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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

505-507

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Meyer, Holt, u. Dirk Uffelmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion und Rhetorik

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 333 S. gr.8° = Religionswissenschaft heute, 4. Kart. EUR 39,80. ISBN 978-3-17-019419-9.

Rezensent:

Katharina Scholl

Religion und Rhetorik stellen auf den ersten Blick ein recht ungleiches Paar dar. Während die Rhetorik oberflächlich betrachtet ein Regelwerk aus zahlreichen Formen und Methoden darstellt, haben wir es in der gelebten Religion auch mit der Unberechenbarkeit selbst zu tun. Die menschliche religiöse Rede steht vor dem Problem, dass durch sie Inhalte versprachlicht werden sollen, die im Sprechen selbst nie gänzlich aufgehen können. Trotz dieses Konfliktverhältnisses ist es unvermeidlich, dass die Religion mit der Rhetorik eine Allianz eingeht, da es zur Religion als einem »Bedeutungssystem« (Geertz) gehört, dass sie ihre Bedeutungen sprachlich plausibilisiert.
In diesem Aufsatzband sind Texte zusammengetragen, die sich aus literaturwissenschaftlicher, religionswissenschaftlicher und theologischer Perspektive mit einer Beschreibung der Entwicklung des Verhältnisses von Religion und Rhetorik beschäftigen. In der europäischen Kulturgeschichte gibt es bestimmte Berührungspunkte zwischen Religion und Rhetorik und ihre gemeinsame Ge­schichte ist geprägt von zahlreichen gegenseitigen Beeinflussungen. In dem Aufsatzband sollen diese Entwicklung von Religion und Rhetorik und deren Verhältnis im paradigmatischen Feld von Ost- und Westkirche sowohl historisch als auch systematisch untersucht werden.
Der Sammelband enthält die Druckfassung der Referate, die bei einer dem Thema des Buchtitels gewidmeten internationalen Ta­gung im Mai 2004 in Erfurt gehalten wurden. Herausgegeben wurde dieser Tagungsband von Holt Meyer, Professor für slawistische Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt, und Dirk Uffelmann, Professor für Ost-Mitteleuropa-Studien an der Universität Passau. – Im einleitenden Teil werden Grundfragen religiöser Rhetorik thematisiert und methodische Festlegungen benannt.

Aus theologischer Perspektive wird das Thema von Günter Bader im Aufsatz Was heißt ›Reden im Namen Gottes‹? beleuchtet: Bader thematisiert die Nähe und die Differenz des religiös sprechenden Subjektes zu der göttlichen Wirklichkeit, auf die sich sein Sprechen bezieht, und geht dabei von der Position Schleiermachers in den Reden über die Religion aus. Der Inhalt der Rede ist nun nicht mehr Gott, wie noch vor Kant, sondern das Anliegen des Redners ist die Religion. »Um aus einer Rede über Religion wie gewünscht eine solche mit Religion zu machen, stehen sich Redner und Reden selbst im Weg. Die Reflexion trennt. Das Geschäft des Redens gelingt nur in der Re­gion der Zweiheit oder der Entzweiung. Religion ist Anschauung und Gefühl.« Von Schleiermacher als Denker der Einheit unter Realbedingungen von Zweiheit, geht Bader dann zu Roman Jakobson über, bei dem die Zweiheit ein Motiv ist, das in der Theorie der Zwei­achsigkeit von Sprache Gestalt gewonnen hat. Um Jakobson theologisch fruchtbar zu machen, ordnet Bader das vormoderne Reden im Namen Gottes dem Pol der Kontiguitätsstörung zu und das Reden im Namen der Religion ordnet er dem Pol der Similaritätsstörung zu. Auf Grund von Jakobsons Kritik ergibt sich dann ein drittes Modell für das Reden im Namen Gottes jenseits von Gott, aber auch jenseits von Religion. Reden im Namen Gottes geschieht immer im Schnittpunkt zweier Achsen. Ein solcher Schnittpunkt tritt paradigmatisch immer dann auf, wenn in der Bibel das hebräische Tetragramm auftaucht. Im Namen tritt der Schnitt der Achsen ein, der die Bedingung der Möglichkeit jeglichen religiösen Sprechens ist. Zum Schluss seiner Darlegung stellt Bader die unterschiedlichen Verhältnisse von Name und Wort in Orthodoxie, Katholizismus und Protestantismus heraus.

Der zweite Teil des Bandes beschäftigt sich mit der religiösen Rhetorik im Konflikt mit dem Säkulären.

Besonders eindrücklich ist in diesem Teil der Aufsatz von Holger Kuße mit dem Titel Sprachliche Markierungen des Religiösen bei Avvakum, in dem sich der Autor mit dem Altgläubigen Avvakum auseinandersetzt, der zur Zeit des Raskol im Russland des 17. Jh.s in seinen Schriften die Unverwechselbarkeit religiöser Rede proklamiert und die grammatische sowie rhetorische Bildung der lateinischen Akademien für einen Angriff auf die göttliche Wahrheit hält. Dem hohen sakralen Stil setzt Avvakum die profane russische Volkssprache entgegen und will so einen authentisch religiösen Diskurs erhalten.

Es schließt sich eine Reihe von Aufsätzen an, die sich mit der re­ligiösen Rhetorik im Konflikt mit dem Ästhetischen auseinandersetzen.

Ingunn Lunde geht in Enárgeia und sakraler Diskurs. Zu den Formen der Redewiedergabe in Nestors Leben des Heiligen Feodosij anhand einer altrussischen Vita der Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit und dem Paradoxon des »Aussprechens des Unaussprechbaren« nach. Der Autor stellt dabei die rhetorische Methode der enárgeia als eine Repräsentationsstrategie heraus, die ein Geschehen nicht nur beschreibt, sondern den Zuhörern den Gegenstand vor das innere Auge führt, damit diese in eine Art Gleichzeitigkeit mit dem erzählten Geschehen eintreten und um die unsichtbare Bedeutung des Dargestellten zu vermitteln. Die enárgeia will dem Realität verleihen, was gegenwärtig abwesend erscheint, und ist so verbal geschaffene Evidenz.

Die Beiträge, die im abschließenden Teil zusammengefasst sind, beschreiben die religiöse Rhetorik im interkulturellen und interkonfessionellen Bereich.

Sehr eindrücklich bemüht sich Gonsalv K. Mainberger in seinem Aufsatz Religion, Rhetorik und Repräsentation. Die Beziehungen zwischen Bild und Text am Beispiel von Philippe de Champaigne um das Verhältnis zwischen Wort und Bild und die Beziehung zwischen religiöser Rhetorik und rhetorisch kodierter Religion. Mainberger problematisiert eine Form des religiösen Diskurses, der die Rhetorik zum reinen Ornat degradiert, und spricht sich für eine Religion aus, die ihre Sendung darin sieht, dem freien Wort Raum zu geben, in dem die Wahrheiten, die es transportiert, immer wieder neu Gestalt gewinnen können.

Insgesamt betrachtet ist die Interdisziplinarität des Bandes aus theologischer Perspektive wohl besonders interessant, denn ich denke, die Herausgeber haben durchaus Recht, wenn sie problematisieren, dass genuin theologische Entwürfe zu diesem Thema häufig Schwierigkeiten damit haben, die Rhetorik als integralen Be­standteil des Sakralen zu konzeptionalisieren. Dennoch wäre es m. E. wünschenswert gewesen, eine homiletisch orientierte Verhältnisbestimmung in den Band aufzunehmen, da es sich dabei um das theologische Feld handelt, bei der sich die Frage nach Rhetorik und Religion am prägnantesten stellt. An einigen Stellen des Bandes wird deutlich, dass der Begriff der Partizipation ein zentrales Merk mal, das Rhetorik und Religion miteinander verbindet, darstellt. In rhetorischen Vollzügen geht es um Plausibilisierungen, in denen Inhalte sich für den Zuhörer als evident herausstellen. Und genau von dieser inneren Dynamik der Plausibilisierung ist jeder religiöse Diskurs geprägt. Die religiösen Inhalte, die in der Kommunikation transportiert werden, haben ihren Wahrheitsanspruch nicht durch sich selbst, sondern erhalten ihn, indem sie durch rhetorisch kodierte religiöse Kommunikation plausibilisiert werden und so für das glaubende Subjekt gleichsam Realität gewinnen.