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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

413-414

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ausgewählt u. übers. v. A. Th. Khoury.

Titel/Untertitel:

Der Hadīth. Urkunde der islamischen Tradition.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2008. Bd. I: Der Glaube. 455 S. gr.8°. Geb. EUR 49,95. ISBN 978-3-579-08066-6. Bd. II: Religiöse Grundpflichten und Rechtschaffenheit. 395 S. gr.8°. Geb. EUR 49,95. ISBN 978-3-579-08067-3.

Rezensent:

Andreas Feldtkeller

Das hier begonnene, auf fünf Bände angelegte Werk schließt eine empfindliche Lücke in der Zugänglichkeit islamischer Originalquellen in deutscher Sprache. Neben dem Koran ist der Hadith die wichtigste »Urkunde« des Islam. In ihr sind die überlieferten Lehrgespräche des Propheten Muhammad und die Erzählungen über seine Lebenspraxis gesammelt – inhaltlich das, was die islamische Tradition als die »Sunna« (Gewohnheit des Propheten) bezeichnet. Die Autorität des Hadith bemisst sich in einem komplizierten Ge­flecht von Abwägungen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die einzelnen Überlieferungen authentisch die Sunna des Propheten bezeugen. Doch zumindest für den sunnitischen Islam kann man nicht generell sagen, dass der Hadith weniger Autorität hätte als der Koran, denn eine zweifelsfreie Hadith-Überlieferung kann für die islamische Lebenspraxis höhere Verbindlichkeit ha­ben als ein interpretationsbedürftiger Vers des Koran.
Die Schwierigkeit eines Übersetzungsprojektes zum Hadith besteht darin, dass die Hadith-Überlieferung uns mit dem vollen Ausmaß des innerislamischen Pluralismus konfrontiert, der von den westlichen Stereotypen über den Islam so gerne ausgeblendet wird: Der Hadith liegt nicht in einer einzigen verbindlichen Fassung vor, sondern in einer Mehrzahl von Sammlungen, die von islamischen Wissenschaftlern ab dem 9. Jh. n. Chr. aus der mündlichen Tradition kompiliert wurden.
Adel Theodor Khoury, der den einschlägigen Leserkreisen schon bekannt ist u. a. durch eine der besten deutschen Koranübersetzungen und durch seine zwölfbändige Sammelübersetzung islamischer Korankommentierung, hat sich dafür entschieden, nicht eine bestimmte klassische Hadith-Sammlung zu übersetzen, sondern aus sechs der wichtigsten Sammlungen die als authentisch anerkannte Hadith-Überlieferung möglichst vollständig zusam­menzustellen, aber auf Doppelungen zu verzichten, wie sie sich in den klassischen Sammlungen allenthalben finden. Angeordnet ist das Material in einer Art Ideal-Gliederung, die sich eng an klassische Vorbilder anlehnt. Was damit entsteht, ist eine präzisere Erfassung der Hadith-Überlieferung, als sie in arabischer Sprache vorliegt. Für den Gebrauch ist das äußerst nützlich – bis hin zur Durchnummerierung des gesamten Materials, die arabische Vorbilder hat, aber auf Grund der höheren Systematisierung die Chance bietet, zu einem wegen seiner Einfachheit und Eindeutigkeit in Deutschland bevorzugten Zitationssystem zu werden. Lediglich ist den Benutzenden dieser Ausgabe ans Herz zu legen, dass sie darüber nicht vergessen, wie viel komplizierter die Überlieferungslage für muslimische Gläubige ist, die den Hadith in arabischer Sprache lesen und interpretieren.
Khoury liefert mit diesem Werk die Voraussetzungen für einen Quantensprung in der Wahrnehmung der Komplexität islamischer Überlieferung in der deutschen Öffentlichkeit. Nun liegt es an den Meinungsführern zum Thema Islam in Politik, Kirche, Erwachsenenbildung usw., von diesem Potential Gebrauch zu machen.