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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

479-480

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Meyer zu Schlochtern, Josef

Titel/Untertitel:

Interventionen. Autonome Ge­gen­wartskunst in sakralen Räumen.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2007. 256 S. m. zahlr. Abb. gr.8° = Ikon. Bild und Theologie. Kart. EUR 32,90. ISBN 978-3-506-75639-8.

Rezensent:

Thomas Erne

Die von Alex Stock und Reinhard Hoeps herausgegebene Reihe »Ikon« bürgt für das hohe Niveau katholischer Bildtheologie. Das bestätigt auch Josef Meyer zu Schlochtern, Fundamentaltheologe in Paderborn, mit seinem in dieser Reihe erschienenen Band »Interventionen«, einem Beitrag zum Verhältnis von sakralen Räumen und einer autonomen, an Prozessen in bestimmten Räumen interessierten, daher auch temporären, den Betrachter als Akteur involvierenden Installationskunst. Auf evangelischer Seite hat Frank Hiddemann eine vergleichbare Position zur Site-specific Art im Kirchenraum entwickelt, die keine Werke in vorgegebene Räume stellt, sondern den Raum selbst und mit ihm seine Akteure verwandeln will. Ausgangssituation für den Vf. sind zwei Kirchen in Paderborn, die Bartholomäuskapelle und die Marktkirche (Letztere wird regelmäßig für Gottesdienste genutzt), und der nicht religiös genutzte, aber auratische Quellkeller der Kaiserpfalz. In diese Räume greifen verschiedene Künstler mit ästhetischen Mitteln ein, daher der Titel: Interventionen. Die Arbeiten, temporäre Installationen auf hohem Niveau, werden im zweiten Teil mit vorzüglichen Fotos, Kommentaren zur Vita der Künstler und zur raumbildenden Qualität ihrer Arbeit dokumentiert. Warum soll autonome Kunst überhaupt in sakrale Räume eingreifen und sie nach ihren Maßstäben verändern und verwandeln? Die Frage, die dieses Projekt aufwirft und die vor dem Hintergrund eines »amtlichen Verständnis von sakralen Räumen« (64) eine eigentümlich katholische Brisanz erhält, beantwortet der Vf. im ersten Teil des Bandes, indem er zunächst grundbegrifflich klärt, was Raum ist, und vor diesem Hintergrund die Sakralität des Raumes zu erfassen sucht. Ausgehend von der Differenz von physikalischem Objektraum und leiblich situiertem gelebtem Raum hält er als Grundbestimmung des gelebten Raumes fest: Es geht um eine »ursprüngliche Einheit von Mensch und Raum, die sich von der Leibkonstitution des Menschen her ergibt« und die »den reflexiven Vergegenständlichungen vorausliegt« (23). Diesen ursprünglichen Raum erfährt man im unmittelbar leibhaften Betroffensein und spürenden Gewahrwerden (vgl. 23.29). Dagegen möchte man einwenden, dass man sich seines Ursprungs nur gewahr werden kann, insofern man ihn verlässt, also in Distanz und durch Rückfragen. In Richtung dieses Einwandes liegt die vorsichtige Kritik, die der Vf. an Schmitz übt. Die Raumatmosphäre, die nach Schmitz für das leibliche Selbst randlos ergossen ist, muss in Relation zur Atmosphäre der Dinge im Raum gesehen werden (vgl. 29). Ohne solche Übersetzung in dingliche Zeichen bleibt das Interesse an Raumatmosphären, obwohl leiblich situiert, leer und abstrakt.
Einen Gewinn an Prägnanz bietet auch die Differenz von Raum und Ort (vgl. 32–38). Der Raum wird lebensweltlich greifbar, wenn man ihn, wie Heidegger, von bestimmten, raumbildenden Orten her denkt. Diese Phänomenologie des Raumes will der Vf. als »Folie für eine Beschreibung von heiligen Orten und heiligen Räumen« (40) verstanden wissen. Allerdings kommen die Ergebnisse in der Analyse heiliger Räume überhaupt nicht vor. Die Sakralität des Raumes entwickelt der Vf. vielmehr strikt religionsgeschichtlich. Ausgangthese ist die für alle Religionen charakteristische topographische Selbstmanifestation des Göttlichen, aus der die basale Differenz von heiligen und profanen Orten hervorgeht. Judentum und Christentum entdifferenzieren diese Entgegensetzung in zwei Schritten. Während im Judentum die Gegenwart Gottes mit Ausnahme des Tempels nicht mehr an feste Orte gebunden ist, sondern an bewegliche Dinge, Stiftszelt, Thorarolle, ist im Christentum der Ort der Gegenwart Gottes überhaupt kein Kultort mehr, sondern Christus selbst. Die Geschichte des Kirchenbaus lässt sich daher als ein Rückfall in eine Resakralisierung von Orten und Räumen rekonstruieren, domus ecclesiae wird wieder zu domus Dei, die auf Grund der exklusiven »Lokalisierung« des Heils in Christus im frühen Christentum bereits überwunden war (vgl. 61). Dass diese »Resakralisierung von Kirchen als heilige Orte … erst im 20. Jahrhundert«, und zwar im II. Vatikanum aufgelöst worden ist, mag für die katholische Kirche zutreffen, für Luther und den Protestantismus sicher nicht. Im Ergebnis präsentiert der Vf. ein »amtliches« katholisches Verständnis der Sakralität des Raumes, dem auch Protestanten einiges abgewinnen können: »Wir bezeichnen die Gottesdienstorte und -räume des Christentums als sakral, sofern sie aus Achtung vor dem heiligen Geschehen des Gottesdienstes diesem Ge­brauch vorbehalten bleiben« (65). Sakral ist folglich nicht der Raum, sondern das Geschehen, der in der Liturgie aufgespannte »Ort des Gebetes«. Warum dann die Autonomie der Kunst zu einer Spannung mit der Religion führt, ist nicht ohne Weiteres einzusehen. Im selben physikalischen Raum bewegen sich Kunst und Religion in unterschiedlich gelebten Räumen. Autonome Kunst artikuliert ein Unentdecktes in Räumen, und zwar die »vorausliegenden anthropologischen oder historischen Merkmale« (74), so kommen die Bestimmungen der phänomenologischen Analyse in der Raumarbeit der Kunst wieder zum Zuge, während die Religion im Vollzugsraum der Liturgie agiert und im Kirchenraum nur Hinweis auf dieses heilige Geschehen hinterlässt. Trotz der immer wieder betonten »Differenz der Perspektiven« (71) ergänzen sich im Prinzip autonome Kunst und Religion. Nicht Irritationen oder Zumutungen sind daher das Problem, sondern dass die ästhetische Semantik, etwa die Ikonen-Abdrucke von Dorothee von Windheim, »sogleich in die religiöse Semantik integriert werden« (71). Wie passgenau das Verhältnis ist, zeigen Christina Kubischs Klang- und Lichtinstallationen. Sie decken in einer Art Archäologie der Zeit die mitlaufenden Hintergründe der Liturgie auf. Geschichtlichkeit, die »zu diesem Raum selbst zugehört, obgleich es die meisten Besucher übersehen oder überhören« (176). Man fragt sich, was die raumbezogene Arbeit der Kunst zu Tage fördert, wenn eine Phänomenologie zu Grunde gelegt wird, die sich nicht an Ursprungsphänomenen orientiert. Würden die Phänomene als Sinnbildungen in offenen Horizonten beschrieben, dann käme ein Unentdecktes in den Blick, das im Sichtbaren und Hörbaren nicht nur überhört oder übersehen wird, sondern nicht hörbar, nicht sichtbar ist und dessen Spur in der Kunst verfolgt wird als ein Fremdes, Ausgeschlossenes, Anderes des Sichtbaren und Hörbaren an der Grenze liturgischer Regelsysteme wie auch konventioneller Sichtweisen. »Interventionen« sind ein gelungenes Beispiel, wie begriffliche Arbeit, dichte Beschreibung und künstlerische Arbeit ineinandergreifen können. Ein Lesebuch voller Entdeckungen und überraschender Einsichten, das mit der Beziehung auf den Raum eine neue produktive Perspektive für das Zusammenspiel von autonomer Gegenwartskunst und christlicher Religion anbietet.