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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

476-478

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Hoeps, Reinhard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch der Bildtheologie. Bd. I: Bild-Konflikte. Hrsg. unter Mitwirkung v. F. Boespflug, A. DeSantis, U. Franke, D. Ganz, F. Gniffke, R. Hoppe-Sailer, G. Lange, G. Larcher, Th. Lentes, W. E. Müller, J. Rauchenberger, Th. Sternberg u. A. Stock.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2007. 419 S. u. 8 Taf. m. Abb. gr.8. Geb. EUR 44,90. ISBN 978-3-506-75736-4.

Rezensent:

Philipp Stoellger

Das ›Handbuch der Bildtheologie, Band I: Bild-Konflikte‹ ist der erste von vier Bänden. Der zweite Band wird die »Funktionen des Bildes in christlich-religiösen Zusammenhängen« behandeln, der dritte unter dem Titel »Zwischen Zeichen und Präsenz« die »Verfahren des Bildes, religiös relevante Bedeutung zu vermitteln und zu stiften« und der vierte »Kunst und Religion« »den wissenschaftstheoretischen Zusammenhang der Bildtheologie« besonders im Blick auf die Kunst von Moderne und Gegenwart (14).
Vorab und kurz gesagt: Das Projekt ist so wünschenswert wie sinnvoll konzipiert und der erste Band ein überaus gelungener Auftakt. Wünschenswert ist es, weil die Frage nach dem Bild in theo­logischer Perspektive (14) trotz aller bisherigen Arbeiten zum Thema der Weiterführung und Ausarbeitung bedürftig ist, einerseits weil das Christentum nicht vom Wort allein, sondern auch in und von Bildern lebt; andererseits in Zeiten, in denen ›alles voll von Bildern‹ ist. Sinnvoll konzipiert ist es, sofern Bildkonflikte, Funktionen, Verfahren und das Verhältnis zur Kunst entscheidende Topoi des Feldes markieren. Denkbar wäre des Weiteren, auch Gebrauchsformen bzw. Verwendungsweisen zu untersuchen, Formen der Bildlichkeit jenseits der Kunst (etwa Bauten, Plätze, Sakramente, Inszenierungen, Gesten), Bilder ›jenseits‹ der Kunst etwa in AV-Medien und dem www, oder auch ›unanschauliche‹ Bilder in Me­dien wie Sprache, Schrift und Imagination.
In seiner Einleitung erklärt R. Hoeps, die ›Brisanz der Bilder im Christentum‹, die darin besteht, dass es in Wort und Texten gründet (stimmt das?), um die herum sich »der Hof einer Bildkultur« ausbreite. Bilder ›trotz allem‹, trotz der Orientierung an Wort und Sakrament, zeigen deren Unverzichtbarkeit an, wenngleich deren Macht und Eigendynamik immer wieder Kritik auf sich zog und die titelgebenden ›Bildkonflikte‹ provozierte, spätestens seit Moses und Aaron. »Bildtheologie entfaltet sich in Konfliktgeschichten«, meint Hoeps (16). Doch sie könnte auch eine Theologie am Leitfaden der Bilder sein (vgl. A. Stock) oder eine Theologie, die nicht am Wort allein, sondern an den supplementären Formen der Bildlichkeit orientiert wäre.
Die Geschichte der Bildkonflikte wird eröffnet von H. Niehr, ›Einblicke in die Konfliktgeschichte des Bildes im antiken Syrien-Palästina‹ (25–52), in der u. a. die Befunde der Keel-Schule dargestellt werden. A. De Santis, ›Götterbilder und Theorie des Bildes in der Antike‹ (53–80) stellt »die griechische Gottesauffassung« dar (54 ff.), um von ihr her die Bildbegriffe zu unterscheiden: eidolon als Scheinbild des Toten im Totenreich (60.62), eikon als Abbild, Gleichnis und wahrer Schein (63); und agalma als Götter- und Kultbild (63 f.). Daran schließt sich eine kurze Geschichte der philosophischen Theorie des Bildes (64–79) von den Vorsokratikern bis zur Stoa an. Damit zeichnet sich eine Tendenz ab, die diesen Band auch in anderen Beiträgen bestimmt: Anstatt Bild-Realien zu bieten, werden die philosophischen und theologischen Theorien des Bildes (oder des Bildbegriffs) dargestellt. So verfahren die Beiträge von F. Boespflug/O. Christin, ›Das Konzil von Trient und die katholischen Traktate De imaginibus (1522–1680)‹ (241–261), G. Scholtz, ›Das Bild im Denken Schleiermachers (286–299)‹, U. Franke, ›Schelling und Hegel über die christliche Malerei‹ (300–314) und R. Hoeps, ›Fried­rich Schlegel über Christliche Kunst‹ (326–338).
De Santis weiterführend behandelt F. Gniffke ›Bilder und Götterstatuen im Neuplatonismus‹ (81–119) von Plotin über die Chaldäischen Orakel, die Theurgie, Porphyrios, Jamblich und Julian bis zu Proklos. Wie Metaphern und (Kunst-)Mythen werden Bilder ›capax infiniti‹, wenn Götter als ›capax finiti‹ aufgefasst werden. ›Theurgie‹ (analog zu Theologie) sind solche ›Werke‹ der Götter, in denen Menschenwerke im Kult symbolische Funktion übernehmen können für den rituellen Weg zur Erlösung der Seele (95.107 f.), ohne dass die Götter selbst materiell gebunden gedacht werden dürfen (97–100.104). Damit sind Grund und Grenze des Kultbildes umrissen und das Feld der christlichen Bildkonflikte ist skizziert.
Diese Konflikte erörtert A. Stock in seinem Beitrag ›Frühchristliche Bildpolemik. Das Neue Testament und die Apologetik des 2. Jahrhunderts‹ (120–138). J.-M. Spieser, ›Die Anfänge der christlichen Ikonographie‹ (139–170), hat die schwierige Aufgabe, die Leitthese der Bilderfreundlichkeit des Christentums und seiner Bildproduktivität nachzuweisen – und das gelingt eindrucksvoll. Die christliche Bildproduktion beginnt im Umfeld der Grabkunst (145–155, schon ab Beginn des 3. Jh.s?), in der die Christen versuchen, »sich sichtbar zu machen« (152, vgl. 154). Im 4. Jh. wurde das Bildrepertoire identifizierbar christlich revidiert in Differenz zum Verzicht oder Verbot der Gottesdarstellung, indem Gott »in der menschlichen Form« dargestellt wurde (161).
Mit G. Lange, ›Der byzantinische Bilderstreit und das Bilderkonzil von Nikaia (787)‹ (171–190), springt das Handbuch in das 7. und 8. Jh. Nach einer klärenden Zusammenschau der Argumente pro und contra des Bildes gibt er im Wesentlichen eine kirchen- und dogmengeschichtliche Hin- und Ausführung zum Bilderkonzil. Ein eigenes Kapitel zu Ikonen, deren Verehrung und kulturelle Einbettung lässt das Handbuch leider vermissen.
J. Wirth behandelt ›Die Bestreitung des Bildes vom Jahr 1000 bis zum Vorabend der Reformation‹ (191–212), während der Historiker Th. Lentes die ›Bildbestreitung in der Reformation‹ unter dem Titel ›Zwischen Adiaphora und Artefakt‹ untersucht (213–240). »Offenbar brach der Streit um die Bilder jeweils dann aus, wenn die Grundlagen des kulturellen Gedächtnisses sowie der religiösen Überlieferung neu befragt und die Medien der Vermittlung des Zugangs zum Jenseits [?] neu definiert wurden. Bildbestreitung dürfte mithin allem anderen voran Signum kultureller Reformzeiten sein« (215). Als bemerkenswerte Folge der reformierten Bildkritik macht Lentes die »Freisetzung des Bildes als Artefakt« verständlich, d. h. die Genese der Autonomie von Kunst und Künstler jenseits der Religion (231–239).
Über die anschaulichen und lehrreichen Ausführungen von D. Ganz/G. Henkel, ›Kritik und Modernisierung. Der katholische Bildkult des konfessionellen Zeitalters‹ (262–285), wird die Brücke geschlagen zu den Bildkonflikten im 20. und 21. Jh. A. Stock erörtert ›Religion und Kunst im Widerstreit. Konfliktzonen des 20. Jahrhunderts‹ (339–353), während J. Rauchenberger in seinem Beitrag ›Bestreiten, aber unterlaufen. Zum Kreativitätspotential zwischen christlichen Bildwelten und Gegenwartskunst am Beginn des 21. Jahrhunderts‹ (354–375) die Potentiale der erhellenden und kritischen Differenz von Kunst und Religion sondiert. Statt die Gegenwartskunst religiös zu inkorporieren oder ihre Autonomie theologisch schlicht zu affirmieren, fragt Rauchenberger: »Welche Lehren [?] kann die Theologie aus der Bearbeitung des Bildlichen für ihre eigenen Imaginationen ziehen?« (371); und: »Sind aus ihnen auch neue Sprachvermögen für die Religion zu entwickeln?« (373). Diese Fragen sind von einer Nachdenklichkeit, dass sie der künftigen Arbeit der Theologie ›Vor einem Bild‹ lange nachgehen dürften.
Der Band ist ausgesprochen ›gut und nützlich‹ zu lesen. Er ist gerade für eine Theologie im Zeichen des (kritisch gewordenen) Schriftprinzips eine unerlässliche Gegenprobe angesichts der Wirkungsgeschichte und ›ikonischen Energie‹ der Bilder. Es zeigt sich, dass Bilder imaginative Theologie sind, dass Bildtheorie Theologie avant la lettre ist – und möglicherweise auch, dass Theologie Bildtheorie devant l’image werden kann. Das wären nicht die schlechtesten Möglichkeiten einer ›Bildtheologie‹.
Für eine Neuauflage wünschenswert wäre, die jüngsten Debatten um ›Iconoclashs‹ mitaufzunehmen (vgl. P. Weibel/B. Latour (Hrsg.), Iconoclash: beyond the image wars in science, religion, and art. On the Occasion of the Exhibition Iconoclash, Beyond the Image Wars in Science, Religion, and Art, ZKM Karlsruhe; 4 May – 4 August 2002, Karlsruhe-Cambridge 2002; vgl. B. Latour, Iconoclash oder: Gibt es eine Welt jenseits des Bilderkrieges?, Berlin 2002; W. Van Asselt, Willem/P. Van Geest, Iconoclasm and Iconoclash. Struggle for Religious Identity, Leiden u. a. 2007).