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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

374-375

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Brandt, Reinhard

Titel/Untertitel:

Lasst ab vom Ablass. Ein evangelisches Plädoyer.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. 297 S. 8°. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-525-61910-0.

Rezensent:

Axel Ehlers

Als im Jahr 1999 Vertreter der Römisch-katholischen Kirche und des Lutherischen Weltbundes eine »Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre« unterzeichneten, war heftig umstritten, ob der darin behauptete ökumenische Grundkonsens in Fragen der Rechtfertigung tatsächlich bestehe. Das römische Jubeljahr 2000 mit seinem vollkommenen Ablass sorgte anschließend für Irritationen auf evangelischer Seite, während einige katholische Theologen versuchten, die Ablasspraxis als bedeutungslos oder überholt darzustellen. Gut gemeinte Verharmlosungen helfen jedoch der Ökumene nicht weiter, ebenso wenig wie aufgeregte Polemiken gegen das überwunden geglaubte Kuriosum des Ablasses. Besser macht es nun Reinhard Brandt, Dekan im bayerischen Weißenburg mit langjähriger Erfahrung im ökumenischen Dialog, in seiner gründlichen dogmatischen Analyse. Obwohl der Ablass keine zentrale Stellung in der katholischen Dogmatik einnimmt, sind die mit ihm verbundenen theologischen Probleme von so fundamentaler Bedeutung, dass B. ihn völlig zu Recht als »Testfall für die Ökumene« bezeichnet. Das Gottesverhältnis des Menschen und das Verständnis der Kirche sind grundlegende Bestandteile der Ablasslehre. Diese Aspekte bilden auch die beiden großen Gliederungsabschnitte des Bandes.
Die Frage, welche Rolle der Ablass für die Frömmigkeit katholischer Christen heute tatsächlich spielt, ist für B. zweitrangig. Hier ließen sich sicher große regionale und individuelle Unterschiede feststellen. Ihn interessieren hingegen die lehramtlichen und dogmatischen Grundlagen. Die relevanten Texte untersucht er mit viel Gespür für die sprachlichen Feinheiten. Kurze historische Rück­blenden auf der Grundlage der einschlägigen Literatur dienen der Präzisierung einzelner Aspekte. Wesentliche Bezugspunkte sind die Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über den Ablass ( Indulgentiarum Doctrina, 1967), die Verkündigungsbulle für das Jubiläum 2000 (Incarnationis Mysterium, 1998) sowie ergänzend das aktuelle Handbuch der Ablässe (Enchiridion Indulgentiarum, 1999). Den lehramtlichen Einlassungen stellt B. eine dezidiert lutherische Sichtweise gegenüber, die sich an den reformatorischen Bekenntnisschriften und an Schriften Luthers orientiert. Außerdem wird die durch Bernhard Poschmann und Karl Rahner angeregte »Neue Ablasslehre« berücksichtigt. B. zeigt, wie deren Ansätze nur vereinzelt und letztlich ohne Konsequenz Eingang in die lehramtlichen Schreiben gefunden haben.
Das Gottesverhältnis des Menschen wird im Rahmen der Ab­lasslehre bestimmt durch die Wirkungen der Sünde, die zeitlichen Sündenstrafen, entsprechende menschliche Genugtuung, die An­nahme eines jenseitigen Läuterungsortes (Purgatorium) und das Streben nach Heilsgewissheit. Die Frage nach dem Beitrag des Menschen zu seinem eigenen Heil erweist sich letztlich als entscheidender Aspekt. Die Ablasslehre nimmt einen solchen Beitrag an und setzt ihn voraus. Dabei wird unterstellt, der Büßer könne frei sein »von jeder Anhänglichkeit an irgendeine … Sünde«. Gleichwohl kann auch bei rechter Disposition zum Ablassgewinn keine echte Heilsgewissheit erlangt werden; denn zu viele ergänzende Bedingungen sind zu beachten, so dass kein Mensch wissen kann, ob er denn nun das erforderliche Werk auch wirklich zur Genüge und in angemessener Weise erbracht hat. Mit den lutherischen Überzeugungen vom Sündersein des Gerechten und der Rechtfertigung allein aus Gnade sind diese Vorstellungen der Ablasslehre schwerlich zu vereinbaren. Folgerichtig weist B. die Aussage der »Gemeinsamen Erklärung«, es gäbe einen Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre, energisch zurück.
Einen grundlegenden Dissens macht er auch in der Ekklesiologie aus, die der Ablasslehre zu Grunde liegt. Die Lehre vom »Kirchenschatz« spielt hierfür eine wichtige Rolle. Während die »Neue Ablasslehre« den »Schatz« im Grunde sprachlich eliminiert hat, hält das Lehramt an der Vorstellung von einem auf den Ablass und seine Gewährung bezogenen »Schatz« der Verdienste fest. Die Kirche kann über diesen Schatz verfügen. Ihre Vollmacht, dies zu tun, begründet sich nicht zuletzt dadurch, dass die Offenbarung in der Entwicklung der Kirche selbst fortschreitet. So kann auch behauptet werden, der Ablass gründe auf der göttlichen Offenbarung. Die klare Unterscheidung von göttlichem und menschlichem Handeln verschwimmt, die Kirche selbst wirkt durch ihr Tun das Heil des Menschen mit. Aus reformatorischer Sicht ist auch hier der Widerspruch unvermeidlich. Letztlich bekräftigt B. damit die Kritik, die von evangelischer Seite bereits anderweitig an der vermeintlichen Einigkeit in der Rechtfertigungslehre geübt wurde.
Der appellative, wortspielerische Titel legt nahe, dass B. die katholische Kirche vom Irrweg des Ablasses abbringen will. Allerdings gibt er sich keinen Illusionen über die Erfolgsaussichten seines Appells hin. Zu genau ist er mit dem katholischen Traditionsverständnis vertraut, als dass er ein tatsächliches »Ablassen« vom Ablass erwartete. Das »Plädoyer« zielt daher eigentlich auf »eine ehrliche Bestandsaufnahme … vor allem durch die evangelische Kirche und Theologie« als Voraussetzung für einen substantiellen Dialog. Der Ärger über unbedachte evangelische Einlassungen in der »Gemeinsamen Erklärung« klingt hier noch nach. Die klare Abgrenzung von der katholischen Ablasslehre bedeutet keine Absage an die Ökumene, sondern ist vielmehr eine Aufforderung, sich nicht mit vorschnellen und letztlich unwahrhaftigen Kompromissformeln zufrieden zu geben. Durchgängig bemüht B. sich daher, mögliche Anknüpfungspunkte für das ökumenische Ge­spräch aufzuzeigen.
Die zitierte Literatur ist fast ausschließlich deutschsprachig. Das mag daran liegen, dass der Ablass im deutschsprachigen Raum ein traditionell beliebter Gegenstand ist. Dennoch erführe man gerne mehr darüber, ob und wie außerhalb Mitteleuropas über den Ablass gedacht wird. Das Buch könnte dadurch an ökumenischer Weite gewinnen. Leider fehlt auch ein Register, was durch das detaillierte Inhaltsverzeichnis nur zum Teil aufgewogen wird. Davon unberührt bleibt die Tatsache, dass B. mit seiner Untersuchung eine wichtige Orientierungshilfe für den Dialog der Kirchen vorgelegt hat.