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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1079–1081

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Knape, Joachim

Titel/Untertitel:

Philipp Melanchthons "Rhetorik"

Verlag:

Tübingen: Niemeyer 1993. XII, 174 S. m. Abb. gr. 8°. Kart. DM 98,­. ISBN 3-484-68006-7

Rezensent:

Michael Beyer

Vorliegendes Buch ist in mehrerer Hinsicht eine ebenso wichtige wie problematische Veröffentlichung, problematisch ­ um das vorwegzunehmen ­ wegen der Art der Veröffentlichung unterschiedlicher genera librorum in einem, außerdem noch relativ schmalen Band. Denn K. gibt hier erstmals einen großen Teil der letzten der drei Rhetoriken Melanchthons, der "Elementa rhetorices" von 1531, in einer deutschen Version wieder. Dies wird allerdings aus dem Titel des Buches nicht deutlich und kann zu Mißverständnissen führen, zumal auch kein Untertitel die bibliographische Einordnung erleichtert.

Der Titel, so wie er ist, läßt zunächst eine monographische Untersuchung vermuten, nicht aber eine Übertragung. Leider verzichtet der Vf. darauf, den gesamten Text der "Elementa..." im Deutschen wiederzugeben. Das ersparte Drittel kommt gewiß dort zum Fehlen, wenn man den Text selbst als historisches Material betrachtet und erforschen möchte. Denn wenn Melanchthon Beispiele für Tropen oder topoi nennt, entdeckt der Leser z. B. regelmäßig Aussagen des Apostels Paulus oder Äußerungen zu der für das 16. Jh. so überaus existentiellen und auch theologisch gewichtigen Türkenkriegsproblematik, also eine Fülle interessanten Materials für Theologen und Historiker. Gar nicht mehr nachvollziehbar ist das Auslassen von etwa zwei Spalten Text innerhalb des Kapitels "De quattuor sensibus sacrarum literarum" (147, Sp. 469 f. des Faks.), wo Melanchthon im Anschluß an eine strenge Ablehnung der allegorischen Schriftauslegung entsprechend dem vierfachen Schriftsinn dann doch noch der Allegorie etwas abgewinnen kann. Der genannte Personenkreis wäre gewiß nicht verärgert, erschlösse man ihm von rhetorisch-philologisch kompetenter Seite einmal in toto ein solches Werk neu. Denn einer wirklich breiten Melanchthonrezeption selbst innerhalb der reformationsgeschichtlichen Forschung steht schlicht der Umstand entgegen, daß es sich beim Praeceptor Germaniae um einen beinahe ausschließlich Latein schreibenden Autor handelt. Und angesichts eingesetzter Besinnung der (kirchen)historischen Zunft auf die überaus wichtige Rolle der Rhetorik im Geistesleben des 16. Jh.s dürfte ein genaueres Wissen darüber, was Melanchthon als "Rhetorik" gelehrt hat, auf großes Interesse stoßen.

Schließlich, um bei der dritten Abteilung der Überraschungen innerhalb dieses Bandes zu verweilen, findet sich ein schlichtes, gänzlich unkommentiertes Faksimile einer "Elementa..."-Ausgabe von 1531, allerdings nicht das Faksimile eines zeitgenössischen Druckes, sondern das der letzten vollständigen Edition von Karl Gottlieb Bretschneider und Heinrich Ernst Bindseil aus dem 13. Band des "Corpus Reformatorum". Der Grund für dieses merkwürdige Verfahren liege in der Seltenheit des CR. Ganz abgesehen davon, daß das CR so selten gar nicht ist, wie der Vf. glauben möchte, stimmt zumindest an dieser Stelle das Preis-Leistungs-Verhältnis keinesfalls mehr. Xerokopierer der betreffenden Spalten des CR bekämen nicht einmal Probleme mit dem Copyright. Das Geheimnis des vorliegenden mixtum compositum wird vom Vf. gegen Ende der Einleitung gelüftet: In bezug auf Melanchthons Rhetorik sei noch viel Forschungsarbeit zu leisten, was wohl soviel heißt, daß eine echte Neuedition noch nicht möglich ist. Gleichwohl müsse Studenten der Zugang zu einem solchen Werk möglich sein.

Man hat also alles beieinander: den Originaltext ­ freilich in einer Edition aus der ersten Hälfte des 19. Jh.s ­, eine Übertragung ­ freilich in Teilen ­ und schließlich eine umfangreiche Einführung. Läge ein Grundtext vor, wenn schon nicht neu editiert und kommentiert, aber zumindest nach dem Textbestand gesichert, und stünde ihm eine vollständige Übertragung gegenüber, dann erübrigte sich jede Frage nach dem Sinn einer solchen Ausgabe. Im Gegenteil, damit wäre das Material sehr gut bereitgestellt. Als Beilage zu einem solchen Band wäre das Faksimile des Druckes letzter Hand von 1542 durchaus willkommen. Sollte der Vf. einmal Gelegenheit haben, ein solches Werk vorzulegen und es ­ wie er selbst zu erwägen scheint ­ vielleicht sogar noch ergänzt um die anderen rhetorischen Schriften Melanchthons, dann wäre ihm interdisziplinärer Beifall gewiß sicher.

Abgesehen davon, daß Übersetzungen immer sehr stark der Kritik unterliegen, was oftmals nicht an eigentlichen Fehlern, sondern eher am unterschiedlichen sprachlichen Vorstellungshintergrund von Übersetzern und Rezipienten liegt, unterscheidet sich die erarbeitete Fassung des lateinischen Textes wohltuend von den sogenannten "philologisch genauen Übersetzungen". Sie quält sich und den Leser also nicht durch die vor allem im 19. Jh. aufbereitete lateinisch-deutsche Lexik und einen wenig kongenialen Nachbau lateinischer Syntax im Deutschen, sondern bedient sich eher der Übertragung von Sinn zu Sinn. Damit kommt sie einem Übersetzerideal nahe, dem sich etwa Melanchthons Wittenberger Kollege Martin Luther verpflichtet fühlte. Der Vf. ist sich deutlich bewußt, daß die Philologenschaft sehr genau darüber wacht, was als wissenschaftliche Übersetzung gelten kann und was nicht. Vielleicht nennt er deshalb die eigene Leistung mit weisem understatement eine "paraphrasierende Übertragung". Doch damit offeriert er uns einen deutschen Melanchthon, der trotz der einigermaßen trockenen Materie leicht und verständlich lesbar ist. Hervorzuheben ist hierbei die Methode, innerhalb des fortlaufenden deutschen Textes die lateinischen Fachtermini in Klammer zu wiederholen, ein Verfahren, das den Zugang zur Materie erleichtert.

Dennoch soll hier noch einmal der Hinweis stehen, daß diese Art des Übertragens die ständige, parallele Kontrolle am lateinischen Text selbst benötigt, um damit ein fortlaufendes Überprüfen eigener Gedankengänge im Verhältnis zu beiden Texten zu ermöglichen. Der Leser wird im modernen Deutsch bei bestimmten Begriffen, zumal wenn sie alte, eingeführte Begrifflichkeit erläutern und neue einführen müssen, häufig mißverständlich konnotieren. Das Nebeneinander von lateinischem und deutschem Text dürfte dabei vieles von Anfang an zurechtrücken. Außerdem wird der ständig parallel aufnehmende Leser das Latein selbst in einer viel breiteren Ausdrucksmöglichkeit kennenlernen, als sie ihm im Gefolge der objektiv insgesamt abnehmenden Latinität vorher bewußt war.