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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

366-368

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wüthrich, Matthias Dominique

Titel/Untertitel:

Gott und das Nichtige. Eine Untersuchung zur Rede vom Nichtigen ausgehend von § 50 der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2006. 400 S. gr. 8°. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-290-17409-5.

Rezensent:

Wolf Krötke

Der Vf. dieser Berner Dissertation beschäftigt sich mit Karl Barths Lehre vom Nichtigen in der Meinung, Barths erwählungstheologischer Ansatz habe im Hinblick auf das Verständnis des Bösen eine »Leerstelle« zur Folge (vgl. 15–20), die er mit seinem spezifischen »Redemodus« vom Nichtigen (11) zu bewältigen versuche. Wenngleich die Arbeit darauf hinausläuft, dass ihm das nicht gelungen ist, wird Barth aber zugebilligt, das »Problembewusstsein« (264) für die Rede vom Bösen geschärft und anregende Perspektiven für die Suche nach einem neuen »Redemodus« für das Böse eröffnet zu haben. Dieses Urteil wird im Hauptteil der Arbeit, der dem § 50 der »Kirchlichen Dogmatik« (KD) gilt und die Sündenlehre leider nur teilweise einbezieht, in vier Schritten expliziert (29–336).
Beim ersten Schritt (29–58) geht es um die »Verortung« der Rede vom Nichtigen in der KD. Dabei werden die schon oft diskutierten Probleme gesichtet, die diese Rede schafft. Das ist einerseits Barths problematische Behauptung, das Nichtige verdanke sich Gottes »Nein«. Das ist andererseits die klärungsbedürftige Lehre von der dem Nichtigen »benachbarten Schattenseite« der Schöpfung (39–47). Kritisch aber wird vor allem vermerkt, dass Barth das Nichtige als das von Gott in Jesus Christus Besiegte versteht. Wie kann es dann »noch wirklich sein«? (57), fragt der Vf., der mit der Kategorie der »unmöglichen Möglichkeit« nicht viel anfangen kann, sich fürderhin ausdauernd.
In einem zweiten Schritt (59–149) wird versucht, über den Begriff »Nichtiges« und die Strukturen, in denen es bei Barth und im sons­tigen theologischen und philosophischen Felde gedacht wird, an seinen Sinn heranzukommen. Dabei werden viele bedenkenswerte Beobachtungen gemacht. Das Ergebnis aber ist simpel: Barth redet vom Nichtigen nicht nur in Bezug auf die Sünde. Er schreitet vielmehr zur »vollen Integration des Chaos« (122), des »Teufels« und der »Dämonen« (vgl. 126 f.) »in den Begriff (!?) des Nichtigen« fort, wie der Vf. das kategorial schief ausdrückt (122). Auch der Begriff der »Unwillensontologie« (129) als Charakterisierung der Denkfigur des Entstehens des Nichtigen unter dem göttlichen »Nein« ist unglück­lich. »Ontologie« ist eine Lehre von den Gründen des Seins. Barths »Ontik« des Nichtigen will ihm keinen »Grund« (145) in diesem Sinne zusprechen. Sie will es unter Gottes Unwillen als das »in sich Grundlose« (KD III/3, 417) charakterisieren, das sich der guten Schöpfung bemächtigt. Diese Absicht unterliegt im Fortgang der KD sicherlich auch keinen »Entschärfungen« (141–147).
In einem dritten Schritt würdigt der Vf. mit Recht den »phänomenalen Reichtum« (151), der in Barths Rede vom Nichtigen einfließt (150–272). Dabei kommt er zu dem Schluss, das Nichtige weise gegenüber seinen »Gestalten« eine »Prävenienzstruktur« auf (184). Es »transzendiert« Übel, Tod, Chaos, Teufel, Dämonen und die Sünde (186). Kritisiert wird, dass Barth im Zuge der Ablehnung der Vorstellung von der »Erbsünde« »Verblendungs- und Schuldzusammenhängen ... wenig Beachtung« (195) geschenkt habe. Das dürfte jedoch ein Fehlurteil sein, wie sich an Barths Lehre von der Lüge in KD IV/3 zeigen lässt.
Was aber die »Funktion« der Lehre vom Nichtigen betrifft, so soll sie neben den Schrittmacherdiensten für die Ablehnung »na­türlicher Theologie« (201–215) ein Instrument der Bearbeitung von weiteren »Leerstellen« sein, die nach »Transformationen« traditioneller Lehrstücke rufen (262). Der Vf. rechnet dazu Barths Ablehnung der Lehre vom Engelfall (216–223) und vom Sündenfall (249–258) sowie seine Anschauung vom »natürlichen« Tod (259 f.). Diese »Leerstellen« versuche er, spekulativ zu bewältigen (264). Doch damit beiße er sich am »hartnäckige(n) ›Rest‹« des »eminent Bösen«, das sich »gegen eine klärende Füllung« sperrt (272), die Zähne aus.
Der vierte Schritt der Arbeit (273–336) umkreist den gegen die Lehre vom Nichtigen erhobenen Vorwurf der »Geschichtslosigkeit«. Demgegenüber bringt der Vf. die »Erzählung« (287–295), die dramatische »Darstellungsform« (295–299), ja sogar die »prophetische Denkform« bei Barths Reden vom Nichtigen anschaulich zur Geltung (300–313). Die Art und Weise aber, wie Barth das Prae der Christologie, das vom Vf. durchaus nicht grundsätzlich verneint wird, mit der »Tendenz zu einem christologischen Perfectum« (367) und zum »Ungeschichtlichen« (334) gegenüber dem Nichtigen ins Spiel bringt, wird durchgehend bemängelt. Damit habe Barth dem Menschen »sein elendes Leiden im christologischen Sog entzogen, noch bevor er dessen inne geworden ist« (336). Das zeige sich vor allem daran, dass er das »lebensgeschichtliche Recht« der Theodizeefrage »untergraben« (386) habe.
Derartige Urteile über Barths Verständnis des Nichtigen rufen eigentlich danach, daran überprüft zu werden, wie Barth sich bei seiner intensiven Teilnahme am Zeitgeschehen auf das maßlose Leid von Menschen eingelassen hat. Hier bilden sie nur die Folie, auf deren Hintergrund der Vf. einen neuen »Redemodus« vom Nichtigen sucht. Er soll dem hartnäckigem »Rest« des Nichtigen in der Leid-Erfahrung von Menschen, die Barth vermeintlich missachtet, standhalten. Dieser »Redemodus« ist die Klage (337–377). Barth wird (mit einer Lieblingsmetapher des Vf.s für etwas ganz Schlimmes) eine »Tendenz zur Unterminierung« dieses »Redemodus« attestiert. Demgegenüber sei von einer »differenzierten, vielschichtigen und geheimnisvollen Rückbindung des Nichtigen an Gott«, ja in Gottes Willen zu reden (374). Das komme der »Unabgeschlossenheit des theologischen Gottesbildes« (375) zugute und soll einen »Sprachraum« für das Nichtige eröffnen, in dem der »Rest« des Nichtigen »einer vollständigen (!) Klärung zugeführt werden kann« (377).
Wie diese »vollständige Klärung« im Einzelnen aussehen soll, bleibt jedoch dunkel. Zunächst einmal kann die Klage über das Leiden, welches das Böse verursacht, doch schwerlich mit einer Klage über das Böse in eins gesetzt werden. Außerdem sind die Ebenen, auf denen hier geredet wird, auseinanderzuhalten. Der Vf. analysiert einen »Redemodus« in der systematisch-theologischen Reflexion Barths und setzt ihm einen »Redemodus« entgegen, der in die direkte Anrufung Gottes gehört. Er erhebt aber den Anspruch, da­mit auch einen systematisch-theologischen »Redemodus« vom Nichtigen gefunden zu haben. Auf gleicher Ebene mit Barths »Redemodus« müsste das streng genommen heißen, dass die theologische Reflexion ins Klagen überführt werden muss. Doch das würde das Ende theologischer Reflexion bedeuten. Es kann also nur darum gehen, den »Sprachraum« zu bedenken, in dem sich die Klage über das Leid aufhält.
Warum und wie sich hier aber eine »geheimnisvolle Rückbindung des Nichtigen an Gott« auftun soll, führt der Vf. nicht aus. Würde diese »Rückbindung« bedeuten, dass das Böse mit Calvin (373 f.) auf Gottes Willen zurückgeführt werden muss, dann bürdet dieser Wille den Klagenden ihr »elendes Leiden« als ihr höchst fatales »Recht« doch erst richtig auf! Wird eine derartige Vorstellung darüber hinaus zum Argument für die »Unabgeschlossenheit des Gottesbildes« gemacht, dann werden leidende und klagende Menschen theologisch geradezu notwendig. Das kann doch als Alternative zu Barth nicht ernstlich gemeint sein. Man darf also gespannt sein, auf welche Wege des Verständnisses nicht nur vom Nichtigen, sondern auch von Gott und der Schöpfung der »Redemodus« der Klage den Vf. führen wird.