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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

418-420

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Rüpke, Jörg

Titel/Untertitel:

Historische Religionswissenschaft. Eine Einführung.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 222 S. gr.8° = Religionswissenschaft heute, 5. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-17-019796-1.

Rezensent:

Kurt Rudolph

An sog. Einführungen zum Fach Religionsgeschichte bzw. Religionswissenschaft hat es in den letzten Jahren nicht gefehlt, so dass die zu besprechende Publikation des Erfurter Religionswissenschaftlers J. Rüpke zunächst nicht besonders auffällig ist, es sei denn, man lässt sich gleich von dem Titel überraschen, der bisher so nicht üblich ist. Im Vorwort wird daher dazu bemerkt, dass damit keine Engführung des Faches angezeigt werden soll, sondern die Religionsgeschichte »als zentraler Gegenstand« der Religionswissenschaft zu verstehen ist, d. h. die Religionswissenschaft hat als eine »historisch ausgerichtete Disziplin« zu gelten. Sicherlich eine notwendige Position, wenn man die neueren Publikationen, die oft der Religionswissenschaft zugeschrieben werden, einigermaßen kennt. Vorlagen für das Buch sind Ringvorlesungen des Interdisziplinären Forums Religion der Universität Erfurt, die in den letzten Jahren gehalten und zum Teil publiziert, aber für dieses Buch »überarbeitet und gestrafft« wurden (Angaben dazu in Anm. 1). Schwerpunkte und Lücken werden auch eingangs ge­nannt (13), besonders auf die »reiche europäische Forschungslandschaft« wird verwiesen, wozu auch die umfangreiche Bibliographie am Ende gehört (163–222).
Die »Einführung« (15–27) thematisiert das primäre Anliegen in einer Auseinandersetzung mit J. Wachs »Grundlegung« von 1924, die eine Zweiteilung von Religionsgeschichte und »Systematischer Religionswissenschaft« begründete. Für R. ist der Begriff »Systematik« heute ungeeignet, da er zu theologisch sei (26). Zu Zeiten Wachs war allerdings in der Theologie der Begriff Dogmatik dafür üblich. Immerhin sieht auch R. im Wesentlichen den Vergleich als Hauptaufgabe der sog. Systematik an, aber dazu bedürfe es keiner eigenen systematischen Grundlegung, da die dabei verwendeten Begriffe, Typologien und kausalen Zusammenhänge der Geschichte entstammen (28). Dass es dazu eines eigenen Arbeitsfeldes bedarf, wie auch in anderen Geistes- oder Kulturwissenschaften, sollte allerdings nicht übersehen werden. Schon der Begriff »Religion«, den R. nicht näher beschreibt, ist für die Religionswissenschaft eine un­historische Abstraktion, da sie es nur mit Religionen zu tun hat. Auch R. kommt verschiedentlich nicht von der Verwendung »Sys­tematik« los (z. B 36: »historisch-systematische Religionswissenschaft«). Die enge Bindung an die Soziologie, die auch sprachlich dominiert (»Soziologen-Deutsch«), wird ausdrücklich betont, in­dem die historische Religionswissenschaft analog zur historischen Sozialwissenschaft aufzufassen sei (31, mit Verweis auf H. G. Kippenberg, dem das Buch gewidmet ist). Andererseits diene sie nur der Gefahr der Auflösung der Religionswissenschaft in Religionsgeschichte und Systematische Religionswissenschaft. Es sei tautologisch, nur die Religionsgeschichte als »historisch« aufzufassen, denn Religionswissenschaft und historische Religionswissenschaft seien Synonyme (32). Daher ist das Ziel des Buches, »in unterschiedlichen Bereichen den religionswissenschaftlichen Zugriff auf ge­schichtliche Befunde anschaulich zu machen« (ebd.). Eine Rückwirkung solcher Befunde auf die »religionswissenschaftliche Be­griffs- und Modellbildung« wird dabei durchaus ins Auge gefasst. Auch hier bedarf es natürlich einer speziellen Arbeits- bzw. Forschungsaufgabe, die eine rein historische Untersuchung überschreitet (vgl. 73). Der Raum erlaubt keine weitere, obwohl notwendige Diskussion.
Der Großteil des Buches widmet sich in den vier Hauptteilen zentralen Sachverhalten der Religionsgeschichte/Religionswissenschaft: Religiöse Texte (35–69), Religiöses Handeln (73–118), Religiöse Organisation (121–150), dem sich ein Kapitel über »Religions-Wissenschaft« (153–162) anschließt, dann folgt die umfangreiche »Auswahlbibliographie« zur Religionswissenschaft (163–172).
Dass bei dem verwendeten historischen Material der mediterran-antike, besonders römische Bereich dominiert, ist bei R. verständlich. Vorderorientalische und manchmal auch fernöstliche Quellen spielen gelegentlich eine Rolle. Originell ist der Einstieg zu Abschnitt I über »Religion – medial« (35–43), in dem die heutige Medienlandschaft sich dem Thema Religion in unterschiedlichen Formen von Visualisierung und Dramatisierung widmet und dadurch alte und neue Weisen religiöser Vergegenständlichung darbietet, aber auch verändert, wobei Kritik und Wandel Hand in Hand gehen (besonders 41 ff.) – ein neues Arbeitsfeld der Religionswissenschaft, aber auch der Medien. Weiterhin geht das Kapitel auch auf Schrift und Literatur ein, die ja ein Hauptthema der Religionswissenschaft im 19 Jh. war und ihre philologische Tradition bildete (44 ff.). Der »Konstruktion von Göttern« widmet sich ein weiterer Teil anhand der römischen Religion (53–69), in dem es vor allem um das Verhältnis von irdischer und himmlischer Herrschaft bzw. Macht geht.
Das »religiöse Handeln« wird ebenfalls überwiegend anhand von antik-römischem Material demonstriert, zunächst als religiöses Kommunikationssystem mit dem Ziel, »über die konkrete historische Konstruktion« hinauszugehen, um die einzelnen Fälle bzw. Beispiele vergleichbar zu machen (73). Hierbei entdeckt man daher oft, wie Vergleichsarbeit und Abstraktion religiöser Kommunikationen zusammengehen, eigentlich ein Thema der traditionellen sys­tematisch-theoretischen Religionswissenschaft (s. besonders 77 ff.). So lässt sich eben schnell feststellen, dass der moderne, christlich-europäische Religionsbegriff nicht mit dem antiken Verständnis einhergeht (79). Das Modell dafür bietet hier neuere soziologische Literatur (82 ff., H. Reimann, I. Mörth, H. Luhmann). Ein weiteres neues Thema, das neuerdings mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist das Verhältnis von »Religion und Krieg« (89–97), allerdings mit wenig Material, aber für eine Weiterführung anregend. Bei der Behandlung der Rituale (98–106) liegt der Schwerpunkt darauf, dass es keine generelle Deutung für sie gibt, sondern dass die einzelnen rituellen Handlungen und Veranstaltungen unterschiedliche Deutungen, jeweils abhängig von den sozialen und religiösen Hintergründen besitzen, so dass es schon für die klassische Antike Grenzen für Verallgemeinerungen gibt (105 f.). Ein Beispiel für manche falsche Interpretation von antiken (römischen) Ritualen bringt schließlich noch ein Kapitel über »Kulte jenseits der Stadt«, d. h. die bekannten Wald- und Feldkulte (107 ff.).
Als soziologisch besonders attraktives Thema der »religiösen Organisationen« (121–150) bietet sich das von »Religion und Gruppe« an (121–127), wobei zugestanden wird, dass eine soziologische Analyse nur einen Teil religiöser Wirklichkeit erschließen kann (127), vor allem weil in den antiken Quellen wenig Raum für »persönliche Religion« nachweisbar ist, am ehesten noch für die Familienreligiosität in den Haus- und Ahnenkulten. Den »Religiösen Spezialisten« (128–137) widmet sich ein weiteres Kapitel (128–137), das gleich eingangs mit der herkömmlichen Begriffswelt und dem dafür in Anspruch genommenen Element des Charisma (z. B. bei J. Wach) aufräumt, da der religiöse Fachvertreter nur innerhalb eines sozialen Systems bestimmbar sei, nicht auf Grund religiöser Erlebnisse (131). Entscheidend sei die Arbeitsteilung und Aufgabenverteilung. Mit Hilfe der »Organisationssoziologie« lässt sich auch vieles im Bereich der religiösen Funktionäre erklären und verstehen (136 f.). Zum Abschluss folgt ein Blick auf die »zeitlichen Strukturen religiöser Aktivitäten« (138–150), wie die Wochenstruktur oder die Festkalender, hinter denen sich historische Ereignisse und religiöse Auseinandersetzungen verbergen. Ein eigenes Forschungsthema für diesen Bereich des Time-budget wäre nötig.
Das generelle Thema »Religion und Wissenschaft« wird am Ende noch recht kurz und im Wesentlichen wieder historisch behandelt (153–167). Dabei fällt der Blick sowohl auf die »Wissenschaftsgläubigkeit« (besonders seit A. Comte), aber auch auf die durch die wissenschaftliche Forschung verursachte bzw. angeregte Rückkehr antiker Götterwelten (156 f.) oder die »Physikotheologie« im 18. Jh., die neuartige religiöse Vorstellungswelten schafft. Auch esoterische Bereiche sind oft (ungewollte) Produkte religionswissenschaftlicher Forschung (160 f.). Diese sinnproduzierende Systeme zeigen eine Verbindung zwischen Wissenschaft und Religion, der sich die Religionswissenschaft nicht verschließen sollte (162). Völlig ausgelassen wird hier die ideologiekritische Wirkung bzw. Funktion der Religionswissenschaft, die schließlich eine ihrer markanten und unübersehbaren Seiten ist (gegenüber den unreflektierten Seiten von Religion und ihren Überlieferungen).
Die am Ende stehende Auswahlbibliographie zur Religionswissenschaft führt in 83 Sektionen Literatur von der Antike bis zur Gegenwart auf (75–83, z. B. auch DDR), wobei Europa dominiert (53–64). Es fehlen Angaben zu China, Japan, Iran (Zoroastrismus, Manichäismus), dafür sind die Bereiche der Systematischen Religionswissenschaft (6–39) reichlich mit Angaben versehen. Generell ist die Publikation begrüßens- und lesenswert, allerdings weniger für Studienanfänger, für sie liegen inzwischen zwei geeignete »Einführungen« vor: H.-J. Greschat, Die Sache Religion in religionswissenschaftlicher Sicht, Hamburg 2008, und R. Flasche, Religionswissenschaft-Treiben. Versuch einer Grundlegung der Religionswissenschaft, Berlin 2008.