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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

371-373

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Elbe-Seiffart, Til

Titel/Untertitel:

Gewissheit und Motivation. Eine theologische Auseinandersetzung mit der Motivationspsychologie.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2008. 477 S. gr.8°. Kart. EUR 39,80. ISBN 978-3-17-020105-7.

Rezensent:

Hans-Jürgen Fraas

Der Vf. will ein weiteres Mal Theologie und Psychologie miteinander ins Gespräch bringen – ein verdienstvolles Unternehmen, auch wenn die Erwiderung dieser Intention durch die andere Seite nach aller Erfahrung ausbleibt. So werden es voraussichtlich – leider – nur die Theologen sein, die zu dem Buch greifen werden.
Für den Theologen ist zum einen die intensive Information über den Stand der Motivationspsychologie als eines wichtigen Zweigs der Psychologie interessant. Zum andern könnten sich diejenigen angesprochen fühlen, die im Rahmen religiöser Praxis Zu­gänge zum Menschen suchen, die Religionspädagogen und Homileten. Dem Vf. geht es allerdings nicht um vordergründige Praxisratschläge; es geht ihm um Grundsätzlicheres: Wo innerhalb der Pädagogik oder Praktischen Theologie motivationspsychologische Erkenntnisse rezipiert werden, geschieht das in der Regel ohne »begleitende kritische Reflexion der implizierten an­thropologischen Grundlagen« (29). Ebendiese Mangelerscheinung will der Vf. beheben: Vor aller Anwendungssuche ist die Basisfrage nach der Kompatibilität psychologischer Theorien mit dem theologischen Menschenbild zu beantworten. Diese Kompatibilität ermittelt sich in einer »kategorialen Analyse«, die Grundlage eines jeglichen Gesprächs zwischen den Disziplinen und damit auch einer jeglichen punktuellen Bezugnahme sein muss (31).
Es empfiehlt sich, neben der Einleitung (Teil I) vorab das letzte Kapitel (Teil V) zu lesen, um in der Fülle des Materials den roten Faden zu erfassen, der das theologische Interesse an der Motivationspsychologie markiert. Gemeinsamer Bezugspunkt beider Wis­senschaften ist die Frage nach der »orientierenden und motivierenden Kraft« menschlichen Handelns: »Läßt sich eine angemes­sene Verhältnisbestimmung von ›biologischen‹ und ›geistigen‹ Bedingungen menschlichen Handelns vornehmen und systematisch entfalten?« (25f.)
Als Voraussetzung für die Beantwortung dieser Frage werden im Teil II der wissenschaftstheoretische Ort der zwischen Natur- und Kulturwissenschaften stehenden Motivationspsychologie, die Zuordnung zur Allgemeinen Psychologie und anderen Grundlagenfächern und die zur Anwendung kommenden Methoden und ihre Gültigkeit dargelegt. In der Auswahl der dargestellten motivationspsychologischen Modelle beschränkt sich der Vf. auf die zurzeit in hoher Geltung stehende empirische Psychologie; während die Humanistische Psychologie (Maslow, Allport) oder die Psychoanalyse ausgeklammert bleiben. Diese Einschränkung erweist sich insofern als berechtigt, als gegenüber der Empirischen Psychologie Philosophie und Theologie sich bislang weitgehend abstinent verhalten. Aber gerade im empirischen Paradigma sieht der Vf. den Versuch, die Tendenzen der im 20. Jh. herrschenden Hauptströmungen der Psychologie, der Psychoanalyse, des Behaviorismus und der kognitiven Psychologie, zu integrieren (46 f.). Allerdings wird der radikale Empirismus als unhaltbar zurückgewiesen, weil er die vorwissenschaftlichen Kategorien jeglicher Beobachtung ignoriere. So zeige sich bereits in der Hypothesenbildung bzw. Versuchsanlage empirischer Theorien die »unhintergehbare Gerichtetheit des Forschers« (59), die durch bestimmte auf lebensweltlichen Evidenzerlebnissen basierende vorwissenschaftliche Überzeugungen bedingt ist. Die hier anzusetzende Frage nach den immer schon vorgegebenen Alltagsauffassungen verweist den Vf. auf die Phänomenologie (Husserl) und die subjektivitätstheoretischen Voraussetzungen von Beobachtungen.
Der quantitative Hauptteil III (61–338) enthält die entsprechende »Analyse von Konzeptionen gegenwärtiger Motivationspsychologie«. Zur Sprache kommen Arbeiten von Bernard Weiner, David McClelland, John Atkinson, Heinz Heckhausen, Edward Deci und Richard Ryan, Julius Kuhl, Klaus Schneider und Heinz-Dieter Schmalt. In der Bilanz dieser vergleichenden Darstellung erweist sich dem Vf. die »Frage nach dem konzeptionellen Status der Einheit der Person« als »neuralgischer Punkt«.
Neben dieser auf das Subjekt gerichteten Fokussierung hat die motivationspsychologische Frage nach den Bedingungen des Handelns auch eine gesellschaftliche Intention, indem von einer Wechselwirkung zwischen den theoretischen Konzeptionen und dem Ethos der Gesellschaft auszugehen ist, die den gesamtgesellschaftlichen Diskurs erfordert (322), zumal die Theorien auf praktische Anwendung als programmatische Umsetzung hin tendieren, in denen sich das jeweils vorausgesetzte Welt- und Menschenbild im Sinn sozialer Wohlordnung spiegelt.
Jeweils bei den einzelnen Autoren weist der Vf. im Blick auf die als Kriterium dienende Frage nach der Einheit der Person bzw. nach dem »Selbst« (dem Verhältnis von intrinsischer Motivation, Selbstbestimmung und Selbst) unterschiedliche Formen eines spezifischen Reduktionismus auf. Die Unterschiede sind durch die differierende Zuordnung einzelner Gesichtspunkte zueinander bedingt. Dennoch zeigen sich gewisse übereinstimmende Trends. So ist z. B. die Dominanz des Leistungsparadigmas in der Motivationsforschung mit der Konsequenz einer reduktionistisch-ökonomischen Verzweckung des personalen Handelns auffallend (Anwendungsfeld Wirtschaftspsychologie). Auch das Bildungsverständnis gerät leicht in den Sog des Leistungsgedankens (Pädagogische Psychologie) oder der »Funktionalisierung auf Fitnessoptimierung« (289). Aber das Personsein ist nicht durch eine bestimmte Leistungsfähigkeit determiniert. So ergibt sich das weiterführende Verlangen nach einer subjektivitäts- bzw. persönlichkeitstheoretischen Vertiefung, die der Vf. in den Entwürfen in mehr oder weniger deutlichen Hinweisen auf das »Phänomen der Leiblichkeit« bereits angedeutet sieht.
Diese persönlichkeitstheoretische Vertiefung bietet der IV. Teil. Hier soll der Rahmen für ein Gesamtkonzept der Person (»Einheit und Ganzheit der Person«) entwickelt werden, indem phänomenologisch bei der Leiblichkeit des Personseins angesetzt wird, die wiederum in der biblisch-theologischen Kategorie der Relationalität personalen Seins ihr Pendant findet. Unter Rückgriff auf Heideggers »Erschlossenheit des Daseins für es selbst« kann der Zusammenhang von Person und Situation geklärt werden. So kann eine theologische Handlungstheorie als »Bezogenheit einer Person auf ihr zur Verwirklichung dargebotene Möglichkeiten« sich etablieren, indem die Beziehung von Psychologie und Theologie un-ter den Stichworten »Motivation« und »Gewißheit« verortet wird, die unter dem Gesichtspunkt des gemeinsamen Gegenstandes bei der Wissenschaften miteinander ins Gespräch zu bringen sind, wobei »Gewißheit« die faktische Disponiertheit (personale Ge­stimmt­heit) bezeichnet, die sich in der konkreten Motivation manifestiert (439 ff.).
Anthropologischer Ansatz, thematische Aktualität und analytische Tiefgründigkeit machen es wert, sich mit dieser Arbeit intensiv zu beschäftigen, die Komplexität der Sprache macht es allerdings nicht leicht, den Zugang zu finden. Für den, der mit dem Thema Motivation eher von der Praxis her vertraut ist, bleibt als Ertrag vor allem die Warnung vor allzu schneller praktischer Übernahme von Theorieelementen, bevor die anthropologisch-theologischen Implikationen geklärt sind.