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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

446-448

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hillerbrand, Hans J.

Titel/Untertitel:

The Division of Christendom. Christian­ity in the Sixteenth Century.

Verlag:

Louisville-London: Westminster John Knox 2007. XII, 504 S. gr.8°. Kart. US$ 49,95. ISBN 978-0-664-22402-8.

Rezensent:

Christopher Voigt-Goy

Der renommierte Reformationshistoriker legt mit dem hier zu besprechenden Buch eine Neufassung seiner 1971 erschienenen Reformationsgeschichte ›Christendom Divided‹ vor. In dieser langen Zeit haben sich nicht nur für den Vf. durch seine fortwährende forschende Beschäftigung mit dem 16. Jh. viele Einschätzungen verschoben, sondern es hat bekanntlich auch die wissenschaftskulturelle Großwetterlage mit ihren hochdifferenzierten und -spezialisierten Forschungsmatrizen das historische Bild dieses Zeitraums grundlegend geändert. Gegen die mittlerweile im »Stadium ihrer historiographiepolitischen Kanonisation« (Th. Kaufmann) befindliche Auffassung, dass die Reformation der Forschung »abhanden gekommen« sei (H. Schilling), schreibt der Vf. ebenso an wie gegen die von Heiko A. Oberman im Gefolge Ernst Troeltschs profilierte These, dass man für das 16. Jh. eine von Luther in das Mittelalter zurückweisende und eine von Calvin in die Neuzeit vorausweisende Reformation – also »zwei Reformationen« – zu unterscheiden habe. Allerdings stemmt der Vf. sich diesen Auffassungen nicht durch reine Negation entgegen. Die Ergebnisse, die durch diese Thesen in der historischen Forschung in den letzten Jahrzehnten produziert wurden, versucht der Vf. vielmehr in seine umfangreiche Erzählung einzubeziehen, deren basale Leitperspektive er folgendermaßen profiliert: »The Reformation was a striking interplay of religious and political forces« (X).
Die Erzählung setzt 1517 mit einer knappen Skizze der soziokulturellen, politischen und kirchlichen Rahmenbedingungen ein. Ihren ersten Block (Kapitel 2–5) bildet die von der »Luther Affair« bis zum »Antitrinitarian Dissent« reichende Initiation einer religiös motivierten Reformbewegung, die, sobald sie sich durch Luthers zunehmende Berühmtheit ausgeweitet hatte, in den Zustand progressiver Ausdifferenzierung trat und damit an Einheitlichkeit und Kohärenz verlor. Die politische Konsolidierung und Stabilisierung der lutherischen Variante dieser religiösen Bewegung, die sich folgenschwer in den Jahren 1524/25 von den Bauern und dem christlichen Humanismus abwandte und – zusammen mit der Zürcher Reformation – in den Städten Fuß zu fassen begann, bildet (Kapitel 6) den Auftakt zum zweiten großen Block (Kapitel 7–11): In ihm schreitet der Vf. den europäischen Horizont der Ausbreitung und der Folgen der Reformation ab. Er reicht von den Ereignissen im Alten Reich über die Reformation in England, den Römischen Katholizismus und Calvin in Genf bis nach Ungarn und in die Niederlande. Nach einer Zusammenfassung der »protestantischen Visionen«, wie sie in den Theologien rationalisiert wurden (Kapitel 12), widmet sich der Vf. abschließend (Kapitel 13) verschiedenen Themen, anhand derer er die Folgen der Reformation (die neuen Kirchentümer, die Auswirkungen auf die Frömmigkeit, die Gesellschaft, die Frauen, die Politik) diskutiert, das sog. Konfessionalisierungsparadigma wird in diesem Zusammenhang eher distanziert behandelt (452–454).
Die enzyklopädische Gelehrsamkeit, die differenzierte Schilderung der Ereignisse und die plastische Erzählweise des Vf.s machen sein Buch zu einer gelungenen Einführung und Übersicht der Ereignisse einer tiefgreifenden Umwälzung des europäischen Chris­tentums, an deren Quellpunkt der »unknown professor of theology in Wittenberg« Martin Luther stand (457). Eine solche Perspektive, die allzumal in deutschen Kontexten den Ruf des ›Klassischen‹ genießen darf, ist sicher nicht von vorneherein unplausibel. Schade ist allerdings die in der Erzählung des Vf.s vorherrschende Dominanz der politischen Ereignisse und Verwerfungen, der ge­genüber die religiösen Anliegen und Überzeugungen der Zeit eigentümlich leblos wirken. Luthers ›reformatorische Entdeckung‹ ist hiervon nicht ausgenommen: Wichtig an ihr ist nicht, was sie sagt, denn das kann – wie der Vf. hervorhebt – vor dem Hintergrund mittelalterlicher Theologie noch einmal differenziert werden. Das führt zu dem relativen Ergebnis: »In any case, Luther himself saw his insight as dramatically new«. Wichtiger ist, dass sie sich als »personal religious experience« formulierte (39). Und die zu einer Reformationsbewegung sich ausbreitende Lutherische Kritik an den Zuständen der katholischen Kirche verdankt sich nach dem Vf. einer »rhetoric of excess«, die den Dialog mit der Papstkirche zu Gunsten der Polemik beendet hat (69). Kurzum und zugespitzt formuliert: Die existentielle und an der Person Luthers so gut ablesbare Dramatik und Dynamik einer nach Heilsvergewisserung verlangenden und dadurch die institutionelle Heilsvermittlung der Kirche bedingungslos herausfordernden Gewissensreligion kommt so gut wie gar nicht in den Blick. Auch der römische Katholizismus, dessen nachtridentinische Formierung anhand von Ignatius von Loyola, Teresa von Avila und Carlo Borromeo nachgezeichnet wird (282–287), erscheint religiös seltsam unbewegt. Calvin wird als Denker der ›Prädestination‹ vorgestellt, die dann die ethische Le­bensführung der Gläubigen prägte, wie der Vf. Max Webers These positiv aufnehmend schildert: Die von Weber so beeindruckend hervorgehobene restlose religiöse Vereinzelung des Gläubigen durch diese ›Lehre‹ wird hingegen, trotz ihrer Bedeutung für die Ausbildung eines calvinistischen Lebensstils, mit Stillschweigen übergangen (vgl. 294 f.).
Das sind nur wenige Beispiele, die aber alle darin übereinkommen, dass im ›interplay of religious and political forces‹ die Religion inhaltlich für die Erzählung des Vf.s wenig bedeutet, sondern je länger desto mehr als bloße Gelegenheit politischer Auseinandersetzung zu stehen kommt. Die Unwucht in der Darstellung der beiden entscheidenden Triebkräfte ist dabei in erster Linie den Konzessionen geschuldet, die der Vf. der sozial- und kommunikationshistorischen Ausrichtung der modernen Frühneuzeitforschung macht. Den aus dieser Ausrichtung entspringenden Ge­winn vermag der Vf. allerdings in seiner Übersicht über die Anfänge der Täuferbewegung einzustreichen, die eines der Glanzstücke seines Buches darstellt (109–126). Gerade hier zeigt sich eindrück­lich, dass es dem Vf. nicht um eine reduktive Anbindung der religiösen Phänomene an politische Ereignisse geht, die dann im Ganzen die Reformation als ein letztlich bloß politisches Problem vergangener Zeiten markiert – um damit die ›Überwindung‹ der ›Di­vision of Christendom‹ auf die Agenda 2017 zu setzen. In höchst sympathischer Weise ist das Buch des Vf.s von jedem Bedauern über die Teilung und Zersplitterung der institutionalisierten mittelalterlichen Christenheit frei: »Old christendom was divided. A new chris­tianity made its appearance« (457). In diesem Sinn ist dem lehrreichen Buch eine breite Leserschaft zu wünschen.