Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2009

Spalte:

492-494

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schüßler, Werner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wie lässt sich über Gott sprechen? Von der negativen Theologie Plotins bis zum religiösen Sprachspiel Wittgensteins.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008. 341 S. gr.8°. Geb. EUR 79,90. ISBN 978-3-534-19616-6.

Rezensent:

Friedo Ricken

Die 18 Beiträge dieses Bandes spannen einen weiten Bogen: von Plotin bis Wittgenstein und vom spätantiken Rom bis in den Fernen Osten. Sie zeigen, dass die Frage nach dem Sprechen über Gott nur im Rahmen des Ganzen einer Theologie oder Religionsphilosophie gestellt werden kann. Die Grenzen zwischen Philosophie, Theologie und Religionswissenschaft verschwimmen; allenfalls lässt sich bei den dargestellten Klassikern von einem unterschiedlichen Schwerpunkt sprechen. Eine Thema, das wie ein roter Faden den gesamten Band durchzieht, ist die Frage nach der negativen Theologie: Besteht die einzige Möglichkeit des Sprechens über Gott darin, zu sagen, was er nicht ist? Die eigentliche Frage des Bandes, das Reden von Gott, wird in den einzelnen Beiträgen in unterschiedlichem Ausmaß thematisiert.
Den wichtigsten Ertrag dieses Bandes sehe ich darin, dass an­hand der dargestellten religionsphilosophischen Ansätze die vielfältigen Funktionen und die vielen möglichen Formen einer reli­giösen Sprache gezeigt werden.
Das vom transzendenten Einen Hervorgebrachte, so die Antwort Plotins auf die Frage im Titel des Buches, berechtigt zu Aussagen über Es. Das sind keine adäquaten Aussagen, sie treffen nicht das Ansich des Einen, aber sie verfehlen es auch nicht gänzlich (Klaus Kremer). Die Kirchenväter mussten gegenüber den Tendenzen im Heidentum, welche die Unsagbarkeit des Göttlichen betonten, die Möglichkeit einer positiven Theologie zur Geltung bringen, sich aber dann in der Auseinandersetzung mit dem Arianis­mus wiederum gegen einen theologischen Rationalismus weh­ren (Michael Fiedrowicz). Thomas von Aquin übernimmt von den Platonikern die Lehre vom dreifachen Weg der via affirmationis, negationis und eminentiae. Eine Verneinung ist nur zu verstehen, wenn sie auf einer Bejahung beruht; würde der menschliche Verstand nicht etwas von Gott bejahend erkennen, könnte er nichts verneinen (Norbert Ernst). In einem Aufsatz, der sich wohl eher an den Spezialisten wendet, geht Klaus Kremer der Frage nach, ob Nikolaus von Kues im Lauf seiner Entwicklung den Vorrang der negativen Theologie in Frage gestellt habe.
Schleiermachers Bestimmung der Religion als »Anschauung und Gefühl« soll die Eigenständigkeit der Religion gegenüber der Metaphysik und der Moral erweisen. Schleiermacher verbindet im Anschauungsbegriff ein passives und ein aktives Moment, den Einfluss des Angeschauten auf das Bewusstsein und die subjektive Tätigkeit des Anschauens. So soll sichergestellt werden, dass es sich nicht um eine bloße subjektive Projektion handelt, ohne dass dabei die subjektive Tätigkeit unterschlagen wird (Christian Danz). Religion besteht nach Rudolf Otto nicht nur aus definierbaren Begriffen; sie umfasst auch irrationale Momente, und diese (das »Nu­minose«) sind rationalen Momenten übergeordnet. Die religiöse Sprache ist als performative Sprache zu verstehen, durch die das Numinose angestoßen, geweckt und zum Klingen gebracht wird (Markus Perrenoud). Karl Barth distanziert sich von der philosophischen Theologie der scholastischen Tradition, indem er an die Stelle der analogia entis die analogia fidei setzt. Er will die Rechtfertigungslehre auch in der Semantik zur Geltung bringen. Auch hier ist der Mensch unbedingt auf Gottes Gnade angewiesen: Er besitzt die Analogie nicht, sondern er erhält sie geschenkt (Dirk-Martin Grube). Ein entsprechendes Motiv steht hinter Bultmanns Programm der Entmythologisierung: Der Mythos verobjektiviert Gott und das Heil, und das ist ein Streben nach Sicherheit. Der Mensch kann sich von der Uneigentlichkeit und Weltverfallenheit nicht selbst freimachen, sondern nur durch eine Tat Gottes freigemacht werden (Erdmann Sturm). Bonhoeffers Anliegen ist, wie wir ohne Religion, d. h. ohne Metaphysik, von Gott sprechen können. Wir brauchen eine nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe, die von den Erfahrungen und Fragen der Menschen und von einer positiv verstandenen Diesseitigkeit ausgeht (Andreas Rössler). Im Mittelpunkt des Denkens von Paul Tillich steht das Thema ›Symbol‹. Die religiösen Symbole decken die Tiefendimension der Wirklichkeit auf, die auf keine andere Weise sichtbar gemacht werden kann. Sie können allen Bereichen der Wirklichkeit entstammen, weil alles Endliche auf dem letzten Seinsgrund ruht (Werner Schüßler).
Die »Gottesfinsternis« des modernen Menschen beruht nach Martin Buber darauf, dass wir in verdinglichenden Ich-Es-Beziehungen leben und die Ich-Du-Beziehung nicht mehr genügend wahrnehmen. Zu dieser Entwicklung haben Religion und Philosophie beigetragen. In der Philosophie wird Gott zu einer Idee, und diese Idee Gottes wird in einer platonistischen Tradition als die eigentliche Sicht Gottes angesehen (Martin Leiner). Johann Baptist Metz kritisiert unter dem Stichwort ›Gotteskrise‹ ein Christentum, in dem die Vernünftigkeit über das Gebet und die Nachfolge ge­siegt hat; einen Glauben, der aufgehört hat, artikulierte Klage an der Seite der Opfer zu sein (Tiemo Rainer Peters). Nach Henri de Lubac ist die spezifisch theologische Denkform das Paradox. Es dient als Begriff für die formale Struktur des Geheimnisses, insofern bei der Bezeugung der göttlichen Selbstmitteilung in menschlicher Sprache Realitäten miteinander in Einklang gebracht werden müssen, deren positive Synthese die Kraft menschlichen Denkens übersteigt (Rudolf Voderholzer). Jaspers unterscheidet zwi­schen einem »formalen« und einem »gehaltvollen« Transzendieren. Das formale Transzendieren soll das Dass Gottes erfassen; das gehaltvolle Transzendieren bedient sich der Chiffern, um Gottes Was zu bestimmen. Die Frage, ob dieses Denken noch in der Tradition der negativen Theologie steht, ist zu verneinen (Werner Schüßler). In Ricœurs hermeneutischer Phänomenologie der Religion ist zu unterscheiden zwischen einer frühen Phase, der Hermeneutik des Symbols, und seiner späten Religionsphilosophie, der Hermeneutik des religiösen Textes. Der religiöse Diskurs tritt in einer Vielzahl von Formen auf. Die literarischen Gattungen der Bibel sind nach Ricœur konstitutiv für den Inhalt; er hält deshalb den Versuch, einen von der Form unabhängigen Inhalt herauszuarbeiten, für unangemessen. Im Vollzug des Glaubens eignet der religiöse Mensch sich den Inhalt der Texte an. Glaube ist unbedingtes Vertrauen; Aneignen bedeutet, sich selbst zu verstehen und sich dabei von sich selbst zu distanzieren (Peter Welsen). Bei Lyotard und Derrida geht es nicht um die Rede von Gott, sondern um die Rede von der Transzendenz, die theistisch verstanden, aber auch areligiös interpretiert werden kann. Mit seiner Philosophie der Alterität trägt Levinas zur Renaissance der philosophischen Theologie bei; seine Gedanken zum Begriff des Unendlichen befassen sich ausdrücklich mit der philosophischen Rede von Gott. Alle drei Philosophen rezipieren in ihrem Verständnis von Transzendenz die Tradition der negativen Theologie (Saskia Wendel). Religiöse Riten sind nach Wittgenstein nicht Ausdruck von irrigen Theorien über die Welt, sondern Mittel des reflektierten Umgangs mit der Sinnoffenheit des Lebens. Wittgensteins Philosophie zielt auf eine veränderte geistige Haltung; die richtige Weltsicht schließt für ihn die religiöse Sinndimension ein (Andreas Koritensky).

Der Band schließt mit einem Beitrag über gewisse Grundzüge des Daoismus und des Buddhismus, die das Sagen des Unsagbaren betreffen; Themen sind Leere, Relativität, Paradoxie, Namenlosigkeit, Wissen des Nichtwissens. Der Vergleich zeigt nochmals die Spannweite der religiösen Sprache. In der dargestellten Richtung des Buddhismus finden sich eine Erkenntnistheorie und eine streng durchgeführte Logik; diese Schule führt den Jünger in eine schwindelerregende Höhe des Denkens, um ihn dann in die Bodenlosigkeit abstürzen zu lassen. Demgegenüber ist das Denken der beiden dargestellten Repräsentanten des Daoismus spielerischer und ihre Sprache poetischer; sie sprechen in Bildern und Gleichnissen. Ihre Philosophie ist eine Lebenskunst, die sich an der Widersprüchlichkeit des Lebens erfreut, anstatt zu versuchen, es in einen logisch haltbaren Sinn zu pressen.