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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

424-426

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Sæbø, Magne [Ed.]

Titel/Untertitel:

Hebrew Bible/Old Testament: The History of Its Interpretation. Vol. II: From the Renaissance to the Enlightenment. In Co-Operation with M. Fishbane and J. L. Ska.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. 1248 S. m. 3 Abb. gr.8°. Lw. EUR 169,00. ISBN 978-3-525-53982-8.

Rezensent:

Rudolf Smend

Zwölf Jahre nach Band I/1 (vgl. ThLZ 123 [1998], 468–470), zehn Jahre nach Band I/2 ist nunmehr Band II dieses monumentalen Gemeinschaftswerks erschienen. Der Herausgeber bittet im Vorwort um Verständnis für die Verzögerung gegenüber dem ur­sprünglichen Plan. Dieses Verständnis bringt leicht auf, wer auch nur flüchtig in dem neuen Band blättert, bei dem wiederum nicht nur der Plan, sondern auch die Organisation seiner Durchführung weitestgehend das Werk eines einzigen Mannes gewesen ist. Das Titelblatt nennt zwar einen jüdischen und einen römisch-katholischen Gelehrten als Mitwirkende – beide haben übrigens seit dem ersten Band gewechselt –, aber allzu große Lasten hat er ihnen schwerlich aufgebürdet, vielmehr ihren Rat, wie auch den anderer, erbeten und erhalten und nach seinem Ermessen verwendet. Die finanzielle und personelle Unterstützung durch norwegische Instanzen, für die das Vorwort dankt, hat nicht einmal eine volle wissenschaftliche Hilfskraft, geschweige denn einen ständigen wissenschaftlichen Mitarbeiter (oder mehrere) einbegriffen. In Deutschland dürfte es kaum jemanden geben, der Vergleichbares ohne ein Akademieprojekt, einen Sonderforschungsbereich oder Ähnliches mit all ihrem Drum und Dran und dann auch noch, wenn überhaupt, ohne erheblich größere Verzögerungen zu Stande brächte. S. hat sein jahrelang bedachtes Konzept im »Prolegomenon« zu Band I/1 (19–30) unter Bezugnahme auf die älteren forschungs­geschichtlichen Unternehmen entwickelt und es inzwischen in einem sehr lesenswerten Artikel »Zur neueren In­terpretationsgeschichte des Alten Testaments« (ThLZ 130, 2005, 1033–1044) noch einmal in den Zusammenhang der neuerdings deutlich vermehrten einschlägigen Bemühungen gestellt. Sein wichtigstes Vorbild ist L. Diestels »Geschichte des Alten Testaments in der christlichen Kirche« (1869), die allerdings, aus pragmatischen Gründen und mit Bedauern, die jüdische Exegese nicht einbezog. Dass S. sein Werk dem Andenken Diestels gewidmet hat, ehrt nicht nur diesen, sondern auch ihn selbst.
Band I hat in zwei Halbbänden das Altertum und das Mittelalter umfasst, Band III soll wiederum in zwei Halbbänden das 19. und das 20. Jh. behandeln. Der damit nach außen deutlich abgegrenzten, in sich aber ziemlich unübersichtlichen Zwischenzeit gilt der kompakte Band II. Er ist dreigeteilt: Renaissance, Kirchenreformen und Reformation, Orthodoxie und Rationalismus. Der erste Teil umfasst elf, der zweite 14, der dritte 18 Kapitel. Vorangestellt ist ein erstes Kapitel, in dem der Herausgeber mit einer unter Alttestamentlern nicht alltäglichen Belesenheit sowohl die Verschiedenheit der drei Perioden, als auch die ihnen gemeinsamen Grundzüge darstellt und damit allem Folgenden einen Rahmen gibt. Nicht überlesen sollte man das klein gedruckte Motto aus K. Barths »Protestantischer Theologie im 19. Jahrhundert«: »Geschichtsdarstellung kann nicht Gerichtsverkündigung sein.« Während Barths eigenes Buch diesem Satz nur in Grenzen entspricht (und gerade darin seinen Reiz und Rang hat!), muss man dem hier anzuzeigenden Werk bescheinigen, dass es auf vorbildliche Weise sine ira et studio geschrieben ist; nur selten schimmern Parteilichkeiten und Voreingenommenheiten durch.
Sehr sinnvoll wird eingangs das mittelalterliche Erbe vergegenwärtigt, in Gestalt des Christen Nikolaus von Lyra und des Juden Levi ben Gerson einerseits, des die Perioden übergreifenden Phänomens der Biblia Pauperum andererseits (Kapitel 2 und 3, verfasst von L. Smith, S. Feldman, T. Rasmussen). Es folgen drei Kapitel, die nicht die Bibelauslegung, sondern deren Umfeld beschreiben, nämlich soziopolitische und kulturelle Aspekte der Renaissance (4, T. B. Eriksen, darin aber ein Abschnitt über die Bibel bei Dante), den philosophischen Kontext in der Renaissance (5, J. Catto) und, am ausführlichsten, den institutionellen Rahmen der theologischen Studien im späten Mittelalter (6, U. Köpf). Von U. Köpf folgen später und kürzer analoge Darstellungen zur Reformation und zum konfessionellen Zeitalter (16 und 26), während den kulturellen und soziopolitischen Kontext der Reformation E. Cameron beschreibt (15) und die Erweiterung des Weltbildes zu Beginn der Neuzeit Ch. Methuen (27). Obwohl die Bibelexegese in diesen Kapiteln meist nur latent gegenwärtig ist, weiß man dem Herausgeber Dank für den weiten Rahmen, in den er sie damit gestellt hat; festere Verbindungslinien werden sich von nun an leichter ziehen lassen. Und nebenbei sind etwa U. Köpfs Ausführungen zusammengenommen auch abgesehen von ihrer hiesigen Zweckbestimmung eine höchst informative Lektüre.
Das eigentliche Thema setzt sachgemäß unter der Überschrift »Ad fontes« mit der frühhumanistischen Bemühung um die Hebraica veritas ein (7, A. Vanderjagt, mit geschickter Gruppierung der besprochenen Konzepte und ihrer Vertreter). Dann kommen die beiden großen, unter sich so verschiedenen Gestalten des Abar­banel (8, E. Lawee, mit sorgfältiger Herausarbeitung der mit­tel­alterlichen und der renaissancemäßigen Züge) und, trotz seiner Reserven gegenüber der hebräischen Sprache und Tradition, des Erasmus (9, E. Rummel). Besonders kundig und instruktiv sind die letzten drei Kapitel des Renaissance-Teils: über die spanische Schriftauslegung (10, E. Fernández Tejero und N. Fernández Marcos), die »early Christian Hebraists« Reuchlin, Pellikan, Capito, Münster und Elias Levita (11, S. Kessler Mesguich) und die ersten gedruckten Bibeln bis zur Complutensischen Polyglotte (12, A. Schenker, von ihm auch Kapitel 30 über die Antwerpener, Pariser und Londoner Polyglotte).
Den zweiten Teil eröffnen Kapitel über die Bewegungen der vorreformatorischen Dissidenten Waldes, Wyclif und Hus (13, G. R. Evans) und die Konzilien des 15. Jh.s (14, O. Skarsaune). Den größten Block bildet naturgemäß die Darstellung von Exegese und Hermeneutik der Reformatoren Luther (17, S. Raeder) und Oekolampad– Zwingli – Calvin (18, P. Opitz), an die sich Bucer mit seiner oberrheinischen und Melanchthon mit seiner wittenbergischen Um­gebung (19, R. G. Hobbs) sowie, etwas abgesetzt, die Radikalen Karlstadt und Müntzer mitsamt Anabaptisten, Spiritualisten und Antitrinitariern (23, H.-J. Goertz) sowie als Lutheraner der zweiten Generation Matthias Flacius und Martin Chemnitz anschließen (24, B. T. Oftestad). Kompetente Einzelkapitel gelten England und Schottland (20, R. Rex), den englischen und französischen Bibelübersetzungen (21 und 22, H. Wansbrough und B. E. Schwarzbach) und den Katholiken von Cajetan bis Bellarmin (25, J. Wicks).
Im dritten Teil ist das umfangreichste Kapitel (28, J. A. Steiger über die protestantische Orthodoxie) auch theologisch besonders gehaltvoll; das kompaktere katholische Gegenstück (29, P. Gibert) kann sich an den klingenden Namen Bonfrère, a` Lapide und Morin orientieren. An die »early Christian Hebraists« (11) schließen sich fast nahtlos die »later Christian Hebraists« an, wobei die Namen Buxtorf, Cappel, Schultens und Kennicott – de Rossi genau den Fortschritt im Erkenntniszuwachs bezeichnen (31, St. G. Burnett). Die Fülle der übrigen Gelehrten im 17. und 18. Jh. ist geschickt gruppiert. Ein ganzes Kapitel bekommt nur noch Spinoza (33, St. Nadler).
Unter dem Stichwort der wachsenden Spannung zwischen Kirchenlehre und kritischer Exegese werden Sozzini, Grotius, La Peyrère und Descartes zusam­mengefasst (32, H. J. M. Nellen), als katholische Pentateuchkritiker Simon, Calmet, Astruc und Houbigant (34, J. Rogerson), als frühe britische Kritiker Lowth und Geddes (40, W. McKane) mit dem Gegenstück früher Kritiker auf dem Kontinent, nämlich Vitringa, Ernesti und Michaelis (41, J. Sandys-Wunsch). Das Gegenüber von England und Kontinent gliedert auch die beiden Kapitel über den Rationalismus (35 u. 36, H. Graf Reventlow bzw. Ch. Bultmann). Theologiegeschichte von Rang bietet dann noch einmal die Darstellung des pietis­tischen Bibelverständnisses (37, J. Wallmann), auf die unverhofft ein Stück Literaturgeschichte folgt: die Bibel bei Milton, Bunyan und in den Hymnen von Herbert, Watts und Wesley (38, St. Prickett). Ein weiteres Mal kommt das Judentum zu Wort, mit Chassidismus (39, M. Idel) und den Wegen zu und in der Haskala mit M. Mendelssohn als Zentralfigur (43, E. Breuer). Ein weit zurückgreifendes, in J. S. Semler gipfelndes Kapitel bekommt noch die historische Kanonskritik (42, J. H. Hayes), bevor das Schlusskapitel, beginnend mit dem doppelten Einschnitt der Französischen Revolution und der Philosophie Kants, anhand der Schriften von Herder, Eichhorn und Gabler an und über die Schwelle zum 19. Jh. führt (44, H. Graf Reventlow).
Der Herausgeber hat die schwierige Aufgabe, die Probleme und Richtungen der Forschung einerseits und die Gelehrtenpersönlichkeiten andererseits in ein angemessenes Verhältnis zu bringen, durchweg vertretbar, oft hervorragend gelöst. Er hat darauf verzichtet, die einzelnen Kapitel mehr als nötig aufeinander abzustimmen. Sie stehen also meist für sich und sind daher auch be­sonders gut einzeln lesbar; es befinden sich wahre Kabinettstück­chen darunter – kein Wunder, da S. sich bemüht hat, überall die besten Fachleute zu gewinnen. Den Zusammenhang stellt das sehr übersichtliche Inhaltsverzeichnis her, im Einzelnen leistet das – für meinen Geschmack allerdings etwas zu ausführliche – Register gute Dienste. Das Werk erstrebt und erreicht eine größtmögliche Vollständigkeit; ich vermisse am schmerzlichsten den gelehrten Hugenotten Samuel Bochart, dessen Hierozoicon und Geographia sacra sehr bedeutende und einflussreiche Bücher gewesen sind (die beiläufige Erwähnung auf S. 973 macht eigentlich nur auf die Lü­cke aufmerksam). Dem Herausgeber ist von Herzen zu wünschen, dass er den Schlussband in seinen beiden Teilen ohne größere Hindernisse auf gleichem Niveau zu Stande bringen kann. Das Ge­samtwerk wird für jede Alttestamentlerin und jeden Alttestamentler von unschätzbarem Nutzen sein, ohne Not sollte sich niemand von seinem Besitz dispensieren.