Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2009

Spalte:

364-366

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Rolnick, Philip A.

Titel/Untertitel:

Person, Grace, and God.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2007. X, 270 S. gr.8° = Sacra Doctrina: Christian Theology for a Postmodern Age. Kart. US$ 28,00. ISBN 978-0-8028-4043-1.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Gerade in postmoderner Zeit sind anthropologische, gar theologische Konzeptionen von Personalität und Personsein fraglich bis strittig geworden. Dieser Umstand belastet nicht zuletzt auch ethische Debatten z. B. um die Würde des Menschen insbesondere zu Beginn, aber auch am Ende des menschlichen Lebens. Der mit dem neuzeitlichen Rationalismus und Idealismus im Prinzip anerkannte Rückgang auf die Subjektivität als Seins- und/oder Er­kenntnisgrund von Wirklichkeit, als einheitsstiftende Instanz für die ontologische Ordnung der Welt ist nicht zuletzt seit Nietzsches Kritik an der platonisch-christlichen Metaphysik zu Gunsten eines freigeistigen Experimentierens mit unterschiedlichsten Perspektiven ohne Letztbegründungsansprüche alles andere als selbstverständlich geworden. Neben den von Nietzsche angeregten postmodernen Einsprüchen gegen Personalität und Subjektivität sind es neuerdings auch Erkenntnisse der Hirnforschung sowie der (So­-zio-)Biologie, die von manchen ihrer Vertreter zum weltanschau lichen Angriff auf das traditionelle, an Personalität orientierte Selbstverständnis des Menschen genutzt werden, das vor allem Freiheit, Selbstbestimmung und Verantwortung impliziert. Insbesondere die populären Thesen des britischen Biologen R. Dawkins verbinden solche Angriffe mit dezidiert religionskritischen Invektiven, die zu einem »neuen Atheismus« führen. So zeigt sich – hier allerdings mit einem negativen Vorzeichen versehen – wiederum eine konstitutive Verbindung von Anthropologie und Theologie, wenn es um das Verständnis von Personalität geht.
Vor diesem hier nur knapp angedeuteten Hintergrund versteht der US-amerikanische (katholische) Theologe Rolnick, der als Professor an der St. Thomas-Universität in St. Paul, Minnesota lehrt, sein jüngst erschienenes Buch als eine metakritische Apologie des Personseins in analoger Vermittlung von Theologie und Anthropologie mit der Pointe, dass Personsein und Gnade – resp. Vergebung (236) und Versöhnung – wesentlich zusammengehören (167). Insofern ist sein Buch gut platziert als fünftes in die Reihe »Sacra Doctrina. Christian Theology for a Postmodern Age« aufgenommen worden.
In einem ersten, einführenden Teil geht R. zunächst auf bi­blisch-theologische sowie etymologische Voraussetzungen und Prägungen des Verständnisses von »Person« ein, um hier vor allem im Anschluss an Thomas von Aquin die Individualität und Einzigartigkeit (»uniqueness«) im Sinne der Inkommunikabilität als Charakteristikum hervorzuheben (4 ff.) Diesem werden dann des Weiteren auch Selbstbewusstsein, Unverfügbarkeit, Selbstzweckhaftigkeit, Transzendenz und Verantwortlichkeit und damit auch die Möglichkeit zur Sünde zugeordnet. Problematisch ist dabei die Herleitung solcher Konstituenten von Personalität aus den Entwick­lungen der christlichen Trinitätslehre. Diese hat sicherlich entscheidend dazu beigetragen, die Kategorie der Relationalität (statt Substantialität) in den Vordergrund zu stellen, wenn es um ein spezifisches Verständnis von Personen – im Unterschied zu Dingen – geht (18). Aber sie bleibt doch selbst wiederum in (onto-)logischen Schwierigkeiten und Aporien befangen, soweit sie von der Begrifflichkeit vor allem aristotelischer Metaphysik abhängt. Das zeigt die klassische Definition von »Person« bei Boethius (»na­turae rationabilis individua substantia«) deutlich (39), die kaum, eigentlich gar nicht auf innertrinitarische Relationen angewendet werden kann (45). Da R. als katholischer Theologe seine begriffsgeschichtlichen Rückblicke mit Thomas von Aquin enden lässt, kommen angesichts solcher Schwierigkeiten leider nicht einschlägige neuzeitliche Konzeptionen von Personalität in den Blick, die – wie z. B. bei Schelling und Kierkegaard – sowohl mit dem Primat des Bewusstseins und der Rationalität als auch mit dem Primat einer wenn auch individuellen Substanz zu Gunsten voluntaristischer und existenztheologischer Ansätze brechen und insofern deutlich anschlussfähiger an heutige Debatten gerade im Blick auf Postmoderne und Soziobiologie wären. Was R. allerdings mit Thomas von Aquin im heutigen Kontext zeigen kann, ist, dass »Person« nicht allein aus Kategorien der »Natur« verstanden werden kann (57), wenn mit »Natur« (natura – essentia – substantia) das von sich her Seiende ohne konstitutiven (relationalen) Bezug auf Transzendenz gemeint sein soll.
Mit diesem Ergebnis stellt sich R. im zweiten Teil seines Buches zunächst den Herausforderungen seitens der Biologie (Neo-Darwinismus), die nach R. seit und mit der Evolutionstheorie personale Kategorien wie z. B. »Liebe« mehr und mehr leugnet (61) und stattdessen von Kampf und egoistischer Durchsetzung (der Gene) auch im gesellschaftlichen Kontext spricht (Sozialdarwinismus; Soziobiologie). Hier entgeht R. allerdings auch selbst nicht der Falle des naturalistischen Fehlschlusses, nach dem irrtümlich vom biologischen »Sein« auf gesellschaftliches »Sollen« geschlossen wird, wie die Debatte um Egoismus und/oder Altruismus zeigt (72 ff.). Dennoch hat R. Recht, wenn er auf frappierende Selbstwidersprüche auf der Meta-Ebene der Theorien von Dawkins und Wilson hinweist (75 ff.), die z. B. als Wissenschaftler und Autoren engagierter Bücher – im Unterschied zu den Inhalten, die sie verbreiten – durchaus als wahrheitsverpflichtete und nicht bloß von egoistischen Genen gesteuerte »Personen« wahrgenommen und gelesen werden wollen, die überzeugen und sich nicht einfach durchsetzen. Solche Argu­menta­tionen scheinen effektiver als der unvermittelte und exegetisch problematische Hinweis darauf, dass selbst Jesus schon in seinem Gebot der Nächstenliebe (»Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«) Altruismus und Egoismus in gewisser Weise miteinander verbunden habe (82 ff.). Denn das »... wie dich selbst« ist hier kein Beleg für einen Egoismus, sondern meint die Selbstverständlichkeit und Fraglosigkeit, mit der – wie jeder sich selbst liebt – auch die Nächsten geliebt werden sollen. Keineswegs ist dieses Gebot nach dem harmonisch-vereinnahmenden Stufenmodell von Natur (Egoismus) und Gnade (Altruismus) im Sinne einer analogia entis (89) zu verstehen.
Ebenfalls im zweiten Teil seines Buches stellt sich R. weiterhin den Herausforderungen seitens des Postmodernismus (von Nietzsche über Derrida bis Rorty) und der Verabschiedung des Subjekts als einheitsstiftendes fundamentum inconcussum. Auch hier scheint R. in allzu einfache petitiones principii zu geraten, wenn er die metaphysische Offenheit des postmodernen Perspektivismus, die in der Dekonstruktion »großer Erzählungen« erreicht wird, geradezu als bestätigendes Charakteristikum von Personalität in ihrer Unverfügbarkeit und Transzendenzbezogenheit – wenn auch in analoger Weise – in Anspruch nimmt (92 f.141 ff.). Denn diese Art von Transzendenz, die R. im Blick hat, ist – contra intentionem – religiös, ge­nauer gesagt: eschatologisch geschlossen (185). Interessant ist jedoch die Fokussierung der neo-darwinistischen wie auch der postmodernen Einwände gegen traditionelle Konzepte von Personalität auf die auch und gerade theologisch relevante Frage, ob so das Phänomen der »Gnade« zureichend erklärt (144 ff.) bzw. ob nicht »Gnade« schöpfungstheologisch auch als eine Art »Emergenzphänomen« wahrgenommen werden könne (169). Dennoch bleiben Zweifel, ob nicht zwischen den hier in Anspruch genommenen Begriffen von Offenheit, Transzendenz und Emergenz eine Reihe von problematischen Äquivokationen bestehen und diese daher nur oberflächlich be­trachtet miteinander im Sinne R.s vermittelt werden können.
Im dritten Teil seiner Studie geht R. in systematisch-grundsätzlicher Weise dem Verhältnis von Theologie und Anthropologie im Blick auf ein angemessenes Verständnis von Personalität nach, um den Begriff der Gnade (nach dem katholischen Schema von Natur und Gnade) vor dem Hintergrund der diskutierten Einwände zu profilieren (189). Dabei liegt die Pointe in der Selbsthingabe von Personen, wie sie paradigmatisch die innertrinitarischen Relationen strukturiert (205). Bedenkenswert ist hier R.s These, dass – entgegen einer weitverbreiteten, oft unkritischen Hochschätzung von Relationalität in gegenwärtigen theologischen Kontexten – Personalität nicht in einem Beziehungsgeflecht von Relationen aufgehen kann (209). Worin aber das anvisierte »mehr als Relation« bestehen soll, bleibt bei allen »weder – noch«-Bestimmungen und negativen Formulierungen unklar bzw. unausgesprochen (ineffabile?). Eine Substanz als das, was sich in allen Relationen durchhält oder diese auf sich beziehbar macht, kann es nach dem bisher Gesagten nicht sein. Hier könnte sich das von R. vernachlässigte neuzeitliche Verständnis von Subjektivität – als Ineinander von Selbst-, Welt- und Gottesbewusstsein – als leistungsfähig erweisen. Eine mögliche Verbindung wäre in der auch von R. herausgestellten passivischen (rezeptiven) Konstitution personalen Lebens – etwa im Blick auf Geburt, Tod, Glaube und Gnade – zu finden (222).
Insgesamt hat R. ein sehr lesenswertes, anregendes, kluges Buch innerhalb der Möglichkeiten und Grenzen katholisch-theologischer Standards (z. B. der Annahme einer analogia entis und der Applikation des Schemas von Natur und Gnade auf die Postmoderne) geschrieben, das die kontinental-europäische Diskussion des Personbegriffs durchaus fördern kann.