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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

461-463

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Bulisch, Jens

Titel/Untertitel:

Evangelische Presse in der DDR. »Die Zeichen der Zeit« (1947–1990).

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 496 S. m. Abb. gr.8° = Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte. Reihe B: Darstellungen, 43. Geb. EUR 83,00. ISBN 978-3-525-55744-0.

Rezensent:

Hartmut Ludwig

Die Kirchliche Zeitgeschichte zeigt für die evangelische Presse nur ein begrenztes Interesse. Deshalb fand die Publikation »In der DDR gibt es keine Zensur«, herausgegeben von Siegfried Bräuer und Clemens Vollnhals, Leipzig 1995, große Aufmerksamkeit. Selbst Insidern waren Praxis und Texte der Zensurbehörde kaum bekannt. Dem Vf. ist zu danken, dass er unermüdlich und akribisch in Archiven und privaten Sammlungen forschte und eine Vielzahl bisher unveröffentlichter Quellen auswertete, um ein breites Panorama der evangelischen Presse in der DDR zu zeichnen. Für vieles stellt er »Hintergrundwissen« bereit. Wie viele kirchliche Bemühungen, die Presselandschaft nur ein wenig zu erweitern, an der staatlichen Restriktionspolitik scheiterten und wie das Presseamt Entscheidungen erzwang, wird dokumentiert. Der Vf. führt die Leser sicher durch den Dschungel der Ämter, die für die Genehmigung und die Behinderung der Arbeit zuständig waren.
Die Geschichte der evangelischen Presse in der DDR 1945–1990 gliedert der Vf. in fünf zeitlich begrenzte Phasen (Kapitel 2–6). Untertitel konkretisieren in der Regel allgemeiner formulierte Buch­titel. Doch die Geschichte der Zeitschrift »Die Zeichen der Zeit« umfasst nur etwa ein Drittel des Buchumfangs. Sie wird in den breiten Kontext der Verlags- und Pressegeschichte gestellt. Um »Zeichen der Zeit« geht es jeweils nur im letzten Teil eines Kapitels. »Evangelisch« im Titel meint nicht nur die kirchliche Presse, sondern auch die von der SED gegründeten und gelenkten Zeitschriften, die ein gleichwertiges Gegenüber zur kirchlichen Presse sein sollten, diesen Anspruch jedoch verfehlten. Vielleicht wäre die Be­schränkung auf »Zeichen der Zeit« ratsamer gewesen, weil von den Beiträgen, die in über 40 Jahren erschienen, oft nur die erwähnt werden, deretwegen es mit den Behörden Probleme gab. Auch die quantitative Analyse (346 ff.362 f.) befriedigt da nicht. Schwerpunkte des Inhalts wie das Verhältnis von Juden und Christen werden überhaupt nicht angesprochen.
Das erste Kapitel (13–36) beginnt mit einem instruktiven Überblick über die konfessionelle und säkulare Presseforschung seit dem 19. Jh. Im zweiten Kapitel (37–99) steht die Entwicklung der kirchlichen Presse in der Sowjetischen Besatzungszone (1945–1949) im Mittelpunkt. Voraussetzung für die Lizenzierung der Evangelischen Verlagsanstalt [EVA] (52 ff.) und der »Zeichen der Zeit« (62 ff.) waren ihre Bindung an die Kirche. Durch drastische Limitierung der Auflagen und Kürzung der Papierzuteilung wurde der Auf- und Ausbau des evangelischen Schrifttums stark eingeschränkt. An leitender Stelle standen Friedrich Bartsch als Geschäftsführer der EVA und Gerhard Brennecke als Chefredakteur von »Zeichen der Zeit«. Brenneckes theologische Leitlinie für »Zeichen der Zeit« war die Königsherrschaft Jesu Christi (Barmen II) und das Wächteramt über Kirche und Welt (71 ff.). Der Vf. kritisiert, dass das Wächteramt gegenüber der Welt nach und nach ausgeblendet wurde und die Zeitschrift zu politisch kontroversen Themen schwieg (203 ff.350 ff.).
Im dritten Kapitel (100–145) werden die ersten Jahre der DDR behandelt. Die Behörden waren weniger als ihre Vorgänger bereit, kirchliche Wünsche zu berücksichtigen. So scheiterten die Bemühungen, neue Zeitschriften zu gründen und durch höhere Auflagen einiger Kirchenzeitungen auch Regionen zu versorgen, die keine hatten. Aber auch die Zeitschrift »Verantwortung« der Ost-CDU wurde verboten und ihre Lizenzanträge für neue Zeitschriften abgelehnt, da sie dem ideologischen Kurs der SED nicht entsprachen. Die SED hatte »noch kein ausgefeiltes Konzept für eine von ihr gelenkte konfessionelle Publizistik entwickelt« (118). Diese Erfahrungen blieben auf »Zeichen der Zeit« nicht ohne Wirkung (132 ff.): Durch Selbstzensur wollte man Verbote vermeiden. Das führte zu Konflikten mit Autoren.
Im vierten Kapitel (146–234) wird die zweite Hälfte der 50er Jahre beschrieben. Die DDR-Behörden hatten inzwischen – neben den bekannten Maßnahmen – auch subtilere Methoden der Einflussnahme entwickelt: Das Politbüro der SED beschloss, die von ihm gelenkten Zeitschriften »Glaube und Gewissen« und »Evangelisches Pfarrerblatt« zu gründen, um »fortschrittlichen« Christen Publikationsmöglichkeiten zu schaffen (172 ff.). Daneben hatten Projekte »fortschrittlicher« Theologen (Erich Hertzsch, Hanfried Müller), eine neue Zeitschrift für theologische Wissenschaft zu schaffen, keine Chance (165 ff.). Als ab 1955 Presseerzeugnisse nur noch durch die Post vertrieben werden durften, wurden der Kontakt zu den Beziehern und der freie Handel der konfessionellen Presse unterbunden (190 ff.). »Zeichen der Zeit« verlor so annähernd 1000 Abonnenten (232). Der Vf. kritisiert (201 ff.) »eine gewisse Einseitigkeit« von »Zeichen der Zeit«, weil bestimmte Themen nur marginal erwähnt oder sogar »ausgespart« wurden (Jugendweihe, Obrigkeitsdebatte, Zwangskollektivierung u. a.), während über die Prager Christliche Friedenskonferenz »mit konstanter Regelmäßigkeit« berichtet wurde. Das war der Tribut an die Diktatur, um Verbote zu vermeiden. Das weiß der Vf., spricht aber von Defiziten, die die Redaktion scheinbar aus freien Stücken zuließ.
In den 60er Jahren (5. Kapitel, 235–315) zielte die staatliche Kirchenpolitik darauf, die gesamtdeutschen kirchlichen Institutionen zu zerschlagen. Die Pressepolitik war dafür nur ein Mittel. Immer häufiger wurden Kirchenzeitungen und Publikationen beanstandet oder beschlagnahmt, mussten Beiträge ausgetauscht werden, wurde mit Lizenzentzug gedroht, wenn den Auflagen nicht entsprochen würde. Die Druckgenehmigung für Gemeindeblätter sollte vom Wohlverhalten des Pfarrers gegenüber dem Staat abhängig gemacht werden. Jede Erweiterung des kirchlichen Einflusses auf die Bevölkerung sollte verhindert werden. Ein anderes Mittel der Einflussnahme war die staatliche »Differenzierungspolitik«, d. h. die Verantwortlichen gegeneinander auszuspielen. Ein Beispiel ist die innerkirchliche Auseinandersetzung um die »Zehn Artikel« der Kirchenleitungen und die »Sieben Sätze« des Weißenseer Ar­beitskreises 1963/64. Als »Zeichen der Zeit« die »Sieben Sätze« publizierte, obwohl die »Zehn Artikel« in der DDR nicht gedruckt werden durften, kam es zu erheblichen Differenzen zwischen Kirchenleitung und »Zeichen der Zeit« (287 ff.). Als Brennecke 1969 aus gesundheitlichen Gründen als Chefredakteur von »Zeichen der Zeit« ausschied, lehnte das Presseamt zunächst alle Vorschläge für die Nachfolge ab, weil es Gerhard Bassarak durchsetzen wollte. Zuletzt musste es doch Heinz Blauert akzeptieren (302 ff.).
Die Gründung des »Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR« 1969 entkrampfte in der letzten Phase (6. Kapitel, 316–402) das Verhältnis von Staat und Kirche. Das Mitteilungsblatt des Kirchenbundes und das kirchliche Amtsblatt für Berlin-Brandenburg (381) wurden neu lizenziert. Die SED ersetzte »Glaube und Gewissen« und das »Evangelische Pfarrerblatt« durch die Monatsschrift »Standpunkt«. Doch auch sie erreichte nicht einmal die Hälfte der Auflage von »Zeichen der Zeit« (338). Blauert redigierte »Zeichen der Zeit« in dieser Phase. Was der Vf. mit der Apostrophierung »Zeit der Stagnation« (366) meint, bleibt offen. Er kritisiert, dass »Zeichen der Zeit« die »verantwortliche Existenz von Christen und Kirchen im Sozialismus« fördern wollte (354.369 ff.), die ökumenischen Aktivitäten des Kirchenbundes »publizistisch begleitete und reflektierte« und die Prager Christliche Friedenskonferenz »zu einer festen Größe innerhalb der Zeitschrift« wurde (360 f.). Er weist darauf hin, dass die Redaktion mit dem »Profilpapier« 1973 »den Wünschen des Presseamtes weit entgegengekommen« sei (373) und die Zensur wohl deshalb nur zweimal Beiträge beanstandete, während z. B. Kirchenzeitungen weiterhin im Visier standen und verboten wurden (374 f.381 ff.). Im Nachhinein lassen sich solche Lasterkataloge immer finden. Von Einzelheiten abgesehen, wird diese Kritik »Zeichen der Zeit« in der letzten Phase nicht gerecht. Die Positionen von Kirche und Ökumene waren im Vergleich zur Ge­genwart völlig andere. Wollte »Zeichen der Zeit« ihrem Titel ge­recht werden, muss­te sie das aufnehmen, reflektieren und publizieren.
»Zeichen der Zeit«, die für Christen in der der DDR eine unvergleichlich wichtige Arbeit leisteten, wurden nach der »Wende« Opfer des westlichen wirtschaftlichen Systems. »Zeichen der Zeit« wurde 1990 eingestellt, wiederbelebt, 1998 fusioniert und 2001 durch »zeitzeichen« ersetzt (394–402).