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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

360-362

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Haight, Roger D.

Titel/Untertitel:

Christian Community in History. Vol. 3: Ecclesial Existence.

Verlag:

New York-London: Continuum 2008. XVIII, 300 S. 8°. Geb. £ 35,00. ISBN 978-0-8264-2947-6.

Rezensent:

Hanns Engelhardt

Das hier angezeigte Buch schließt die groß angelegte Ekklesiologie Haights ab, die ihrerseits den dritten Teil seiner theologischen Trilogie – bestehend aus Fundamentaltheologie, Christologie und Ekklesiologie – bildet (zu den vier früheren Bänden – Dynamics of Theology, Jesus Symbol of God [Christian Community in History. Vol. 1 und 2] vgl. ThLZ 131 [2006], 779). H., der inzwischen am Union Theological Seminary in New York lehrt, krönt seine umfangreichen historischen Forschungen zu den Ekklesiologien der verschiedenen kirchlichen Traditionen in den verschiedenen Zeitaltern der Kirchengeschichte mit einer systematischen Durchdringung des Seins von Kirche.
Die Grundrichtung seiner Arbeit beschreibt H. im Vorwort, dessen Lektüre daher für das Verständnis des gesamten Werkes unverzichtbar ist. Sein Grundanliegen ist die Entwicklung einer »transdenominationalen« Ekklesiologie, die aber die – für die Identität der verschiedenen in der Kirche im Lauf ihrer Geschichte entstandenen Traditionen notwendigen – denominationalen Ekklesiologien in keiner Weise verdrängen soll. Damit will er – ganz im Sinne der von ihm schon im ersten Band der Trilogie proklamierten »Theo­logie von unten« – auf Erfahrungen antworten, die die Kirche der Gegenwart zu bewältigen hat. Die erste Gruppe dieser Erfahrungen ist aus der Entwicklung der weltweiten Kommunikation und wirtschaftlichen Verbundenheit entstanden, durch die verschiedene Kulturen und Traditionen füreinander in ganz neuer Weise gegenwärtig geworden sind. Die zweite Gruppe von Erfahrungen ergibt sich aus der Tatsache, dass das Christentum heute die Grenzen der westlichen Kultur weit überschritten hat und die nichtwestlichen Kirchen mit Recht durch ihre zahlenmäßige Stärke wachsenden Einfluss gewinnen. Der dritte Problembereich, den die Kirche heute bewältigen muss, ergibt sich aus der Spannung zwischen Inkulturation und Fragmentierung.
Die Arbeit an diesen Problemen führt H. zu der grundlegenden Antithese von Relativismus und Pluralismus, durch die er die Antithese von Uniformität und Relativismus zu ersetzen vorschlägt. Der europäische Leser darf freilich nicht übersehen, dass Pluralismus für H. etwas anderes bedeutet als im durchschnittlichen europäischen Sprachgebrauch. Ähnlich wie Föderalismus (»Federalism«) in der US-amerikanischen Verfassungsgeschichte – ganz anders als etwa in der deutschen Nachkriegsdiskussion – das Bestreben bedeutet, die Bundesgewalt gegenüber den einzelnen Bundesmitgliedern zu stärken, steht für H. beim Pluralismus die Einheit trotz aller Verschiedenheiten im Mittelpunkt; er bedeutet »unity amid difference«. Das »common framework«, der umgreifende Rahmen, in dem die Unterschiede zusammenzuhalten sind, steht im Zentrum des Interesses.
H. ist überzeugt, dass das Wesen der christlichen Kirche in seinem vollen Umfang nicht in der Ekklesiologie einer einzelnen Kirchengemeinschaft gefunden werden kann; es muss die gesamte christliche Bewegung umfassen. Seine Methode ist historisch und phänomenologisch und gewinnt ekklesiologische Konstanten aus der Geschichte. Grundlegend ist die Unterscheidung zwischen »faith and beliefs« (etwa fides qua creditur und fides quae creditur) sowie zwischen Essentialien des Kircheseins und Adiaphora. Für die Beurteilung des Wahrheitsgehalts theologischer Positionen nennt H. vier Kriterien: 1. die Beziehung auf die Heilige Schrift; 2. die Berücksichtigung der Geschichte der Kirche und ihrer Ekklesiologie; 3. Kohärenz und Verständlichkeit; 4. die Eignung »to em­power the Christian life«. Der Rezensent freut sich, hier bei dem römisch-katholischen Autor die traditionelle anglikanische Trias von Schrift, Tradition und Vernunft wiederzufinden; auch die notwendige Beziehung der Theologie auf die Lebenspraxis, die H. schon in seinem grundlegenden Band betont hat (cf. ThLZ 131 [2006], 780), stellt eine ökumenische Gemeinsamkeit dar.
Bezugspunkt dieser transdenominationalen Ekklesiologie ist eine »transdenominational church«, die in den empirischen Kirchen »subsistiert« (sic!) und in der ekklesialen Existenz besteht, an der alle Christen teilhaben. Ihr Ziel ist es, ein gemeinsamer Besitz aller Kirchen zu sein; sie spiegelt Einheit wider und ermutigt gleichzeitig Verschiedenheit innerhalb dieser Einheit.
Eindringend beschreibt H. Quellen, Adressaten, Methode, Ziel und Stil dieser Ekklesiologie und erläutert sie an Beispielen. Die Struktur seines Verständnisses von Kirche entnimmt er der Organisationssoziologie, weil sie als Muster für das Verständnis jeder Organisation eine »nondenominational superstructure containing the elements of a ›transdenominational church‹« biete. Er entnimmt ihr »five elements or dimensions of the church«, die er als »purely formal ideas without specific content« verwendet. Es handelt sich um folgende fünf Fragen: 1. Was ist das Wesen und der Zweck der Kirche? 2. Was ist ihre institutionelle oder organisatorische Form? 3. Wer sind ihre Mitglieder? 4. Welches sind ihre Ak­tivitäten? 5. Welcher Art ist ihre Beziehung zur Welt? Mit diesen Fragen beschäftigt H. sich in den folgenden Kapiteln näher.
Im abschließenden Kapitel des Buches erläutert H. seine These, ekklesiale Existenz biete eine Grundlage für eine »partial communion« (Gemeinschaft in Teilbereichen) der verschiedenen »Kirchen«. Dabei geht er davon aus, dass ekklesiale Existenz eine ekklesiale Spiritualität darstellt, wobei er Spiritualität versteht als »the encompassing logic of how people live their lives with implicit or explicit reference to ultimate reality« (271; schon in der Rezension der früheren Bände habe ich auf die gedankliche und terminologische Nähe zu Paul Tillich hingewiesen). Diese ekklesiale Spiritualität lebt in den äußeren Formen, ohne mit ihnen identisch zu sein; das Ziel der komparativen Ekklesiologie im Sinne H.s ist es daher, die latente apostolische Kirche sichtbar zu machen, die in der heutigen Kirche durch die Denominationen hindurch lebt (275).
Bei der Erläuterung seines Begriffs von »partial communion« geht H. von den Aussagen der Versammlung des Ökumenischen Rates in Canberra (1991) aus, die verwirklicht ist, wenn Kirchen »are able to recognize in one another the one, holy, catholic and apostol­ic church in its fullness« (276). »Partial communion« bedeutet demgegenüber »mutual recognition despite substantial or significant differences or disagreements« (277) und schließt mithin eine (noch) »unversöhnte Verschiedenheit« ein. H.s Erörterung der Bedingungen von »partial communion« (280 f.) bleibt recht unbestimmt und erinnert damit an seine Ausführungen zum Stil transdenominationaler Ekklesiologie. Wichtig erscheint, dass H. auf die innere Spannung hinweist, die den Begriff der »partial communion« kenn­zeichnet. Er macht deutlich, dass das Ziel der vollen Gemeinschaft noch nicht erreicht ist, erreicht werden kann; aber auch ein Teilerfolg bleibt ein Erfolg, der einen Wert verwirklicht (280). Als ein gutes Beispiel für »partial communion« benennt H. die Meißener Vereinbarung zwischen der EKD und der Kirche von England (280, Anm. 8).
H.s Entwurf einer transdenominationalen Ekklesiologie stellt gewissermaßen eine »road map« für theologisch verantwortete öku­menische Arbeit dar. Wer immer an einer solchen Arbeit interessiert ist – welcher kirchlichen Tradition er oder sie sich auch zu­rechnen mag –, wird an H.s tiefschürfenden Ausführungen nicht vorbeigehen können.