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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1078 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bray, Gerald [Ed.]

Titel/Untertitel:

Documents of the English Reformation

Verlag:

Cambridge: Clarke 1994. 674 S. 8°. £ 20.­. ISBN 0-2276-7930-X

Rezensent:

Martin Ohst

Wer im akademischen Unterricht die englische Reformation zu traktieren hat, ist bislang primär auf drei Quellensammlungen angewiesen, die alle neben ihren Vorzügen auch gewichtige Nachteile aufweisen: Die alte Dokumentensammlung von H. Gee und W. J. Hardy(1) ist mancherorts nur schwer erhältlich und enthält allein Gesetzestexte. Die einschlägigen Bände des Corpus Confessionum(2) bringen nur Bekenntnistexte, die einmal in offizieller Geltung standen oder doch solche Geltung beanspruchten. Das Büchlein von A. G. Dickens und D. Carr(3) gibt einer ungleich größere Vielzahl von Textarten Raum, präsentiert diese jedoch in (sehr) kurzen Ausschnitten und reicht nur bis zur Herrschaft der katholischen Maria.

So ist die hier anzuzeigende Quellensammlung eine höchst willkommene Neuerscheinung. Sie umfaßt Dokumente aus der Zeit zwischen 1526/34 (W. Tyndales Vorrede zu seiner Übersetzung des NT) und 1700 (Act of Settlement); im Anhang bringt sie auch vier für die Lösung der englischen Kirche aus der römischen Obödienz höchst wichtige Gesetzestexte aus dem 14. Jh. Alle Dokumente sind ungekürzt wiedergegeben. Knappe Register (Eigennamen und Bibelstellen) erschließen die Texte. Tabellen (Regenten, Erzbischöfe von Canterbury und Päpste; Übersichten des Themenbestandes wichtiger Lehrdokumente; Ostertermine zwischen 1485 und 1715) bieten elementare Lesehilfen. ­ Die Texte sind nicht kritisch ediert. Grundlage der Textgestaltung waren die am leichtesten greifbaren gängigen Ausgaben, aber nicht immer die besten. Ein erläuternder Fußnotenapparat fehlt leider völlig.

Der große zeitliche Rahmen hat natürlich eine strikte Beschränkung bei der Auswahl der Quellenstücke zur Folge: Der Band enthält mit ganz wenigen Ausnahmen nur offizielle oder doch amtliche Geltung beanspruchende Texte, also Gesetze, Lehrbekenntnisse und Bibelvorreden.

Diese Auswahl ­ sie wird nirgends wirklich begründet ­ fördert das Mißverständnis der englischen Reformation als "a mere Stateproduct, one which can be desribed by simply reprinting Acts of Parliament, royal and episcopal injunctions and other official precepts" (Dickens/ Carr, 2). Die eigentlich vorwärtstreibenden Kräfte der Frühgeschichte des englischen Protestantismus werden auf eine Weise in den Schatten gestellt, die ihrer Bedeutung auch für das in den "offiziellen" Texten bezeugte Geschehen nicht gerecht wird ­ ein Beispiel: Zwar werden die antipuritanischen Artikel des Erzbischofs von Canterbury John Whitgift von 1583 abgedruckt, aber Whitgifts großer Gegner Thomas Cartwright, dessen wuchtige Angriffe den publizistischen Streit bestimmten, ist mit keiner Zeile repräsentiert. Ist schon der elisabethanische Puritanismus kraß unterrepräsentiert, so gilt das erst recht für dessen radikale Seitengänger und deren Erben zur Zeit des Bürgerkrieges. ­ Diese Grundsatzentscheidung für die "offiziellen" Texte mag man bedauern, aber sie ist zu respektieren, denn eine (bezahlbare) Quellensammlung, die alle für den langen Zeitraum wichtigen Aspekte berücksichtigte, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Allerdings hätten doch Hinweise auf Quellendokumentationen gegeben werden müssen, die die in diesem Band vernachlässigten Gebiete abdecken. Gerade für deutsche Leser ist es dennoch schon ein wichtiger Fortschritt, die hier gebotenen Dokumente problemlos greifbar zu haben.

Leider kann die Besprechung mit dieser Anerkennung nicht schließen; der Band weist Mängel auf, die nicht verschwiegen werden dürfen. Die Auswahl der Quellen für eine solche Dokumentation ist natürlich immer von Ermessensentscheidungen abhängig und wird daher wohl nie unstrittig ausfallen. Dafür jedoch, daß in einer Quellensammlung mit der oben geschilderten Grundorientierung die beiden Gesetze ausgelassen sind, die zwischen 1536 und 1539 mit kaum abschätzbaren kirchen- und allgemeingeschichtlichen Folgen den englischen Klöstern den Todesstoß versetzten, wird man kaum vernünftige Gründe aufbieten können. Die Canones der Synode von Dordrecht (453-478) wären jedenfalls in diesem Kontext sehr viel leichter entbehrlich gewesen. Daß alle Texte in orthographisch modernisiertem Englisch dargeboten werden, ist eine vertretbare, aber keine überzeugende Entscheidung. Die Einleitung gibt an, daß einige Texte aus dem Deutschen bzw. lateinischen übersetzt sind ­ welche das sind, erfährt der Leser nirgends!

Jedem Dokument ist eine zweiteilige Einleitung vorangestellt ("History" ­ "Theology"). Diese kurzen Texte enthalten nichts, was nicht auch durch einen Blick in ein gängiges Nachschlagewerk in Erfahrung zu bringen wäre. Dagegen fehlt jeder weiterführende bibliographische Hinweis; hier bleibt gerade der ausländische Leser, für den das Buch doch anscheinend auch bestimmt ist (s. die Angaben zur traditionellen englischen Währung, 14) völlig auf sich gestellt. Endlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß der Band in seiner buchtechnischen Ausstattung nur den üblichen Standards für billige Primitivromane entspricht: Weder der Einband noch das Papier wird intensivem Studium lange standhalten.

Fussnoten:

(1) Documents Illustrative of English Church History, London 1896.
(2) Bd. 17/1: C. Fabricius [Hrsg.], Die Kirche von England. Ihr Gebetbuch, Bekenntnis und Kanonisches Recht, Berlin/Leipzig 1937. Bd. 18: C. Fabricius [Hrsg.], Der Presbyterianismus, Berlin/Leipzig 1944.
(3) The Reformation in England to the Accession of Elizabeth I, London 1967 (Neuauflagen)