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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

442-444

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Ruben

Titel/Untertitel:

Kompendium der Gleichnisse Jesu. Hrsg. in Zusammenarbeit mit D. Dormeyer, G. Kern, A. Merz, Ch. Münch u. E. E. Popkes.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. XIV, 1120 S. gr. 8°. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-579-08020-8.

Rezensent:

Eckhard Rau

Im Zeitalter der Handbücher ist nun auch ein voluminöses Kompendium der Gleichnisse Jesu erschienen, erarbeitet in nur zwei Jahren von 47 überwiegend jüngeren Autorinnen und Autoren. Es gliedert sich nach dem Vorwort (1 f.) in die Einleitung (3–44), die Auslegungen (49–981), die Register und das Literaturverzeichnis (983–1101).
In der Einleitung begründet der Herausgeber, inwiefern »mit vielen Ansätzen der Jülicher-Tradition« gebrochen werden musste (1): Die »im Ansatz verfehlte« »Suche nach dem authentischen Jesusgleichnis« sei zu ersetzen durch den Rekurs auf die Erinnerung »an Jesus als denjenigen ..., der ... in Gleichnissen von Gott sprach« (4 f.). Gleichnisse seien weder eindeutig noch gar auf ein tertium comparationis reduzierbar, sondern polyvalent. Und weil Jülichers kategoriale Differenzierung den Texten »eine sachfremde Logik« aufzwinge (23), empfehle es sich, alle als »Parabel« aufzufassen.
Aus der Definition der Parabel als spezifische Form eines »kurzen narrativen, fiktionalen Textes« (25) ergeben sich für jede Auslegung fünf Arbeitsschritte: 1. Die sprachlich-narrative Analyse (Bildlichkeit) geht »den ausgeführten oder suggerierten Miniatur-Handlungen« nach und achtet auf die Transfersignale für ein metaphorisches Verständnis (35). 2. Die sozialgeschichtliche Analyse (Bildspendender Bereich) führt aus, inwiefern die Parabel die Lebenswelt des 1. Jh.s widerspiegelt. 3. Die Analyse des Bedeutungshintergrundes (Bildfeldtradition) tastet »eines der letzten großen Verdikte der Jülicher-Tradition« an (40), arbeitet sie doch heraus, inwieweit die Darstellung der Lebenswelt nicht nur einzelnen Metaphern verpflichtet ist, sondern einem konventionalisierten Bild­feld. 4. Die zusammenfassende Auslegung (Deutungshorizonte) hat die Aufgabe, das, »was Jesus und die urchristlichen Autoren bewusst in der Uneindeutigkeit bildlicher Sprache formuliert ha­ben«, nicht »auf das Prokrustesbett univoker, eindeutiger Sprache zu pressen«, sondern in der Polyvalenz zu belassen, die »erst im Le­sevorgang ... zur Eindeutigkeit einer individuellen Interpretation verarbeitet werden« könne (43). 5. Die Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte beziehen sich auf die Rezeption eines Textes von der synoptischen Tradition über die Apokryphen bis zu Beispielen aus Literatur, Kunst und Musik, und selbst die Applikation auf die Gegenwart ist möglich.
Das Kompendium erhebt den Anspruch, »alle eruierbaren Parabeln ..., die die urchristliche Tradition Jesus zugeschrieben hat«, zu behandeln (28). Da es »kein das ganze Material übergreifendes Gliederungsraster« gibt (31), orientiert sich die Darbietung am Vorkommen in den einzelnen Quellen. Von Q werden 28 Texte behandelt, von Mk 17, von Mt 52, von Lk 55, von Joh 18, von EvThom 41 und von den Agrapha 15. Klammert man die Parallelen aus, ist das Verhältnis 28 (Q) : 17 (Mk) : 14 (Mt) : 18 (Lk) : 18 (Joh) : 13 (EvThom) : 15 (Agrapha), so dass sich eine Gesamtzahl von 123 »Parabeln« ergibt, von denen 77 aus den Synoptikern stammen – gegenüber 53 bei Jülicher.
Die enorme Ausweitung des Materials ist sehr zu begrüßen, wird dadurch doch der normativen Orientierung an wenigen großen Erzähltexten der Abschied gegeben. Ob die Zuschreibung an Jesus ein zureichendes Kriterium ist, scheint mir dagegen fraglich. Es führt z. B. dazu, dass die beiden »Parabeln« Johannes des Täufers (Q 3,7–9.16 f.) ausgegrenzt werden und dadurch nicht in den Blick kommt, dass einige Jesusparabeln deren Bildfelder teilen. Darüber hinaus ist mir nicht klar geworden, warum Q 6,40; 11,24–26; 17,34 f. und Mk 7,14–23 als Parabeln aufgefasst und umgekehrt zahlreiche Texte übergangen werden, die der Parabeldefinition des Kompendiums entsprechen: Q 7,24; 9,58.60; 10,3; 11,46; 12,33 f.; 17,6; 17,24; Mk 1,17; 8,15; 9,42; 10,38 f.; 14,27; Mt 16,18; Lk 10,18; 10,19; 12,47 f.; EvThom 4; 10; 28; 37; 43,3; 66; 74; 75; 77,1; 78,1; 82; 84; 86; 103. Darunter finden sich auch einige Vergleiche, die wohl nur deswegen nicht berücksichtigt werden (26), weil der Vergleich für Jülicher die Keimzelle des Gleichnisses ist. Aber: Bietet Q 10,3 (Sendung unter Wölfe) nicht genauso eine »Erzählminiatur« wie das Wort vom Arzt in Mk 2,17? Und: Auch als »Parabeln« anerkannte Texte enthalten Vergleichspartikel (vgl. 29!).
Der Kompendiencharakter verbietet es, die sehr verschiedenartigen Beiträge im Einzelnen zu würdigen. Stellung bezogen sei nur zu einigen konzeptionellen Aspekten:
Erstaunlich ist der Reichtum dessen, was wir von einigen Autorinnen und Autoren über die Sozialgeschichte und die Bildfeldtradition der Gleichnisse erfahren. Ersteres, für das überwiegend hellenistisch-römische Texte beigebracht werden, führt erheblich über die gängige These von der Alltagsbezogenheit hinaus, und Letzteres, das primär mit Hilfe jüdischer Texte erhellt wird, verdeutlicht, wie weit die Forschung sich von der Fixierung auf einzelne Metaphern entfernt hat. Problematisch dagegen scheinen mir insbesondere folgende Punkte zu sein:
1. Alle »Parabeln« als narrativ zu verstehen, übergeht wichtige Einsichten der Erzählforschung (z. B. Tempusgebrauch) und nötigt dazu, den formalen Unterschied von Texten wie Mk 2,17 und Lk 15,11–32 zu leugnen. 2. Die These der Polyvalenz führt in manchen Beiträgen dazu, dass die Prägnanz des sprachlich realisierten Textes bei Weitem nicht ausgeschöpft wird. 3. Die Darbietung entlang der Quellen weist m. E. keinen Ausweg aus den Schwierigkeiten einer kategorialen Differenzierung der Texte und hat, gefördert durch die vorangestellten Einleitungen, eine einseitige Konzentration auf die redaktionsgeschichtliche Frage zur Folge. Außerdem: Wie soll der literarische Zu­sammenhang einer Quelle erkennbar werden, wenn bei Mt, Lk und EvThom jeweils nur die relativ wenigen »Parabeln« des Sonderguts behandelt werden, während die Mehrzahl der Texte als Parallelüberlieferung zu einer anderen Quelle erörtert wird? Warum werden Mk 2,17 und 10,15 nicht dem Mk-Faden zugeordnet, sondern im Anhang zu Lk 4,23 bzw. EvThom 22 behandelt? Und warum wird Q 10,22 zu Joh 5,19–23 gezogen? 4. Das verdienstvolle Motivfeld-Register (1003–10) relativiert nicht das Desiderat, dass die vielfältigen Beziehungen zwischen den verschiedenen Überlieferungsschichten kein eigener Gegenstand der Untersuchung sind. Damit aber wird ein besonders wichtiger Ansatzpunkt der historischen Jesusforschung ausgeblendet. Dem entspricht die plakative Art, wie der »erinnerte« gegen den »historischen« Jesus ausgespielt wird – während doch die, denen wir die Rezeption der Erinnerungskategorie verdanken, eine Synthese anstreben. 5. Hält man am Konnex von Gleichnis- und Jesusforschung fest, versteht sich die Berücksichtigung des EvThom nahezu von selbst, während die Einbeziehung des EvJoh und der Agrapha weiterhin eine offene Frage markiert. 6. Auch wenn Jülichers Kategorien zu Recht problematisiert werden, haben sie nach wie vor großen heuristischen Wert – ganz davon abgesehen, dass sich die Qualität von Jülichers Auslegung eines Gleichnisses nicht in dessen kategorialer Zuordnung erschöpft. Und vor allem: Die Strukturierung des Materials nach formalen und/oder inhaltlichen Gesichtspunkten bleibt auch dann eine unverzichtbare Aufgabe, wenn man sich dafür nicht auf Vorgaben der Texte berufen kann.
Wer sich mit Gleichnissen befasst, wird in dem Kompendium im­mer wieder überraschende Entdeckungen machen können. Meinem eigenen Urteil nach sind viele Beiträge überaus anregend, innovativ und eine Bereicherung der Forschung. Den Anspruch des Herausgebers, Jülicher zu ersetzen, erfüllt das Kompendium je­doch nicht. Wir haben vielmehr ein facettenreiches Sammelwerk vor uns, das die Größe der vor uns liegenden Aufgabe zeigt. Ob es zugleich ein unverzichtbares Standardwerk ist (so die Rückseite des Einbandes), entscheidet allerdings erst die Zukunft.