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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

507-509

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Roser, Traugott

Titel/Untertitel:

Spiritual Care. Ethische, organisationale und spirituelle Aspekte der Krankenhausseelsorge. Ein praktisch-theologischer Zugang.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 303 S. gr.8° = Münchner Reihe Palliative Care, 3. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-17-019746-6.

Rezensent:

Ulrike Wagner-Rau

Die Habilitationsschrift des Pfarrers und Privatdozenten Traugott Roser, der das Projekt Seelsorge in der Palliativmedizin am Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin der Universität München leitet, bearbeitet ein Feld der Krankenhausseelsorge, das von hoher existentieller wie auch öffentlicher Bedeutung ist. Speziell an den Rändern des Lebens, im Zusammenhang der Fragen um pränatale Diagnostik und Geburt, um Altern, Demenz und Tod, ist die Krankenhausseelsorge mit herausfordernden Aufgaben konfrontiert. Das gilt für die Begleitung im seelsorgerlichen Gespräch, die – kommunikativ kompetent – für religiöse Themen und Fragen der be­troffenen Patientinnen und Patienten und ihrer Angehörigen sensibel sein muss. Aber die Krisen und Konflikte an den menschlichen Grenzen erfordern unabweisbar auch ethisches Problembewusstsein und Urteilsfähigkeit. Gebraucht wird schließlich ein seelsorgerliches Selbstverständnis, das die eigene Rolle im ko­operativen Zusammenhang mit den anderen Berufsgruppen im System des Krankenhauses zu bestimmen vermag. Die ethischen, organisationellen und spirituellen Aspekte der Krankenhausseelsorge gleichermaßen zu berücksichtigen ist denn auch das erklärte Ziel des Vf.s, der – sein Vorwort macht es deutlich – nicht nur als Wissenschaftler und Pfarrer mit dem bearbeiteten Thema verbunden, sondern auch selbst vom Verlust naher Menschen betroffen worden ist.
Spiritual Care – der Titel des Buches verweist auf die religiöse Dimension der seelsorgerlichen Begleitung im Krankenhaus. Aber dieser Begriff stammt nicht aus dem Zusammenhang der Seelsorgetheorie oder -praxis, sondern ist gebräuchlich im Kontext von Palliativmedizin und Hospizarbeit. Anders als in einer rein naturwissenschaftlichen und am Ziel der Heilung orientierten Medizin kommen hier Krankheit und Sterben als seelisch-geistige und soziale Krisen in der Lebensgeschichte des Menschen in den Blick. Sie erfordern eine Begleitung, die eine subjektive Bearbeitung des Erlebten und Erlittenen unterstützt, die sich darum sorgt, »dass der Patient in der ihm entsprechenden individuellen Weise am Leben im umfassenden Sinn teilhat« (277). »Spiritualität« meint hier also zunächst keine an eine positive Religion oder Konfession gebundene Orientierung, sondern der Begriff umschreibt unscharf die geistigen und sozialen Potentiale und Handlungsmöglichkeiten der Patienten und der im Krankenhaus arbeitenden Menschen, die in der Auseinandersetzung mit der Krise der Krankheit bedeutsam werden und die auch transzendente Bezugshorizonte umfassen können. Was eine christliche Krankenhausseelsorge in diesem Kontext auszeichnet, ist noch einmal eigens zu bedenken. Jedenfalls macht das Buch deutlich, dass das Thema der Spiritualität im Krankenhaus längst nicht mehr der christlichen Seelsorge allein vorbehalten ist, sondern auch andere Agenten eine spirituelle Begleitung der Patienten und Patientinnen praktizieren. Der Vf. votiert überzeugend dafür, dass die Seelsorge sich auf das je subjektive spirituelle Selbstverständnis der Menschen im transkonfessionellen Rahmen der Organisation Krankenhaus einlassen müsse, um als konstruktive und hilfreiche Kooperationspartnerin wirksam werden zu können. Es gehe primär darum, Räume zu eröffnen und Prozesse zu begleiten, die die Selbstreflexion und -deutung der betroffenen Menschen hilfreich unterstützen. Das heißt nicht, dass das christliche Profil nicht bedeutungsvoll wäre: Es prägt das Selbstverständnis, das Menschenbild und das Problemverständnis der Seelsorge, es stellt im Bereich des rituellen Handelns bedeutsame Möglichkeiten der Begleitung zur Verfügung, es macht im Gespräch für die religiösen Konnotationen und Motive sensibel, die Resonanz und Artikulationshilfe brauchen.
Im umfangreichen Einleitungsteil A entwickelt der Vf. seinen praktisch-theologischen Ansatz im Gespräch mit der fundamental-praktischen Theologie Don S. Brownings und der phänomenologischen Praktischen Theologie Wolf-Eckhart Failings und Hans-Günter Heimbrocks. Wesentliches Interesse ist es dabei, die Praktische Theologie als einen hermeneutischen Zirkel zu beschreiben, der als Kunst der Wahrnehmung, der Reflexion und der Gestaltung den gesamten Horizont der theologischen Disziplinen integriert. Im zweiten und dritten Teil des Buches wird dieser Ansatz dann materialiter umgesetzt, indem einerseits die »Seelsorge in den Konflikt- und Krisensituationen am Anfang des Lebens« (Teil B) und andererseits die »Seelsorge bei chronisch degenerativen Krankheiten am Beispiel der Demenzerkrankungen« (Teil C) jeweils im Dreischritt von Wahrnehmungs-, Reflexions- und Gestaltungskunst bearbeitet wird. Im abschließenden Teil D formuliert der Vf. sein Resümee: Impulse – von ihm selbst als unabgeschlossen und zur Weiterarbeit herausfordernd beschrieben – für eine »christliche Seelsorge zwischen systemischer Integration und Distanznahme«.
Besonders gelungen finde ich die beiden mittleren Teile des Buches, die auch am deutlichsten der Intention des Vf.s entsprechen, die Seelsorgeperson zu klarer Wahrnehmung, zu differenzierter theologischer Reflexion und kommunikativ kompetentem Handeln zu befähigen (vgl. 80). Hier wird dem Leser und der Leserin anhand zweier zentraler medizinethischer und existentieller Konfliktfelder vorgeführt, wie sich der im ersten Teil theoretisch – m. E. etwas übergewichtig – entfaltete Ansatz bewähren kann. Interessant ist hier besonders, dass der Vf. für die Wahrnehmung des jeweiligen Problemfeldes nicht nur medizinische Informationen und – wie in der Seelsorgeliteratur üblich – Fallbeschreibungen einbezieht, sondern ebenso auf qualitative und quantitative empirische Studien und außerdem auf die ästhetische Verarbeitung der Themen im Film zurückgreift.
Nicht immer ist der Zusammenhang der verschiedenen Perspektiven in der Darstellung ganz konsistent. Dennoch: Für die Leser ist viel zu lernen und zu verstehen durch die Vielfalt der Zugänge, die die eigene Wahrnehmung sensibilisiert und schult. Im Zusammenhang der Reflexionskunst werden die theologisch-anthropologischen Überlegungen und die medizinethischen Ausführungen als notwendige Voraussetzungen seelsorgerlichen Handelns im Krankenhaus, aber auch in der gemeindlichen Praxis erkennbar. Vor allem im Teil B – den Krisen im Zusammenhang mit dem Beginn des Lebens – hat die Gestaltungskunst einiges anzubieten, was im Kontext des Münchner Uniklinikums offenkundig erprobt und bewährt ist. Teil C fällt hier magerer aus, aber die Begleitung von Menschen, die an Demenz leiden, ist ein Thema, das in der Seelsorge erst langsam Aufmerksamkeit gewinnt und für das noch kaum Reflexionen im Blick auf eine praktische Seelsorgearbeit vorliegen.
Nicht wirklich überzeugt hat mich das Resümee im letzten Teil des Buches. Hier hätte m. E. die Konsequenz für das Selbstverständnis der Krankenhausseelsorge im systemischen Konnex des Krankenhauses auf der Basis der vorhergehenden Überlegungen eigenständiger und profilierter ausfallen können. Stattdessen wird auf eine Vielzahl von Ansätzen zurückgegriffen, die noch nicht zu einem konsistenten eigenen Entwurf verschmolzen werden, sondern manches Widersprüchliche enthalten. Der Anspruch, eine systemische Perspektive für die Krankenhausseelsorge anzubieten, wird hier mehr postuliert als überzeugend eingelöst. Und auch das Verhältnis zwischen der psychoanalytischen Perspektive eines Klaus Winkler, dessen Seelsorgetheorie eine wichtige Referenz für den Vf. darstellt, und dem systemischen Ansatz bleibt ungeklärt.
Trotz der auch kritischen Einwände ist dies ein wichtiges und lesenswertes Buch sowohl für die Praktiker der Krankenhausseelsorge (auch eine selektive Lektüre ist möglich) als auch für die Seelsorgetheorie. Es macht deutlich, dass in der Krankenhausseelsorge ein Handlungsfeld christlicher Praxis vorliegt, das – jenseits von engen konfessionellen Interessen – umfassender Wahrnehmung und theologischer Reflexion bedarf, um zu Handlungsmöglichkeiten zu finden, die den komplexen existentiellen und ethischen Konflikten gerecht werden, mit denen sich im Krankenhaus Patienten und Professionelle gleichermaßen auseinandersetzen müssen.