Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2009

Spalte:

375-378

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hermann, Gunther J.

Titel/Untertitel:

Apartheid als ökumenische Herausforderung. Die Rolle der Kirche im Südafrikakonflikt.

Verlag:

Frankfurt a. M.: Lembeck 2006. 542 S. gr.8°. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-87476-507-7.

Rezensent:

Rudolf Hinz

Mit diesem Buch hat Gunther J. Hermann eine vorläufige Bilanz der intensiven Auseinandersetzung um die Position der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Südafrikakonflikt in den entscheidenden Jahren von 1969 bis 1990 vorgelegt. In seiner Einleitung stellt er selbst klar, dass er diese Arbeit »als engagierter Zeitgenosse« auf Seiten der innerkirchlichen Opposition gegen die oft zögerliche EKD geschrieben hat, was nicht nur in seinen wertenden Passagen, sondern an manchen Stellen auch in seiner Sprache durchscheint. Aber es ist doch beeindruckend, mit welcher Intensität und Genauigkeit der Vf. die ihm zugänglichen Quellen analysiert und dazu mehr als 60 Zeitzeugen auf allen Seiten des Konfliktes in Südafrika und Deutschland ausführlich befragt und zu Rate gezogen hat. Als Theologe, der Anfang der 70er Jahre seine missionswissenschaftliche Dissertation über die Bedeutung von Rasse und Religion im Südsudankonflikt geschrieben, auf Studienreisen in den 80er Jahren enge Kontakte zu schwarzen und weißen Chris­tinnen und Christen in Südafrika gepflegt hat und schließlich als Pfarrer im Gemeindedienst für Mission, Ökumene und Entwick­lungsdienst in der Evangelischen Landeskirche Württembergs schwerpunktmäßig für Südafrika zuständig war, brachte er in die Arbeit an seinem Buch eine Fülle von relevanten Erfahrungen ein, die ihn bei aller »bewussten persönlichen Parteinahme« zu einem bemerkenswert differenzierten Urteil über die Südafrikadebatte und -arbeit in der EKD und auch in den Reihen der engagierten kirchlichen Südafrikagruppen geführt hat.
Auch wer – wie der Rezensent als Afrikareferent im Außenamt der EKD – selbst am Geschehen beteiligt war, wird bei der Lektüre dieses Buches auf Einzelheiten und Zusammenhänge stoßen, die ihm inzwischen entfallen sind oder in der Hitze der Debatten gar entgangen waren. Der Vf. hat zudem die Entwicklungen in der Diskussion der Kirchen in Südafrika und Deutschland in den großen geschichtlichen Zusammenhang der politischen und so­zialen Entwicklung in Südafrika gestellt. Die Kapitelüberschriften machen das sehr deutlich: »1. Die Zeit des Erwachens 1969–1975; 2. Weiße ›Reformpolitik‹ oder Schwarze Macht 1976–1980; 3. Bürgerkriegsähnliche Unruhen 1980–1985; 4. Agonie des Apartheidre­gimes«. Diese Einbettung der kirchlichen Debatten im Raum der evangelischen Kirchen in Deutschland in den geschichtlichen Zusammenhang der politischen und auch kirchlichen Entwick­lung in Südafrika macht dieses Buch sicher auch für geschichtlich interessierte Leser interessant.
Die notwendige Konzentration und Eingrenzung des zu untersuchenden Materials auf die Beziehungen der EKD zu den Kirchen in Südafrika hat den Vf. nicht zu einer Engführung verleitet. Im Mittelpunkt stehen das System der Apartheid und der Widerstand gegen dieses Unrechtsregime in all seinen Erscheinungsformen – auch und besonders den kirchlichen. Seine Leitfrage ist: Wie haben die Kirchen im Land selbst und in Deutschland auf dieses Un­rechtssystem reagiert? Wie haben Christinnen und Christen den Hilferuf der unter diesem System Leidenden beantwortet?
Kapitel 1 »Zeit des Erwachens 1969–1975« beginnt mit der Darstellung des Programms des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) zur Bekämpfung des Rassismus (PCR) mit seinem Schwerpunkt im Südlichen Afrika und der kontroversen Debatte um den Sonderfond dieses Programms, aus dem auch die Befreiungsbewegungen im Südlichen Afrika unterstützt werden sollten, ohne dass ihnen ein Nachweis über die Verwendung der Mittel abverlangt wurde. Das war ein »Paradigmenwechsel« in der Arbeit des ÖRK, der in der EKD eine jahrelange leidenschaftliche Debatte um das Mandat der Kirche und um die Ökumene im Raum der Politik und in der Frage des Widerstandsrechts ausgelöst hat. Beide sollten die Kernfragen der Südafrikadebatte bis zur Lösung des Konflikts in den 90er Jahren bleiben.
Gleich anschließend führt der Vf. in das andere Thema ein, das ebenfalls die Position der EKD maßgeblich bestimmt hat: die engen vertraglichen Beziehungen, die die EKD gemäß ihrem Mandat für die Auslandsarbeit auch zu den Kirchen deutscher und lutherischer Prägung im Südlichen Afrika (zusammengeschlossen in der Ver­einigten Evangelisch-lutherischen Kirche im Südlichen Afrika – VELKSA) wahrnahm. In Bezug auf die politische und kirchliche Situation im Südlichen Afrika befand sich die EKD damit in einem Dilemma, das der Vf. eingehend und kenntnisreich beschreibt: Ihre Beziehungen zu den Kirchen deutscher Prägung waren (und sind es bis heute) in der Tat »exklusiv«, sie galten einer kleinen Minderheit im Lande, deren Mitglieder überwiegend die Apartheidpolitik ihrer Re­gierung unterstützten und verteidigten. Die Wahrnehmung der Be­ziehungen zu den schwarzen lutherischen Kirchen, die aus deutscher Missionsarbeit hervorgegangen waren, lag bei den Missionswerken und ihrem Zusammenschluss im Evangelischen Missionswerk (EMW). Als die EKD schließlich auch Beziehungen zu ihrem Äquivalent in Südafrika, dem Zusammenschluss der protestan­tischen Kirchen Südafrikas im Südafrikanischen Kirchenrat (SACC), aufnahm und kräftig ausbaute, stand sie zunehmend in einem »Spagat«: Der SACC, dem die deutschen lutherischen Kirchen in Südafrika nicht angehören wollten, wurde zunehmend zum Hauptakteur des kirchlichen Widerstandes in Südafrika. Beide Partner erwarteten von der EKD Solidarität mit ihrer gegensätzlichen Haltung zum Apartheidregime.
Diese beiden kontroversen Themenkreise, die ökumenische Herausforderung angesichts der Apartheid in Südafrika auf der einen Seite und die Wahrnehmung der vertraglichen Beziehungen der EKD zu den deutschen Kirchen auf der anderen Seite, durchziehen das Buch wie ein roter Faden.
Ausführlich stellt der Vf. dar, wie vielfältig allein die verschiedenen Strömungen innerhalb des Gefüges der EKD gewesen sind. Als offizielle Position der EKD galt zwar immer das, was der Rat beschloss und erklärte. Aber daneben gab es auch Synodenerklärungen und Ergebnisse der Beratungen in den Kammern der EKD, die die Öffentlichkeit erreichten und durchaus eigenes Profil zeigten. Auch die Ratsvorsitzenden der EKD und der Präsident des Außenamtes/Hauptabteilung III des Kirchenamtes der EKD setzten ihre Akzente öffentlich. Die Stellungnahmen und Aktionen des Reformierten Bundes, der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), der Evangelischen Frauenarbeit in der EKD, der in Südafrika arbeitenden Missionswerke und des EMW werden vom Vf. als von der EKD differierende offizielle kirchliche Positionen in seine Untersuchung einbezogen. Natürlich werden auch die Positionen der kirchlichen Solidaritätsgruppen ausführlich zitiert und kommentiert. Sie waren es ja, die sich schon frühzeitig für die Opfer des Apartheidregimes einsetzten und von der EKD eine klare Position gegen dieses System und seine Unterstützer in Politik, Wirtschaft und Kirche forderten.
Einen breiten Raum in der Darstellung nimmt auch die Entwicklung innerhalb der reformierten Kirchen Südafrikas ein, die in der Bundesrepublik vom Reformierten Bund kritisch begleitet wurde. Deutlich arbeitet der Vf. heraus, wie beklemmend parallel die Trennlinien zwischen den verschiedenen reformierten Kirchen die Trennung der Südafrikanischen Bevölkerung nach Rassenzugehörigkeit abbilden. Auch die Parallelität zwischen der Entwicklung in den reformierten Kirchen Südafrikas und der vom deutschen Luthertum geprägten Vertragspartner der EKD drängt sich beim Lesen unmittelbar auf und führt zu der Frage, warum insbesondere die Kirchen der Reformation in Südafrika und Namibia nach Rassenzugehörigkeit getrennt sind. In den anderen protestantischen Kirchen – und auch in der römisch-katholischen Kirche – gab es zwar »weiße« Gemeinden in den entsprechenden Wohngebieten, aber die Gesamtkirche war doch rassenübergreifend!
Dem Vf. ist es gelungen, die Dynamik des Ringens um eine klare Position so spannend darzustellen, dass der Leser das Buch gar nicht aus der Hand legen möchte. Wenn man hinzunimmt, dass die südafrikanische Regierung sich mit erheblichem Finanzaufwand einer großen Zahl von Synodalen und selbst Amtsträgern der EKD annahm und sie nach Südafrika einlud, um ihnen ihre Politik nahezubringen, versteht man besser, wie groß die Spannungen in der EKD waren. Dabei stellt aber der Vf. auch dar, wie die kontroverse Diskussion schließlich am Ende der 80er Jahre doch zu einem Ergebnis führte, das er als »Politikwechsel« bezeichnet. Zwar erfüllte der Rat der EKD immer noch nicht alle Erwartungen (statt »umfassender« Sanktionen trat die EKD am Ende für »gezielte und kalkulierte« Sanktionen gegen Südafrika ein), aber die Ablehnung der Apartheid in allen ihren Formen und die Befürwortung eines Südafrikas, in dem alle Bewohner des Landes gleiche Rechte be­kommen müssen, wurde schließlich eindeutiger.
Mit spürbarer Anerkennung und Freude zitiert der Vf. am Schluss den damaligen Ratsvorsitzenden Bischof Kruse, der vor der Synode der EKD in Bad Krozingen 1989 den Beitrag der engagierten Südafrikagruppen ausdrücklich würdigte. Und mit großer Enttäuschung kommentiert er die Tatsache, dass der EKD in all ihren Bemühungen, die Kirchen deutscher Prägung zur Einheit mit den einheimischen lutherischen Kirchen und gemeinsam mit ihnen zur Ablehnung des Apartheidregimes zu bewegen, kein Erfolg beschieden war.
Kritisch anzumerken bleibt, dass der Vf. keine abschließende Bewertung des von ihm dargestellten dynamischen Prozesses bringt und somit die im Titel des Buches gestellten Fragen nach der Antwort auf die ökumenische Herausforderung der Apartheid und der Rolle der Kirche nicht explizit beantwortet. Seine zusammenfassenden Thesen zum Thema »Gewaltloser Widerstand« gegen Ende des Buches tragen noch den Untertitel »eine Zwischenbilanz«. Eine Schlussbilanz wäre wichtiger gewesen als die sehr kurz geratenen Ausblicke auf die Zeit nach 1990 (die erste demokratische Wahl 1994 und die Wahrheits- und Versöhnungskommission – TRC, 1995–1998).
Wolfram Kistner stellt in seinem bemerkenswerten Vorwort die Frage: »Warum erwies sich das Band gemeinsamer Kultur und Sprache, weißer Hautfarbe und rassischer Identität weitgehend als viel stärker und wichtiger als die umfassende Gemeinschaft der Gläubigen untereinander ... Ist das Evangelium wirklich das ausschlaggebende Kriterium für die Gestaltung des gemeinsamen christlichen Lebens und die Wahrnehmung der Verantwortung für die gesamte Menschheit?« Der Rat der EKD hat 2006 beschlossen, dieser Frage im Blick auf die Anfänge der Rassentrennung in Mission und Kirche im Südlichen Afrika durch einen breit angelegten Forschungsprozess nachzugehen. Die Ergebnisse werde hoffentlich eine Antwort auf die noch offenen Fragen geben können.