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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

430-432

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Watts, James W.

Titel/Untertitel:

Ritual and Rhetoric in Leviticus. From Sacrifice to Scripture.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2007. XX, 257 S. gr.8°. Geb. US$ 89,00. ISBN 978-0-521-87193-8.

Rezensent:

Thilo Alexander Rudnig

James W. Watts, Professor of Religion an der Syracuse University/ N.Y., hat bereits mehrere Studien zum Pentateuch vorgelegt und arbeitet derzeit an einem Leviticus-Kommentar. Die zu besprechende Publikation vereinigt neun Essays, die durch das Ziel der rhetorischen Analyse von Lev 1–16 verbunden sind; die Leitfrage heißt dabei: »Who was trying to persuade whom of what by writing these texts?« (XV) Drei der Essays wurden bereits an anderer Stelle veröffentlicht und für ihren jetzigen Kontext leicht redigiert.
In einer Einführung (»Introduction: Ritual Text and Ritual Interpretation«, 1–36) erläutert W. seine Grundsätze und Ziele. Ausgehend von der Differenzierung zwischen Interpretation von Texten und Interpretation von Ritualen erhebt er »persuasion« als Ziel der Ritualbeschreibungen von Lev: nämlich Hörer oder Leser von ihrer Gültigkeit zu überzeugen bzw. davon, das Ritual in genau der be­schriebenen Art und Weise durchzuführen.
Es folgen Überlegungen zu den Opferbestimmungen Lev 1–7 (»The Rhetoric of Ritual Instruction«, 37–62, vgl. bereits VT.S 93, 79–100). Anstatt hier nach einer zu Grunde liegenden kurzen Gattung »Ritual« zu suchen (Rendtorff u. a.), führt nach W. nur die konsequente Wahrnahme rhetorischer Effekte weiter. Einleitungen wie Lev 1,1 f.; 4,1 etc., nach denen Mose dem Volk den folgenden Kontext als Gottesrede zu vermitteln hat, verweisen deutlich auf »the text’s persuasiveness« (48): Lev 1–7 wollen als normativ verstanden werden. Die Priorität des Brandopfers in Lev 1 (»The Rhetoric of Burnt Offerings«, 63–78, vgl. VT 56 [2006], 125–137) entspricht zwar der Konvention, dient aber im Kontext der Opfervorschriften dazu, die Hörer oder Leser von den Neuerungen zu überzeugen, die in den Bestimmungen zu Sünd- und Schuldopfer (Lev 4 f.) vorliegen. Diese festigen priesterliche Machtansprüche, weil die Priester hier die größten Opferanteile erhalten. Das theologische Konzept des Brandopfers als Ganzopfer dagegen besteht in selbstloser Hingabe an Gott. Seine betonte Voranstellung in Lev 1 soll die tatsächlichen Interessen der Priester verdecken. Entsprechend zielt »The Rhetoric of Sin, Guilt, and Ritual Offerings« (79–96) darauf ab, Sünd- und Schuldopfer ( ḥaṭṭā ̓t und ̉̉āšām) fest in der Opfertorah zu verankern. Da die Begriffe ḥaṭṭā ̓t und ̉̉āšām nicht nur die Opferarten bezeichnen, sondern auch theologische und juristische Kategorien (etwa »Sünde« und »Schuld«), sind sie emotional stark aufgeladen und weisen beim Hörer auf die dringende Notwendigkeit dieser Opfer hin.
Der Festschreibung priesterlicher Machtansprüche dienen auch Lev 8–10 (»The Rhetoric of Ritual Narrative«, 97–129). In den Berichten von der Einsetzung Aarons und seiner Söhne (Lev 8) sowie von der Aufnahme des Opferdienstes (Lev 9) unterstreichen refrainartige Rückverweise auf Jahwes Gebot (Lev 8,4.5.9 etc.) klar das aaronidische Kultmonopol. Nur die Aaroniden dürfen sich Jahwe nähern. Einen wie gefährlichen Dienst sie damit auf sich nehmen, zeigt der Tod von Aarons Söhnen Nadab und Abihu nach Lev 10,1–3, die von Jahwe ausgelöscht werden, weil sie unerlaubtes Feuer vor ihn gebracht haben. Damit verteidigt die Episode priesterliche Privilegien gegen die Teilnahme von Laien und Leviten im Kult. Zudem unterstützt der Gebrauch der Wurzel kpr pi. (»pay«, »purify«) klar das priesterliche Monopol (»The Rhetoric of Atonement«, 130–141), denn gewöhnlich wird der Priester als Subjekt der Sühnehandlung genannt oder ist als Subjekt anzunehmen. Die ausdrückliche Verwendung der Wurzel für das Brandopfer eines nichtpriesterlichen Teilnehmers in 1,4 soll diese Absicht nur verschleiern. Außerdem machen 1,4 und der Ritus der Handauflegung beim šelāmîm-Opfer nach Lev 3,2.8.13 deutlich, dass nach der Konzeption von Lev 1–5 alle Opfer der Entsühnung dienen.
Unter »The Rhetoric of Priesthood« (142–172) stellt W. einige kursorische Überlegungen zur Geschichte des Priestertums zu­sam­men. Nach 587 v. Chr. geht die Herrschaft von den Königen an die aaronidischen Priester über. Ihre Leistung besteht nicht nur darin, dass sie die Forderungen der Torah durchgesetzt haben, deren Verfasser sie auch zu erheblichen Teilen sind. Sondern sie haben durch eine konsequente Anpassungspolitik an die jeweils herrschenden Völker auch wesentlich zum Überleben des Jahwevolkes beigetragen. In »The Rhetoric of Sacrifice« (173–192) plädiert W. dagegen, die in Lev beschriebenen Opferarten mit dem Begriff »sacrifice« wiederzugeben, da dieser vor allem mit Vorstellungen wie der Bindung Isaaks (Gen 22) oder dem Opfertod Jesu konnotiert und deshalb stark wertend ist. Stattdessen ist »offering« die adäquate Übersetzung. »The Rhetoric of Scripture« (193–217, vgl. JBL 124 [2005], 401–417) soll schließlich zeigen, dass die normative Geltung der Torah von ihrer kultischen Gesetzgebung ausgeht, wie die Maßnahmen Esras und Nehemias (Esr 10; Neh 13) im Zusammenhang mit Esras Gesetzesverlesung (Neh 8) zeigen. Die Verbindlichkeit der ethischen Gesetzgebung und der erzählenden Teile der Torah hat sich daraus sekundär entwickelt.
W. sammelt in seiner Studie wohl einige interessante Beobachtungen; der Ertrag erscheint aber insgesamt gering. Wenn er als gesamte »message« von Lev 1–16 lediglich nennt »to buttress the privileges and rights of the Aaronide priests« (154), wird dies dem differenzierten Charakter der Texte mit ihren vielfachen Intentionen nicht gerecht. Generell bewegen sich die Überlegungen auf der Oberfläche des kanonischen Endtextes. Dabei sieht der Rezensent das Problem nicht in der Wahl des synchronen Zugangs zum Text, sondern im weitgehenden Verzicht auf präzise und detaillierte Analysen, wodurch die Texte nur gestreift werden.
So wird die postulierte rhetorische Struktur von Lev 1–16 nur aus wenigen Einzelbeobachtungen erhoben; auf konzeptionelle und literarische Unterschiede von Texten, wie sie etwa in Lev 10 begegnen, geht W. kaum ein. Entsprechend unterbleibt auch die Auseinandersetzung mit einschlägiger kritischer Forschungsliteratur.
W. schließt aus, dass sich in der Geschichte vom Tod Nadabs und Abihus (10,1–3) innerpriesterliche Auseinandersetzungen nie­derschlagen. Die Berücksichtigung einer solchen Möglichkeit und allgemein des Antagonismus von Aaroniden und Zadokiden sowie der komplexen sozialen Situation nach dem Exil hätte jedoch seinen Überlegungen zum Priestertum (142–172) erhebliche Tiefenschärfe verleihen können. Auch hier fehlt weitgehend die Auseinandersetzung mit Forschungsliteratur. Ferner verzichtet W. gänzlich auf eine Unterscheidung von P g und Ps; für ihn ist etwa Lev 1–7 einfach »P«, bei dessen Datierung er unschlüssig bleibt (150–155).
Diese wenigen Beobachtungen, die um weitere ergänzt werden könnten, zeigen leider, dass die Lektüre des genannten Buches keinen allzu großen Erkenntnisgewinn bringt.