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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

509-512

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Winter, Stephan [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Das sei euer vernünftiger Gottesdienst« (Röm 12,1). Liturgiewissenschaft und Philosophie im Dialog.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2006. 296 S. gr.8°. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-7917-1995-5.

Rezensent:

Peter Cornehl

Manchmal liegt ein Thema in der Luft. 1998 hatte Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Fides et Ratio das Verhältnis von Glaube und Vernunft erneut auf die Tagesordnung der Theologie gesetzt. Im August 2005, nahezu zeitgleich mit seinem Tode und den Beisetzungsfeierlichkeiten, fand an der katholisch-theologischen Fakultät Münster ein interdisziplinäres Forschungskolloquium statt, das sich mit den Beziehungen zwischen Liturgiewissenschaft und Philosophie befasste. Wenig später trat mit Benedikt XVI. ein deutscher Systematiker an die Spitze der römisch-katholischen Weltkirche. Seitdem ist klar: Das Thema bleibt aktuell. Inzwischen lassen sich die Ergebnisse der Münsteraner Tagung studieren.
Dabei wird schon bald deutlich, dass die Reichweite des Dialogs von Liturgiewissenschaft und Philosophie von vornherein eingeschränkt ist. Im Grunde ist der Dialogpartner nicht die Philosophie, sondern eine bestimmte Spielart, die »analytische Philosophie«, die allerdings selbst ein breites Spektrum an Positionen, Methoden und Forschungsansätzen vorwiegend angelsächsischer Provenienz umfasst. In seiner ausführlichen Einleitung (7–18) be­müht sich der Herausgeber, den »Roten Faden«, der die Beiträge durchzieht, herauszuarbeiten. Sein Fazit: »Einfach liegen die Dinge nicht, wenn sich systematisch orientierte Liturgiewissenschaft, philosophische Argumentation, narrativ verfasste Texte und liturgische Praxis begegnen – aber gerade darin liegt der Reiz des Dis­kurses, der schon um des Zeugnischarakters des Glaubens willen unerlässlich ist.« (17) In der Tat: Einfach ist das nicht. Und auch die Lektüre des Bandes ist nicht immer einfach.
Der Band gliedert sich in drei Teile: I. Grundlegung, II. Felder, III. Rückblick und offener Schluss. Die »Grundlegung« enthält zunächst zwei systematisch-theologische Beiträge. Martin Stuflesser, katholischer Liturgiewissenschaftler mit Professur in Würzburg (»›So soll Euer Gottesdienst sein – vernünftig, weil er Gottes Willen entspricht‹. Der Gottesdienst der Kirche als Ansatzpunkt theologischer Reflexion«, 21–67), und Jochen Arnold, in Tübingen promovierter evangelischer Theologe, Direktor des Michaelisklosters in Hildesheim (»Der Gottesdienst als theologischer Ort und geistliches Ereignis. Überlegungen zum Verhältnis von Doxologie und Dogmatik«, 68–106), liefern verdichtete Kurzfassungen ihrer Qualifikationsschriften und entfalten den ökumenisch von vielen namhaften Wissenschaftlern vertretenen Ansatz einer »systema­tischen Liturgiewissenschaft« in der Spur der von R. Guardini, G. Wainwright, O. Bayer, M.-J. Krahe, E. J. Lengeling, H.-B. Meyer, R. Meßner u. a. formulierten liturgisch-doxologischen Theologie, in der sich trotz mancher konfessioneller Besonderheiten doch ein be­merkenswerter Konsens abzeichnet. Danach bilden die gottesdienstlichen Grundvorgänge, Vollzüge und Sprechhandlungen (theologia prima) die elementare Basis für die theologische Urteilsbildung (theologia secunda), deren Aufgabe es ist, das Verhältnis von Sinngehalt und Feiergestalt der Liturgie systematisch zu klären. Stuflesser wie Arnold bemühen sich um eine integrative Zu­sam­menschau. Das ist verdienstvoll, auch wenn die gedrängte Fassung fast automatisch eine gewisse Formelhaftigkeit zur Folge hat. Beide bleiben theologieimmanent und tragen für eine Grundlegung des Dialogs mit der Philosophie weniger aus, als die Einleitung verspricht. So bleibt es Oliver J. Wiertz überlassen, in seinem Beitrag den methodischen und inhaltlichen Ansatz analytischer Philosophie zu präsentieren (»Wie weit ist es von Athen nach Jerusalem? Die Notwendigkeit und der Ort philosophischer Reflexion für eine rationale Glaubenspraxis«, 107–132). Als Ziel nennt er, Kriterien für die »epistemische[n] Rationalität christlicher Überzeugungen« (110) zu formulieren, die bestimmten methodischen Standards genügen, intersubjektiv nachvollziehbar sind, begrifflich klar, plausibel begründet und um argumentative Präzision be­müht (131 f.). Dieses Modell wird gesetzt, begründet wird es nicht und auch nicht zu anderen Theoriemodellen in Beziehung gesetzt.
Die Lektüre ist streckenweise mühsam. Am Ende steht die launige captatio benevolentiae: »Ich hoffe, dass dieser Ausflug zu den Brücken zwischen Athen und Jerusalem keine Kaffeefahrt war, von der man gewöhnlich mit einer unnützen aber dafür teuren Rheumadecke zurückkommt, sondern dass ich zeigen konnte, dass Jerusalem und Athen nicht so weit voneinander entfernt sind, wie es manchmal behauptet wird.« (132) Ob sich der Kauf der analytischen Rheumadecke wirklich gelohnt hat, muss offen bleiben.
Zentrum des Bandes ist die respektvoll freundschaftlich ausgetragene Kontroverse zweier jüngerer katholischer Theologen, Stephan Winter (Osnabrück) und Thomas Schärtl (Münster). Sie bildet den Hauptanteil des »Felder« genannten II. Teils (Winter: »›Um dieses große Werk voll zu verwirklichen, ist Christus seiner Kirche immerdar gegenwärtig, besonders in den liturgischen Handlungen‹ [SC 7]. Philosophisch-theologische Überlegungen zur christlichen Rede von der Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst der Kirche«, 135–172; Schärtl: »Liturgischer Anti-Realismus«, 173–224; Winter: »Eine kurze Replik auf Thomas Schärtl«, 225–229). Es ist ein prinzipientheologischer Streit innerhalb der analytischen Philosophie zwischen Realismus und Anti-Realismus, ausgetragen auf dem »Schlachtfeld« (149) der Metapherntheorie. Winter expliziert sein Verständnis von »logike latreia« (Röm 12,1) wie schon in seiner Dissertation (»Eucharistische Gegenwart. Liturgische Redehandlung im Spiegel mittelalterlicher und analytischer Sprachtheorie«, Regensburg 2002) am Modell des römischen Messkanons u. a. im Anschluss an und in kritischer Weiterführung der Metapherntheorie von Donald Davidson und Robert B. Brandom und in Aufnahme der Interpretation der Verba Testamenti als »lebendiger Metapher« durch den Neutestamentler Thomas Söding. Während Winter die Position des theologischen Realismus verteidigt, plädiert Schärtl für einen liturgie theologischen Anti-Realismus (nicht zu verwechseln mit Irrationalismus und Non-Realismus), verstanden »als semantische Transsubstantiation der ›ganzen Welt‹ im sinnstiftenden Ausgreifen eines sprachhandelnden Subjektes« (173). Die Ausgangsfrage definiert Schärtl so: »Beziehen wir uns in der Sprache der Liturgie auf eine unabhängig vom Menschen gegebene Wirklichkeit? Können wir an den vielen poetischen und expressiven Formulierungen unserer Gebete vorbei eine Referenz unserer Aus­drücke behaupten, die im Kern so dargestellt werden kann, dass sie unabhängig ist von den Formen, Bedingungen und Grenzen menschlichen Bezugnehmens?« (Ebd.)
Besonders Schärtls Abhandlung beeindruckt durch den schier unerschöpflichen Reichtum an herangezogenen Argumenten und Autoren, die zitiert, diskutiert, korrigiert und eigenständig weitergeführt werden. So wird man als Leser Zuschauer eines brillanten intellektuellen Feuerwerks. Es ist eine für Insider vermutlich ge­läufige, für nicht Eingeweihte an­strengende Lektüre, bei der einem manchmal schwindelig werden kann. Am Ende stellt man sich die Frage, was dabei für das Verständnis liturgischer Vorgänge und Sachverhalte herauskommt. Und ist verblüfft, dass Schärtl an einer Stelle die Unterschiede zu Winter mit heiterer Souveränität folklo­ristisch-konfessionsregionalistisch so auf den Begriff bringt: Seine eigene Intuition sei » bayrisch-barock: Sie nimmt den Gedanken wörtlich, dass derjenige/die­jenige, der/die sich in das Geschehen eines Gottesdienstes involvieren lässt, wirklich in eine andere Welt schreitet. Winter dagegen argumentiert, wie mir scheint, aus der Sicht des aufklärungsbewussten Nordeuropäers, der seinen reli­giösen Sensus mit der Tatsache konfrontieren muss, dass es ver­schiedene, alternative Weltdeutungen gibt, die untereinander konkurrieren. Deren Konkurrenz kann aus dieser Perspektive nur dann überboten werden, wenn man an einem Wirklichkeitsbegriff im strikten Sinne festhält. Dieses Festhalten will freilich mit der Konkurrenz von Weltdeutungen vermittelt sein. Winter gelingt dies durch die Einführung des Metaphernbegriffes. Während m. E. die Metaphorik religiöser Rede nur eine Portalfunktion, also eine in­termediäre Funktion hat, sieht Winter in der Metaphorik religiöser Sprache eine irreduzible und auch nicht überschreitbare Leistung der Sprache am Werk – weit davon entfernt, nur eine uneigentliche oder vorläufige Rede zu sein.« (219) Beide Autoren kündigen an, den Streit fortzusetzen. Wer sich ein bisschen in ana­lytischen Diskursen auskennt, ahnt, dass das eine un­endliche Geschichte werden kann.
So ist man schließlich dankbar, dass der katholische Münsteraner Philosoph und Fundamentaltheologe Martin Rohner in seinem kurzen, aber gehaltvollen Beitrag (»Gottesdienst als Tran­szen­denz­erfahrung? Religionshermeneutische Überlegungen zur fun­da­men­taltheologischen Dimension der Liturgie«, 230–247) darauf aufmerksam macht, dass es neben der analytischen auch noch andere philosophische Richtungen gibt, mit denen den Dialog zu führen für die Liturgiewissenschaft vielleicht noch aussichtsreicher ist. Rohner nennt neben dem evangelischen Systematiker Jörg Lauster mit seinem religionshermeneutischen Ansatz den Sozialphilophen Hans Joas und den kanadischen Kommunitaristen Charles Taylor (dass Taylor »zu den derzeit religionsphilosophisch anre gendsten Denkern zählt, rückt erst langsam ins Bewusstsein der Philosophie wie der Theologie«, 242). Nachdenklich stimmt auch Rohners Bemerkung, dass ein religionshermeneutischer Ansatz dazu helfen kann, den Erfahrungs- wie den Transzendenzaspekt von Religion und Liturgie zu würdigen. Das wiederum stellt »eine Brücke für den liturgietheologischen Dialog mit der ge­genwärtigen Philosophie dar, wobei diese Brücke nach meinem Eindruck stärker als manche elaborierten sprachanalytischen Ansätze den Kontakt wahrt zu dem, was auch in solchen Theorien nicht kundige Gottesdienstfeiernde von ihrer Phänomenerfahrung her nachvollziehen können« (235) – ein zumal für ein evangelisches Verständnis von Liturgie und Gottesdienst wichtiger Hinweis.