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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1081–1086

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Zschoch, Hellmut

Titel/Untertitel:

Reformatorische Existenz und konfessionelle Identität. Urbanus Rhegius als evangelischer Theologe in den Jahren 1520 bis 1530

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. X, 390 S. gr. 8° = Beiträge zur Historischen Theologie, 88. Lw. DM 178,­. ISBN 3-16-146376-5

Rezensent:

Thomas Kaufmann

Die hier anzuzeigende Münchner Habilitationsschrift stellt den ersten Versuch einer Rekonstruktion der Theologie des späteren Braunschweig-Lüneburgischen Reformators in seiner Augsburger Zeit dar. Zschochs Buch zu Rhegius ist zugleich die erste umfassende protestantische Monographie in diesem Jh.; die 1980 erschienene katholische Dissertation Maximilian Liebermanns über "Urbanus Rhegius und die Anfänge der Reformation" hat in bezug auf die Sicherung der biobibliographischen Daten bereits wesentliche Klärungen geschaffen.

Z. untersucht Rhegius in der Lebensspanne des bewegtesten Jahrzehnts der Reformationsgeschichte, in der er der zeitweilig wichtigste Exponent der Reformation in der an theologischen und sozialen Konflikten reichen Reichsstadt Augsburg war. In insgesamt vier Kapiteln behandelt er 1. die Jahre 1520 bis 1524, in denen Rhegius Augsburger Domprediger und Stiftsprädikant in Hall i. Tirol war (7-93), 2. die von Auseinandersetzungen mit Reformationsgegnern und dem innerreformatorischen Abendmahlsstreit geprägte Zeitspanne zwischen 1524 und 1527 (94-217), 3. die Auseinandersetzungen mit dem Täufertum 1527/28 (218-295) und 4. die als "Sicherung der reformatorischen Grundeinsicht" behandelte Phase zwischen 1528 und 1530 (296-352). Im Anhang (352-361) hat Z. eine im Frühjahr 1529 im Druck erschienene Predigt des Rhegius ediert, in der er eine komplexe Zusammenfassung seiner Theologie sieht und die "von der Frische der reformatorischen Verkündigung" (339) Zeugnis ablege.

Zunächst zeichnet Z. nach, wie der ganz in die reformhumanistischen Bemühungen um die Hebung des Priesterstandes eingebundene Eck-Schüler auf der 1520 als Nachfolger Ökolampads übernommenen Stelle als Domprediger in Augsburg mit den Schriften Luthers konfrontiert wurde, die ihn allmählich tief beeindruckten und z. T. so nachhaltig prägten, daß die ohnehin problematische Frage nach theologischer Originalität an Bedeutung verlieren muß. In nahezu allen theologischen Sachfragen konstatiert Zschoch einen engen Anschluß an Luther. Die Einflüsse anderer Repräsentanten der Wittenberger Theologie werden ­ mit Ausnahme eines knappen Rekurses auf Melanchthons Loci von 1521 (77 f.) ­ von Z. nicht weiter erwogen (zur Lutherrezeption vgl. z. B. 20 f.; 37; 41; 50; 53; 58; 60; 63; 103; 111; 129; 155; 163; 283). In der Art, wie Rhegius Luther rezipierte, fällt die auch in seinen späteren Schriften allenthalben greifbare Orientierung an Luthers Schriften des Jahres 1520 und die inhaltliche Konzentration auf die Rechtfertigungslehre auf. Die an Rhegius gewonnenen Beobachtungen führen Z. zu einer Beantwortung der Frage, "was eigentlich in der Reformationszeit gepredigt worden sei": "Die Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders sola fide habe im Zentrum gestanden" (340; vgl. 76), eine bemerkenswert nahe bei Moeller (vgl. Anm. 261) stehende These, deren methodische Schwäche darin bestehen dürfte, daß ein als dominierend bestimmter Inhalt der reformatorischen Predigt unter Absehung von den spezifischen Artikulations- und Kontextbindungen herausgestellt wird".

Instruktiv ist, daß Rhegius durch eine Phase des anfänglichen Widerstandes gegen Luther (11) hindurchging und erst unter dem Druck, die Bannbulle von seiner Augsburger Kanzel verlesen zu müssen, vom gewissensbindenden "Zwangscharakter" (14; vgl. 3; 81; 92) der Papstkirche überzeugt wurde. In seiner Publizistik laufen reformatorische und traditionell scholastische Lehrauffassungen noch eine Zeitlang parallel (vgl. den Anschluß an Biel, 17; zum "eigentümlichen Spagat zwischen Biel und Luther", 22; ähnlich 26; zur Rettung des Ave Maria: 84), wobei taktische Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Die inneren Konflikte des reformatorisch gesinnten Repräsentanten des Augsburger Domkapitels fanden ihren Ausdruck in einer lebhaften pseudonymen Publikationstätigkeit (Simon Hessus, Heinrich Phoenicus von Rosbach, 29-41), die Rhegius einen deutlichen Einsatz für die Reformation gestatteten.

Z. hält mit Liebmann und Clemen, gegen Götze, der Rhegius insgesamt zehn anonyme und pseudonyme Schriften zuschrieb, seine Autorenschaft im Falle der vier Druckschriften für gesichert. In bezug auf die Motive, den Ort der Schriften im Diskussionszusammenhang der Augsburger Flugschriftenpublizistik und die Bedeutung dieser subversiven Texte für das Selbstverständnis ihres mutmaßlichen Verfassers bleibt Z.s auf die theologischen Inhalte konzentrierte Analyse etwas blaß.

Die Übernahme einer Stellung als Prinzipialkaplan und Prediger in Hall i. Tirol, die Rhegius auf die traditionelle Meß- und Heiltumspraxis festlegte und die Z. mit guten Gründen als "theologische Inkonsequenz" (47) bezeichnet, legt den Eindruck nahe, daß gerade die subversive Publikationstätigkeit einen Schlüssel für das Verständnis seiner inneren Zerrissenheit geboten hätte. Die Haller Tätigkeit erscheint im ganzen durch den "Kompromiß" geprägt: Rhegius "läßt die kirchliche Praxis unangetastet, arbeitet aber an einer religiösen Bewußtseinsveränderung innerhalb der bestehenden kirchlichen Strukturen" (57). In der frühreformatorischen Theologie des Rhegius sieht Z. insbesondere im Zusammenhang der Abendmahlstheologie prägende Anknüpfungen an Luther, wobei die Verbindung des seit 1520 zentralen Testamentsbegriffs mit dem für Luther 1519 wesentlichen "Gemeinschaftsgedanken" als rezeptionsgeschichtliches Spezifikum zu werten sein dürfte (68). In Rhegius´ Publizistik der Jahre 1523/24 ist ein besonderes Engagement für ein auf die biblische Christusfrömmigkeit (vgl. 91) gegründetes Laienchristentum bemerkenswert.

Das umfangreichste, zweite Kapitel der Arbeit schildert den Augsburger Neubeginn im Sommer 1524, als Rhegius in einer von Z. mit spürbarer Abneigung geschilderten (96 f.) sozialrevolutionär aufgeheizten Phase der frühreformatorischen Entwicklung in der Reichsstadt, als vom Rat beauftragter Prediger, pazifizierend einzugreifen versuchte (94 ff.).

Von den Unterschichten wurde Rhegius mit wenig Sympathie aufgenommen. In dieser Phase nahm er erstmals auch auf den Prozeß der Reformation außerhalb Augsburgs, nämlich in Memmingen (101-109; 115-120) Einfluß, wobei sein nachdrückliches Bekenntnis zu einem obrigkeitsgeleiteten Modus procedendi reformationis und seine auch gegenüber der Abschaffung der Leibeigenschaft (109-115) resistente theologische Sozialethik hervortritt. Z. resümiert:

"Sein theologisch motivierter Konservativismus ist dabei getragen vom Ideal einer obrigkeitlich gesicherten, sozialen Friedensordnung". Die ersten sichtbaren Veränderungen des kirchlichen Lebens in Augsburg ­ wie andernorts ­ beziehen sich auf die von dem in eine Führungsrolle unter den Augsburger Predigern hineinwachsenden (131) Rhegius mitgetragene Durchführung der Priesterehe (125; zur eigenen Heirat vgl. 169 f. mit Anm. 219). In der Auseinandersetzung mit den "Altgläubigen" (134 ff.) verwendet Rhegius besondere Anstrengungen darauf, "die Anciennität des reformatorisch wieder im Ursprungssinne verstandenen und formulierten Evangeliums gegenüber einer depravierten Kirchenlehre" (151) zu erweisen.

Schon in Rhegius´ Auseinandersetzung mit den altgläubigen Theologen sieht Z. eine dann auch in der Stellung des Augsburger Reformators im innerreformatorischen Abendmahlsstreit wirksame Tendenz: Das Bemühen um eine "antirömisch zugespitzte" (154), "konfessionell ´evangelische´ Identität" (158), die material in der Rechtfertigungslehre begründet sei und die innerreformatorischen Lehrdifferenzen gegenüber dem Basiskonsens "marginalisierte" (4; vgl. 199 u.ö.; 204). Rhegius erscheint, und darin ist das zentrale Anliegen von Z.s Interpretation zu sehen, als ein "Theologe der evangelischen Einheit" (5), gleichsam als ein in seiner Zeit nicht zur Wirkung gelangter Vertreter der Leuenberger Konkordie (5). Die in der bisherigen Forschung lebhaft umstrittene Stellung des Rhegius im Verhältnis zu den sich formierenden Fronten des reformatorischen Abendmahlsstreites wird von Z. in dieser Perspektive behandelt; gerade einer "theologischen Positionalität" (168) sei er ausgewichen, da die Sachfrage der Kontroverse sein Verständnis des ausschließlich von der Rechtfertigungslehre her bestimmten Begriffs evangelischer Identität nicht berührt habe. In Rhegius, so scheint es, habe der von Walter Köhler für die Haltung der Straßburger Reformatoren behauptete Unionismus eine neue reformationshistorische Repräsentationsfigur gefunden.

Bereits in Rhegius´ Ausgrenzung (180) Karlstadts wird nach Z. deutlich, daß er dessen Bestreitung der lutherischen Abendmahlslehre "nicht mit letzter Sicherheit entgegenzutreten" (175) vermochte, ein Sachverhalt, der eine weitere theologische Begründung auch darin haben dürfte, daß Karlstadt von einer Luther zumindest ursprünglich nahestehenden abendmahlstheologischen Ausgangsposition her zu gegenteiligen Konsequenzen hinsichtlich der leiblichen Realpräsenz gelangt war. In der Auseinandersetzung zwischen Luther und den Schweizern stellt Z. als Grundmotiv des Rhegius dessen Rekurs auf Luthers 1523 angeeignete Position von 1520 und seine Verweigerung gegenüber theologischen Weiterentwicklungen (184; 187) heraus (vgl. z. B. 183; 311; 325).

Offenkundig ist, daß Rhegius den von ihm geachteten theologischen Größen in Zürich, Basel und Wittenberg zu genügen sucht, ja, wie Z. zuspitzend formuliert, "wie ein Chamäleon manchmal wie Luther, manchmal wie Zwingli zu reden scheint" (194). Von Zwingli aber wird er als unsicherer Kantonist empfunden (195 ff.), für Luther kommt er in den "Ruf des Apostaten" (202). Versteht man Rhegius aber seinen eigenen Intentionen gemäß, so Z., so sei "ohnehin ganz unangemessen, ihn einer der streitenden Parteien zuteilen zu wollen" (205), da sein Bestreben dahin ging, die gegenüber der römischen Position eindeutige reformatorische Abendmahlsauffassung unter Ausblendung der aktuellen innerreformatorischen Diskussion zu behandeln (vgl. z. B. 206 f.), bzw. durch die Konzentration auf die "gemeinsame reformatorische Interpretation des ´Evangeliums´ " (215; vgl. 217) zu entschärfen. Gleichwohl kommt Z. zu einer theologisch präzisen Bestimmung von "Rhegius´ Position zwischen den Parteien" (209), die darin bestanden habe, daß er gegen Luther die leibliche Realpräsenz verwarf, gegen Zwingli aber am Gabecharakter des Sakraments festgehalten habe (209; vgl. 323; vgl. die Differenz zur Tauftheologie Zwinglis 263; 267 und die Öffnung für Luthers Tauflehre, 284). Daß die, wie Z. immer wieder betont, kongeniale Anknüpfung des Rhegius an Luthers Rechtfertigungsverständnis nicht ­ und das könnte auch seine theologische Entwicklung in den späteren zwanziger Jahren zeigen (329) ­ mit einer gewissen sachlogischen Notwendigkeit auch zu einem vertieften Verständnis der Lutherschen Abendmahlstheologie führte, und also das Zentrum evangelischer Identität selbst implizite abendmahlstheologische Konsequenzen enthält, dürfte weiterer Erörterung bedürfen. Dies gilt um so mehr, wenn man sich vergegenwärtigt, daß diejenigen, die Luthers Abendmahlstheologie widersprachen, auch in der Rechtfertigungslehre nicht einfach mit ihm übereinstimmten. Von der Beantwortung dieser Frage dürfte die von Z. propagierte Tragfähigkeit des Rhegiusschen "Einheitskonzepts" (5) abhängen. Inwiefern schließlich die Marginalisierung der innerreformatorischen Lehrdifferenz in derAblehnung der leiblichen Realpräsenz gründete und insofern theologisch durchaus "parteilich" war, ohne sich in einer gegen Wittenberg gerichteten Parteigesinnung zu artikulieren, ist eine Frage, die nur durch die Entgrenzung der Abendmahlsauseinandersetzung über die Kontroverse Luther ­ Zwingli hinaus zu beantworten sein dürfte. Hier könnte besonders von Straßburg her etwas Licht auch auf Augsburg und Rhegius fallen.

Die Straßburger Theologen, die nicht zuletzt durch Augsburger Nachdrucke von ihnen verfaßter oder herausgegebener Schriften auf die Diskussion in der Reichsstadt eingewirkt haben dürften, spielen in Z.s Darstellung des Abendmahlsstreites keine Rolle, ein ­ wie mir scheint ­ gravierender Mangel, einerseits, weil Bucer mit Rhegius´ Kollegen Michael Keller und Rhegius selbst mit Capito in Kontakt stand, andererseits, weil der von Rhegius unternommene Versuch, sich jenseits des Parteienzwistes zu bewegen, unverkennbare Parallelen zur strategischen Haltung der Straßburger aufweist. Auch zur Rekonstruktion des abendmahlstheologischen Diskurses hätte meines Erachtens mehr beigetragen werden können, vielleicht auch müssen, als Z. für angemessen hält. Etwa Figuren wie Haug Marschalck, der wegen einer von ihm verfaßten Abendmahlsschrift vom Augsburger Rat inhaftiert wurde, und Johannes Schnewyl hätte die von Z. mit einer gewissen Beharrlichkeit auf Rhegius zentrierte Diskussionslage wesentlich bereichert. Die Quellen zur Augsburger Abendmahlsdiskussion, und die Rolle Augsburgs als Publikationszentrum auch in der Abendmahlsfrage, die m. E. erst ein vollständiges Verständnis der Rhegiusschen Position ermöglichten, scheinen mir keineswegs ausgeschöpft zu sein.

Die Stärke der Z.schen Arbeit, ihre intensive und konzentrierte Interpretation an den Quellen der Theologie des Urbanus Rhegius, geht ­ und dies wird im Kontext seiner Behandlung des Abendmahlsstreites besonders deutlich ­ mit gewissen pragmatisch verständlichen, gleichwohl bedauerlichen Defiziten hinsichtlich der Kontextualisierung der Quellen in dem zeitgenössischen lokalen Diskussionszusammenhang einher.

Im dritten Kapitel zeigt Z. eindrücklich, wie Rhegius in Auseinandersetzung und Abgrenzung gegen das separatistische Augsburger Täufertum, das Z. vielleicht doch zu sehr in unteren Gesellschaftsschichten Augsburgs (vgl. 228; 237-241; 273) sozial verankert sieht ­ jedenfalls dann, wenn man etwa den reichen Kaufmann Jörg Regel, dem wegen seiner unstandesgemäßen Heirat die Aufnahme in das Patriziat verweigert wurde, nicht gleich zu einem "sozial Deklassierten" macht (vgl. 228 Anm. 67) ­, zu einer Festigung seines auf die Rechtfertigungslehre zentrierten Verständnisses evangelischer Identität gelangte (246-294) und eine von der obrigkeitlichen Gewalt gestützte, laikale Kompetenzen restringierende "volkskirchlich-bürgerliche Ekklesiologie" ausbildete. Zugleich brachte die Auseinandersetzung mit den Täufern Klärungen in Rhegius´ Taufverständnis (281 ff.) in engem Anschluß an Luther.

Das Schlußkapitel ist den letzten Augsburger Jahren des Rhegius gewidmet und stellt die Bemühung um eine ",evangelische´ konfessionelle Identität" (297) nach innen und außen breit heraus; diese drängte zusehends auf eine kirchliche Gestaltwerdung (301). In der abermals aufgewiesenen theologischen Grundorientierung an dem Luther des Jahres 1520 sieht Z. das maßgebliche Kontinuitätsmoment der theologischen Entwicklung des Rhegius (326; 335), die Basis seiner innerreformatorisch integrativen "konfessionellen Zielvorstellung" (326) und die Antriebskraft seines auch am Rande des Augsburger Reichstages von 1530 aktualisierten (350f) "Konzepts" "einer einheitlich evangelischen und zugleich antirömischen Konfessionsbildung" (332).

Z.s Arbeit stellt einen zweifellos wichtigen Beitrag zur reformatorischen Theologiegeschichte dar, die einen bisher zu Unrecht wenig studierten Theologen im Entscheidungsjahrzehnt der Reformation eindrücklich vor Augen führt. Die Aufgabe, die sich Z. gestellt hat, die Theologie des Urbanus Rhegius zu rekonstruieren, hat er im ganzen überzeugend gelöst. Die an Rhegius gewonnenen konzeptionellen Perspektiven Z.s freilich, die seiner Studie den Charakter eines anregenden Beitrags zur gegenwärtig lebhaft geführten Debatte um die "Einheit der Reformation" geben, werden in der weiteren Forschung gründlich zu diskutieren sein. Dies gilt insbesondere für Z.s, wie mir scheint, wenig glücklichen terminologischen Vorschlag, das an Rhegius erwiesene ´gemeinreformatorische´ Identitätsbewußtsein, das ja auch historisch wirkungslos blieb, mit dem schillernden Konfessionalisierungsbegriff zu verdeutlichen. Z. versteht unter "konfessioneller Identität" den "Sachverhalt, daß er [sc. Rhegius]... theologisch grundlegend an der Identität eines sich faktisch in konfessioneller Konkurrenz vorfindenden ´evangelischen´ Christentums gearbeitet hat", eine Bemühung, die ihr theologisches Zentrum in der Rechtfertigungslehre hatte und die innerreformatorischen Lehrgegensätze von dieser her relativierte. Das frühreformatorische Parteibewußtsein der tiefgreifenden Differenz zu den Gegnern der Reformation trägt damit die Signatur des ´Konfessionellen´, eine terminologische Entscheidung, die nicht nur zu einem unvermeidlich äquivoken Gebrauch des Begriffs der Konfessionalisierung führt (vgl. 5 Anm. 10), sondern auch den Anspruch der Protagonisten der reformatorischen Bewegung, die alte Wahrheit des Evangeliums zur Sprache zu bringen, mit einem durch Konkurrentialität bestimmten Terminus bezeichnet.

Zugleich erscheint die "römische Kirche" (158) in dieser begrifflichen Perspektive in einer Geschlossenheit, die sie bestenfalls im Tridentinum gewann. Wenn Z. schließlich auch die innerreformatorischen Gegensätze der 1520er Jahre als "Konfessionalisierung innerhalb des reformatorischen Christentums" bezeichnet (187; vgl. 189; 197; 299 behauptet Z., Zwingli habe die "konfessionelle Scheidelinie" gegenüber Wittenberg gezogen), droht der Begriff vollends strapaziert zu werden, da ja Rhegius gerade für eine "´evangelische´ konfessionelle Identität" (297; vgl. 4) stehen soll. Faktisch bezeichnet der Konfessionalisierungsbegriff bei Z. also eine historisch annähernd wirkungslose gemeinreformatorische Gesinnung, die Gegensätze innerhalb des reformatorischen Lagers und die Konfrontation Reformation ­ Papstkirche. Zumal die erste, für Rhegius als spezifisch herausgearbeitete Bedeutung ist deshalb suggestiv, weil sich eine evangelische Konfession im 16. Jh. gerade nicht etablieren konnte (vgl. den Konfessionalisierungsbegriff 333, Anm. 204). Hier scheint mir Z. von der anachronistischen Anwendung unionistischer Vorstellungen nicht ganz frei gewesen zu sein. Die Frage, ob, und wenn ja, inwiefern sich die ´gemeinreformatorische Gesinnung´ in Rhegius´ späterer, ca. drei Jahrzehnte umfassender kirchenleitender Tätigkeit bewährte oder doch als Reflex der spezifischen Augsburger Situation anzusprechen ist, deutet Z. leider nicht an.

Daß die in Augsburg besonders lebhafte Polarisierung zwischen verschiedenen theologischen und religiösen Gruppen eine "anarchische" Vorwegnahme des "konfessionellen Zeitalters" (134) dargestellt habe, dürfte die Steuerungskraft des Reichsreligionsrechts und seine fundamentale Bedeutung für das faktische Leben der Gemeinde und die Differenzen zwischen "Ketzerei" und rechtlicher Anerkennung doch ein wenig zu gering veranschlagen.

So berechtigt es sein dürfte, gerade gegenüber dem gesellschaftsgeschichtlich ausgeformten Konfessionalisierungsparadigma die Verbindung der frühen Reformation und der späteren konfessionellen Entwicklung zu betonen, so wenig leuchtet mir ein, die frühen 1520er Jahre selbst als "beginnende Konfessionalisierung" (139; 178; 210) zu bezeichnen und damit den Konfessionalisierungsbegriff seiner rechts-, sozial-, gesellschaftsgeschichtlichen und bekenntnishistorischen Implikationen zu entledigen und ihn exklusiv theologiegeschichtlich zu verwenden. Daß schließlich "der Prozeß der Konfessionalisierung" durch die "reformatorische Bewegung" "angestoßen" (330) wurde, scheint mir zumindest einseitig zu sein; ebensogut könnte man die Verweigerung Roms gegenüber dem ´Evangelium´ als Ursache der Konfessionalisierung namhaft machen. Eine Schwäche beider Deutungsansätze dürfte aber in der Reduzierung des gesellschafts-geschichtlich komplexen Konfessionalisierungssyndroms auf eine Frage theologischer Lehre liegen.

Diese Anfragen des Rez. bezeugen, daß Z.s Buchs anregend ist. Ihm bleibt zu wünschen, daß es weitere Forschungen zu dem nun erstmals theologiegeschichtlich umfassend interpretierten Urbanus Rhegius und zur noch immer vernachlässigten Augsburger Reformationsgeschichte inspirieren möge.