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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

368-369

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bieler, Andrea, u. Hans-Martin Gutmann

Titel/Untertitel:

Rechtfertigung der »Überflüssigen«. Die Aufgabe der Predigt heute.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2008. 256 S. 8°. Kart. EUR 24,95. ISBN 978-3-579-08031-4.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Das Buch weist gegenüber den anderen gegenwärtigen praktisch-theologischen Veröffentlichungen mehrere Besonderheiten auf. Dies bezieht sich nicht nur auf die Autorengemeinschaft von Bieler (Professorin für christliche Gottesdienstlehre an der Pacific School of Religion in Berkeley, Kalifornien) und Gutmann (Homiletiker an der Universität Hamburg), sondern auf zwei andere Punkte: Hier kommen die deutschen und die nordamerikanischen Überlegungen zu Gottesdienst und Predigt miteinander ins Spiel und hier wird erneut die »Option für die Armen« in das Zentrum der Gottesdiensttheorie gestellt – eine Orientierung, die im Zuge des ästhetischen Paradigmas in letzter Zeit mehr und mehr in den Hintergrund getreten ist. Was besagt die Rechtfertigung für diejenigen, die im öffentlichen – und auch im kirchlichen – Bewusstsein keine besondere Rolle spielen? Die Armen und die Arbeitslosen sind jene »Überflüssigen«, auf die im Buchtitel (etwas missverständlich) abgehoben wird. Konzeptionell ist für das Buch die Leiblichkeit des Rechtfertigungsgeschehens von Bedeutung (mit deutlichen Bezügen zur feministischen Theologie); dabei ist auch die Religionstheorie von G.s Lehrer Manfred Josuttis (mit ihren Wurzeln in der Wort-Gottes-Theologie und in der phänomenologischen Philosophie nach Hermann Schmitz) deutlich zu erkennen.
Im ersten Kapitel (11–66) wird die Predigt für die Armen (bzw. angesichts der Armen) mit eindrücklichen Beispielen beschrieben, u. a. aus einer afrikanischen Pfingstgemeinde in Hamburg, die auch bei Deutschen Anklang findet (35–38). Im zweiten Kapitel (87–136) wird die Rechtfertigung als ein leibliches Geschehen zwischen der Subjektivität Gottes und menschlicher Subjektivität beschrieben – hier geht es z. B. um die veränderte Thematisierung von Schuld und Sünde in Predigten im heutigen »narzisstischen Zeitalter« (83) und um die theologische Rehabilitation des Großzügigen und Überfließenden, im Gegensatz zu »Akkumulieren, sparen, Selbstkontrolle, Abwendung von Luxus und Verschwendung: Dies sind die Maximen des kapitalistischen Wirtschaftens, aber es sind gerade nicht die Maximen der biblischen Religion.« (126 f., dort kursiv) Im dritten Kapitel (137–184) geht es um den Textbezug (»Rechtfertigung predigen im Resonanzraum der Heiligen Schrift«), wobei etwa der wörtlich-materielle Sinn der neutestamentlichen Rede vom Gastmahl und himmlischen Festmahl herausgestellt wird (177 ff.) und wo zugleich auf die Gefahr der moralistisch-rigiden Tendenz bei der Auslegung im Sinne der »Option für die Armen« hingewiesen wird (184). Das vierte Kapitel ist am nächsten an den gegenwärtigen homiletischen und liturgischen Diskursen, weil hier (185–239) die »Performativität« des Predigtgeschehens herausgestellt und deren leibliche Dimension eigens betont wird. Ähnlich wie der Dissertation von Frank Michael Lütze (»Absicht und Wirkung der Predigt«, Leipzig 2005, vgl. ThLZ 133 [2008], 15 f.) geht es G. und B. darum, dass nicht nur von der Rechtfertigung gesprochen wird. Ihnen geht es »um die Predigt, in der Rechtfertigung ge­schieht« (17).
Wenngleich mit dieser Maxime zutreffend auf die Grenze der forensischen Metaphorik für das Rechtfertigungsgeschehen hingewiesen wird, so darf nun gleichwohl das Geschehen der Rechtfertigung nicht mit der Machbarkeit, der performativen Zuhandenheit des Rechtfertigungsgeschehens verwechselt werden. So gewiss das Rechtfertigungsgeschehen mehr ist, als das bloße »Reden über« ist, nämlich etwas Deklaratorisches, so wahr ist es aber auch etwas kategorial Anderes als die Verbesserung menschlicher Befindlichkeiten durch gut gewählte Worte. So real die Rechtfertigung im Glauben ist, so wenig ist sie empirisch andemonstrierbar. An diesem Punkt liegt der schmale Grat zwischen der Gedankenblässe und der geistlichen Selbstüberhebung, wenn von der »Verleiblichung des Wortes als performatives Ereignis« als einer leitenden homiletischen Kategorie gesprochen wird. Derartige Unterscheidungen finden sich in der Tat auch in dem Buch selbst, wenn auf das kategorial Andere von Luthers Sprachverständnis im Vergleich zur Sprechakttheorie hingewiesen wird (210 f.).
So ist der Rezensent davon überzeugt, dass diese kritischen Be­merkungen nicht gegen das Anliegen von B. und G. sprechen, sondern ganz in deren Sinne liegen. Denn das Kritische ergibt sich aus dem evangelischen Wortverständnis selbst, das weder informationstheoretisch unterbestimmt bleiben noch in die Gefahr der Selbst-Sakramentalisierung pastoralen Handelns geraten darf.