Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2009

Spalte:

457-459

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Arning, Holger

Titel/Untertitel:

Die Macht des Heils und das Unheil der Macht. Diskurse von Katholizismus und Nationalsozialismus im Jahr 1934 – eine exemplarische Zeitschriftenanalyse.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2008. 476 S. gr.8° = Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, 28. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3- 506- 76436-2.

Rezensent:

Thomas Martin Schneider

Der Kommunikationswissenschaftler (Nebenfächer Geschichte, Biologie) Holger Arning ist Mitarbeiter im Leibniz-Projekt Wissenschaftskommunikation und -management am Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte (H. Wolf) der Katholisch-Theologischen Fakultät Münster. Seine hier zu besprechende Münsteraner kommunikationswissenschaftliche Dissertation wurde von J. Westerbarkey betreut; das Korreferat übernahm der Historiker H.-U. Thamer. Sein Werdegang prädestiniert A. für einen interdisziplinären Zugang, zu dem für ihn insbesondere auch soziologische und psychologische Perspektiven gehören.
Die langen theoretischen Ausführungen zum Diskurs im 1. Teil sind originell und verwirrend, mitunter auch ermüdend zugleich. Es handelt sich um einen Marsch durch die Geistesgeschichte des 20. Jh.s, der von Adorno über Foucault, Freud, Fromm, Lorenz, Luhmann und Reich bis zu Weber und Westerbarkey reicht. Offensiv bekennt A. sich zum Eklektizismus: »Von dieser Freiheit [sc. die Theorie ›wie einen Steinbruch zu benutzen‹] wird in dieser Arbeit ausgiebig Gebrauch gemacht« (88, vgl. schon 15). Manches er­scheint selbstevident, so etwa die Annahme, »dass Ideen umso mehr Macht entwickeln, je weiter sie verbreitet sind und je mehr sie akzeptiert werden« (43). Methodisch fühlt A. sich der Kritischen Diskursanalyse, wissenschaftstheoretisch-weltanschaulich dem kon­struktivistischen Relativismus verpflichtet.
Im 2. Teil folgt auf einen kurzen Überblick über die uneinheitliche NS-Religionspolitik sowie eine knappe Analyse der religiösen Dimension der NS-Ideologie eine Darstellung der »katholischen Teilgesellschaft und ihres Diskurses« zu Beginn des Dritten Reiches. Angesichts der hochspezialisierten Forschung musste diese nur etwa 20 Seiten umfassende Darstellung etwas holzschnittartig geraten. So kann man fragen, ob K. Barth tatsächlich als Beispiel für einen »schon im 19. Jahrhundert« begonnenen Rückzug der Theologie »aus der gesamtgesellschaftlichen politischen Öffentlichkeit« (120 f.) taugt oder ob sich im August 1934 tatsächlich bereits »weite Teile des niederen Klerus und der kirchentreuen Katholiken … enttäuscht vom Nationalsozialismus« abwandten (126). Aus der Debatte um das Reichskonkordat (122) hält A. sich heraus. Auch bei anderen Forschungskontroversen (Intentionalisten – Strukturalis­ten, 97; »Historikerstreit«, 419) nimmt er eine vermittelnde Position ein. Schließlich geht A. auf die Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der katholischen Wochenpresse sowie des von ihm im 3. Teil genauer untersuchten Münsteraner Diözesanblattes ein. Sein Fazit: Wenn auch das Sagbarkeitsfeld der kirchlichen Presse erheblich eingeschränkt gewesen sei, hätten Zensurmaßnahmen 1934 noch keine Rolle gespielt und man sei nicht zu Aussagen ge­zwungen gewesen, »die nicht dem Repertoire des traditionellen katholischen Diskurses entsprachen« (166).
Quellengrundlage des empirischen 3. (und eigentlichen Haupt-) Teils sind die 33 Ausgaben der Wochenzeitschrift »Unser Kirchenblatt« vom Beginn seines Erscheinens im Dezember 1933 bis zum »diskursiven Ereignis« des sog. »Röhm-Putsches« im Sommer 1934. Methodisch geht A. hier wie folgt vor: Auf eine Charakterisierung der nationalsozialistischen Mythen und Feindbilder – A. betrachtet den Nationalsozialismus »zusammenfassend als Synergie-Effekt« derselben (468) – folgt jeweils erstens eine allgemeine Beschreibung des Verhältnisses des Katholizismus zu diesen Mythen und Feindbildern anhand der Sekundärliteratur und zweitens eine detaillierte Untersuchung am Beispiel »Unseres Kirchenblattes«. In plausibler Weise arbeitet A. einerseits heraus, wie der nationalsozialis­tische und der katholische Diskurs miteinander verschränkt waren und wo es gemeinsame Traditionslinien, ideologische Affinitäten und Annäherungen gab, so insbesondere im Hinblick auf die auch katholischerseits positiv besetzten mythischen Begriffe »Blut, Kampf, Volksgemeinschaft, Reich, Führer, Held, Mutter, Volkstum und Boden« sowie im Hinblick auf die Feindbilder »Liberalismus, Kapitalismus, Kommunismus und Intellektualismus«. Andererseits stellt er die Unterschiede, Konkurrenzen und Gegensätzlichkeiten – ungeachtet ähnlicher Sprachmuster – heraus. Namentlich die Mythen »Rasse, Germanentum und Lebensraum« hätten im Katholizismus zumindest zwiespältige Reaktionen provoziert. Aber auch bei den anderen Mythen und Feindbildern zeigt A., wie die katholischen Autoren diese mit ihren eigenen Inhalten füllten und teilweise in ihrer Wirkungsrichtung umbogen. Die Vermutung, »Hitlers vages Konzept der ›Vorsehung‹« sei von der christlichen Religion vereinnahmt worden (364), dürfte allerdings falsch sein; tatsächlich wird Hitler den uralten christlichen Providenzgedanken aufgegriffen und pervertiert haben.
Der Katholizismus habe sich, so A.s Resümee, durchaus den Nationalsozialisten als Bündnispartner angeboten, im Gegenzug jedoch »eine weitgehende Definitionsmacht über die Mythen« eingefordert, »um den vermeintlich heilsbringenden Einfluss der katholischen Lehre auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen« (482). Nur im religiösen Be­reich im engeren Sinne könne man von einem regelrechten katholischen Gegendiskurs sprechen. Dies gelte vor allem für das »Neuheidentum« etwa Rosenbergs, das aber ja auch unter Nationalsozialisten selbst umstritten war. A. anerkennt, dass »die Verwurzelung in starren Dogmen« und sogar »der elitäre Dünkel der eigenen Heilsgewissheit« zu »Kraftquellen in den Auseinandersetzungen mit den Herrschern des Dritten Reiches« werden konnten (494). Andererseits meint er, der Katholizismus sei »insgesamt hinter seinen Möglichkeiten zurück[geblieben]« (495). Über die kon­trafak­tische Frage, was möglich gewesen wäre, kann man na­türlich lange diskutieren. Die aufgezeigten Traditionslinien ließen wohl auch andere Rückschlüsse zu.
A.s Untersuchung ist im Übrigen frei sowohl von moralisierend-anklagenden als auch von apologetischen Tendenzen. Eine differenzierte Sicht beweist die Behandlung des »Feindbildes Judentum«: Die religiös motivierte Judenfeindschaft verhinderte zwar eine Solidarisierung mit den Juden und eine Kritik der Diskriminierung, musste aber nicht in einen rassistischen Antisemitismus umschlagen, wie das in einem wohl singulären Artikel (464 f.) allerdings der Fall war. Die Ablehnung der üblichen Unterscheidung von Antijudaismus und Antisemitismus überzeugt nicht ganz, da A. sie im Grunde lediglich ersetzt durch die Unterscheidung von »radikalem Rassenantisemitismus« und »›moderatem‹ An­tisemitismus«.
Das beschriebene methodische Vorgehen im 3. Teil stößt an Grenzen, die teilweise selbst reflektiert werden. Die Artikel können nicht als Ganze in ihrem eigenen Duktus und nach ihrer eigentlichen Intention wahrgenommen werden, und sie werden auf Grund eines doppelten Vorverständnisses analysiert. Es überrascht nicht, wenn abschließend konstatiert wird: »Die Inhalte ›Unseres Kirchenblattes‹ entsprachen durchaus den Erwartungen, die aus der Analyse der Sekundärliteratur resultierten« (467).