der Yerushalmi ohne diese Verbesserung keinen Sinn ergibt.
Alle Bände sind durch Indizes, vor allem durch einen nützlichen Sach- und Namenindex, erschlossen. Im Unterschied zu den deutschen Bänden werden auch griechische, lateinische und einige hebräische Begriffe verzeichnet. Es fehlen jedoch Verzeichnisse der Rabbinen- und Ortsnamen, die gelegentlich helfen, bekannte aggadische Passagen schneller zu finden.