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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

459-461

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Brechenmacher, Thomas [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Reichskonkordat 1933. Forschungsstand, Kontroversen, Dokumente.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2007. 309 S. gr.8° = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen, 109. Lw. EUR 42,90. ISBN 978-3-506-76465-2.

Rezensent:

Klaus Große Kracht

Wohl kaum ein Thema der neueren Kirchen- und Religionsgeschichte Deutschlands ist in den letzten 50 Jahren so intensiv diskutiert worden wie der Abschluss des Reichskonkordats zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan vom 20.7.1933. Einen Höhepunkt fand die Debatte um diesen ersten außenpolitischen Erfolg Hitlers in der Kontroverse zwischen dem evangelischen Tübinger Kirchengeschichtler Klaus Scholder und dem katholischen Bonner Neuzeithistoriker Konrad Repgen in den späten 1970er Jahren. Scholder vertrat die These, die Zustimmung der Zentrumsfraktion zum Ermächtigungsgesetz am 23.3.1933 sowie die Selbstauflösung der Partei Anfang Juli des gleichen Jahres hätten in einem direkten Zusammenhang mit den Konkordatsverhandlungen gestanden, gewissermaßen als Vorausleistungen von kirchlicher Seite, um zu einem positiven Verhandlungsergebnis zu gelangen. Konrad Repgen hielt dagegen, dass in den Gesprächen zwischen der Zentrumsführung und Hitler von einem Reichskonkordat nicht die Rede war und auch in anderen Quellen sich keinerlei Belege für die von Scholder vertretene Junktimsthese auffinden ließen.
Gut 25 Jahre später stand die Scholder-Repgen-Kontroverse er­neut zur Diskussion, diesmal während einer »Giornata di Studi« am Deutschen Historischen Institut in Rom im Jahr 2004. Vorausgegangen war die Erschließung neuer Archivbestände, wobei an erster Stelle die auf Deutschland bezogenen Akten des Pontifikats Pius’ XI. zu nennen sind, die das Vatikanische Geheimarchiv im Februar 2003 der Allgemeinheit zugänglich gemacht hatte, nachdem zuvor nur ausgewählten Forschern Einsicht in die Bestände gewährt worden war. Im Jahr 2006 folgte schließlich der Zugang auch zu weiteren Aktenbeständen aus der Zeit Pius’ XI., so dass nunmehr die päpstliche Außenpolitik bis zum Jahr 1939 auf Grund der vatikanischen Überlieferung in großen Linien nachvollzogen werden kann. Der vorliegende Sammelband vereinigt Beiträge, die auf der erwähnten Tagung gehalten und für den Druck bearbeitet bzw. ergänzt wurden.
Nach einer kurzen Einführung durch den Herausgeber führt Carsten Kretschmann den Leser in die Hauptstreitpunkte der Kontroverse zwischen Scholder und Repgen ein, wobei er sich die Position des Letzteren zu eigen macht und allen Junktims- und Kausalitätsthesen eine klare Absage erteilt. Auch folgt er Repgen in seiner Gesamtbewertung, wenn er den Abschluss des Reichskonkordats nicht als ein Aufeinanderzugehen von Kirche und NS-Staat wertet, sondern im Gegenteil als die »vertragsrechtliche Form der Nichtanpassung der katholischen Kirche an das Dritte Reich« (24).
Auf diese Sicht eines Jüngeren auf den Gang der Debatte von damals folgt der Rückblick eines der Beteiligten. Konrad Repgen schildert mit zum Teil durchaus persönlichen Anmerkungen, wie er im Verlauf der 1960er Jahre – nicht zuletzt auf Grund seiner Begegnung mit Pater Robert Leiber, einem ehemaligen engen Mitarbeiter des Nuntius, späteren Kardinalstaatssekretärs und Papstes Eugenio Pacelli – seine These vom Reichskonkordat als juristischer Form der ›Nichtanpassung‹ der Kirche an den NS-Staat in der Auseinandersetzung mit Scholder sowie auf der Grundlage früher Arbeiten aus dem Umkreis der katholischen Kommission für Zeitgeschichte erarbeitet hat. Seinem Gegenüber von damals, Klaus Scholder, war es leider nicht mehr vergönnt, seine Sicht der Dinge darzustellen, da er bereits Mitte der 1980er Jahre verstorben ist. Zwar konnte sein Schüler, Gerhard Besier, als Teilnehmer der ›Giornata‹ in Rom gewonnen werden, sein kritischer Kommentar zu Repgens Ausführungen fehlt jedoch im Band, was – folgt man den Ausführungen des Herausgebers – auf die Entscheidung des Autors selbst zurückzuführen ist.
Insofern folgt der Band im Wesentlichen der katholischen Lesart oder doch zumindest jener Position, wie sie von Historikern aus dem Kreis der Kommission für Zeitgeschichte vertreten wird. Dies kommt auch in dem nachfolgenden Beitrag von Rudolf Morsey über das Ende der Zentrumspartei zum Ausdruck. Auch Morsey blickt in lebensgeschichtlicher Perspektive auf seine langjährige Beschäftigung mit diesem Thema zurück und verschweigt nicht, wie viel er der Begegnung mit Zeitgenossen und Akteuren des politischen Katholizismus aus der Endphase der Weimarer Republik verdankt. Bis heute stellt Morseys Abhandlung über den Untergang der Zentrumspartei, die erstmals 1960 erschien und 1977 noch einmal gründlich erweitert wurde, den Forschungsstand auf diesem Gebiet dar. Einen kausalen Zusammenhang zwischen der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz und dem Abschluss des Reichskonkordats kann auch er heute wie damals nicht erkennen. Wie sehr das Bild, das Repgen und Morsey vor immerhin 30 Jahren gezeichnet haben, auch heute noch, und zwar unter Berücksichtigung der nunmehr zugänglichen vatikanischen Quellen, überzeugen kann, verdeutlicht schließlich auch der Beitrag des Herausgebers, selbst sicherlich einer der besten Kenner der Quellenlage. Nach Brechenmacher findet sich auch in den neu zugänglichen Beständen keinerlei Anhaltspunkt für die These Scholders. Im Ge­genteil: Die Selbstauflösung der Zentrumspartei am 5.7.1933, drei Tage vor der Paraphierung des Reichskonkordats, scheint den Vatikan vielmehr in Bedrängnis gebracht zu haben, schien nun doch das entscheidende Zugeständnis der Kirche an den NS-Staat – die Entpolitisierung des Klerus – keinerlei Gewicht mehr zu haben, da eine katholische Partei ja nun nicht mehr bestand.
Die weiteren Aufsätze des Bandes, die hier nur summarisch er­wähnt werden können, leuchten die personengeschichtlichen Hin­tergründe der Reichskonkordatsverhandlungen auf der Grund­lage weiterer, neu erschlossener Quellenbestände näher aus. Georg Denzler umreißt die Rolle des Vizekanzlers Franz von Papen an der Schnittstelle zwischen Rechtskatholizismus, Reichsregierung und Konkordatspolitik. Susanne Kornacker gibt einen Überblick über den Quellenbestand des seit 2002 zugänglichen Kardinal-Faulhaber-Archivs. Antonius Hamers berichtet über die nicht vollendeten Länderkonkordate mit Württemberg und Hessen. Karl-Joseph Hummel beschäftigt sich schließlich – auf der Grundlage neu zu­gänglicher Bestände des deutschen Priesterkollegs in Rom, der ›Santa Maria dell’ Anima‹ – mit der Rolle ihres umstrittenen ehemaligen Rektors Alois Hudal. Einerseits hatte der österreichische Titularbischof Pius XI. bereits früh aufgefordert, den radikalen Nationalismus, die Rassenlehre und den totalitären Staatsbegriff öffentlich zu verurteilen, andererseits kann Hudal jedoch mit guten Gründen zu den sog. Brückenbauern zwischen Katholizismus und NS-Staat gerechnet werden, ganz zu schweigen von seiner un­rühmlichen Rolle als Fluchthelfer für belastete Nationalsozialisten nach 1945.
Die vorgestellten Aufsätze umfassen etwa die Hälfte des Bandes. Der zweite Teil ist hingegen der Edition der bislang nur auszugsweise veröffentlichten Verhandlungsberichte Rudolf Buttmanns gewidmet, der als Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium nach Abschluss des Konkordats noch fast zwei Jahre lang mit Pacelli über Ausführungsfragen verhandelte, freilich ohne nennenswerte Erfolge. Die von Brechenmacher kenntnisreich und detailgenau kommentierte Edition zeigt einmal mehr, wie be­grenzt der Verhandlungsspielraum zwischen beiden Seiten war. Buttmann, im­merhin selbst frühes NSDAP-Mitglied, wandte sich schließlich resigniert von seinem Verhandlungsposten in Rom ab und zog es vor, die Leitung der Bayerischen Staatsbibliothek zu übernehmen.
Die Kontroverse zwischen Klaus Scholder und Konrad Repgen dürfte mit diesem Band zu einem späten Abschluss gekommen sein. Doch die Tatsache, dass die Zentrumsfraktion ihre Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz nicht als Vorleistung für den Abschluss des Konkordats gegeben hat, macht die Last ihrer historischen Mitverantwortung für die Etablierung des NS-Regimes kaum geringer – im Gegenteil.