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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1063–1065

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Mitchell, Stephen

Titel/Untertitel:

Anatolia. Land, Men, and Gods in Asia Minor. Vol. 1: The Celts in Anatolia and the Impact of Roman Rule

Verlag:

Oxford: Clarendon Press 1993. XIX, 266 S. m. zahlr. Abb. u. Ktn. 4°. Kart. £ 25.­. ISBN 0-19-815029-6. Vol. II: The Rise of the Church. XVI, 200 S. m. zahlr. Abb. u. Ktn. 1995. ISBN 0-19-815030-X

Rezensent:

Wolfgang Wischmeyer

Für Neutestamentler wie für Kirchengeschichtler gehören die Arbeiten von William Mitchell Ramsay (gestorben 1939), besonders sein unvollendet gebliebenes Werk The Cities and Bishoprics of Phrygia, Oxford 1,1, 1895; 1,2 1897, und von Victor Schultze (gestorben 1937) zum ­ oft vergessenen ­ Urgestein des Themas Kleinasien.

Stephen Mitchell hat nun ein zweibändiges Werk vorgelegt, das den neuen Stand der archäologischen und epigraphischen Funde und ihrer altertumswissenschaftlichen Auswertung einschließlich der kirchengeschichtlichen dokumentiert. Dabei geht es um die Zeitspanne vom frühen 3. Jh. v. Chr. bis zu den Anfängen des 7. Jh.s n. Chr. für das Gebiet Anatoliens, tà áno tes Ioníes choría (Herod. 1, 142), d.h. das Innere Kleinasiens mit Ausschluß der Mittelmeer- und Ägäisküste, der pontischen Bergketten und des Taurus.

Im ersten Band, der bis ins 3. Jh. nach Christus führt, stehen die Kelten in Anatolien und die Wirkung der römischen Herrschaft, zumal Ergebnisse der römischen Verwaltung für die städtischen und ländlichen Sozialformen, im Vordergrund. Hier sind vor allem die Ausführungen über den Kaiserkult (100 ff.) und über die Religion des flachen Landes (181 ff.) sowie zur Ökonomie (241 ff.) wichtig.

Von besonderer Bedeutung für die Geschichte des frühen Christentums und der Alten Kirche ist der zweite Band. Denn das Urteil Adolf von Harnacks (Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 19244, 2, 732): "Kleinasien... ist neben Unterägypten das christliche Land kat´ exochén in vorkonstantinischer Zeit gewesen", auf das M. kurz anspielt (2, V), hat sich zumindest für Kleinasien voll bestätigt. Dabei faßt M. unter der Überschrift "The Rise of the Church" die Entwicklung von der ersten Missionsreise des Paulus, die er 46/47 datiert, bis nach dem Tode des Theodor von Sykeon (22. 4. 613) zusammen. Dem Kapitel über die Anfänge des Christentums in Anatolien, für die die Begegnung des Paulus mit dem aus dem pisidischen Antiochia stammenden L. Sergius Paullus und die Reise in dessen romgeprägte Patria eine entscheidende Rolle spielen (3 ff.), ­ zeigt sie doch durch die Begegnung des Apostels mit einer der ersten senatorischen und der ersten Konsularenfamilie des Ostens die erste Missionsreise und damit das Unternehmen der Heidenmission in dem völlig neuen Licht des Rahmens des griechisch-römischen Patronates (vgl. auch G. H. Horsley, NovT 34, 1992, 140 und R. A. Kearsley, New Docs 7, 1994, 240 f.) ­ folgt die Untersuchung der Koexistenz von Heiden, Juden und Christen. Hier sind die Ausführungen über die indigenen Kulte und die ländliche Frömmigkeit ebenso wichtig wie besonders die im Anschluß an Louis Robert vorgebrachten Bemerkungen zum theos hypsistos: "This explicit testimony (Greg. Naz., oratio 18, 5 über seinen Vater) makes perfect sense of the growning number of inscriptions from Asia Minor which are so hard to classify as Jewish or pagan. Worshippers of Hypsistos might be all but Jews; equally, like Gourdos of Iconium or Zosimus of Phrygia, they might be all but Christians" (51).

Von großer Bedeutung ist die Beobachtung der "discrete cellular structure within christianity" (50). Sie gibt uns aber keinen Hinweis an die Hand zu den Missionaren und ihren Methoden bei den erstaunlich frühen Spuren ländlichen Christentums. "Rather than attempt the fruitless and insoluble problem of identifying the agents who brought Christianity to central Anatolia, it seems more profitable to attempt to explain why the message... found such ready listeners in Phrygia and the surrounding regions" (43). Hier sucht M. die Antwort in einer religiösen Mentalität von vielen, die derjenigen der wenigen theosebeis sehr ähnelte, die aber den Schritt in die Synagoge scheuten. "These were the families and communities which swelled the numbers of the churches of Phrygia... during the middle years of the third century AD" (43).

"From Pagan to Christian" ist der Abschnitt überschrieben, der die sozialen und bürgerlichen Transformationen im 4. Jh. bringt. Von Gregor dem Wundertäter und anderen dominanten Gruppen vor Konstantin, den Verfolgungen und der Bedeutung der Märtyrer führt M. zuerst nach Kappadozien als Beispiel ländlichen Christentums im 4. Jh. und kommt dann zu einem Schwerpunkt: Städte, Bischöfe und kaiserliche Autoritäten. Dabei bringt er Ankyra ausführlich als Fallbeispiel, das zeigt, wie die Christianisierung des Landes derjenigen der städtischen Gesellschaft etwa ein Jh. vorausgeht. "Long before the end of the fourth century these largely rural areas of central Anatolia were utterly dominated by the Church. Village headmen, great landowners, and the pagan gods gave way entirely to bishops, priests, and deacons. The social as well as the moral triumph of Christianity was here complete" (108). Daraus ergeben sich naturgemäß Probleme mit dem stadtorientieren Episkopat. Die großen sozialen Veränderungen des städtischen Lebens im 4. und 5. Jh. bringt M. in einen Zusammenhang mit dem Aufstieg des Mönchtums. So kommt er zu dem Schluß, daß trotz allen Aufstiegs des Bischofsamtes und einer Entwicklung, die dahin führte, daß der Bischof zum Hauptpatron der Stadt wurde, und trotz aller novatianischen Ausprägungen, der Mönch über dem Bischof und so die Religion des Dorfes über die der Stadt gesiegt habe.

Ein Kabinettstück zur Unterstüzung der These ist das Schlußkapitel mit der Interpretation des Lebens des Theodor von Sykeon, das uns für eine Zeit, in der sonst die Quellen versiegen, ein lebendiges Bild des Details zeichnet. Dies gelingt M. durch eine genaue Auflistung der Datenfülle, die die einzigartige Quelle liefert, und bringt ihm Ergebnisse, die von der überzeugenden neuen Lokalisierung Sykeons bis in die Einzelheiten der kirchen- und sozialgeschichtlichen Aspekte von Theodors Leben reichen, wobei etwa die Steuerfragen, besonders die Fragen der Steuereintreibung, ebenso zur Sprache kommen wie die Fragen der Siedlungsformen, ihrer staatlichen, kommunalen und kirchlichen Institutionen, der Agrarproduktion ebenso wie Fragen der lokalen Hagiographie. Die meisten dieser Aspekte zielen auf den Schlußabschnitt über Theodor als "heiligen Mann", eine Position, die zum "basic belief system of this rural early Byzantine population" (134) gehört. Der Art seiner Kraft und der Art seiner besonderen Stellung gelten dann unter Einbeziehung von religionsgeschichtlichen und ethnologischen Dimensionen die Abschnitte über Exorzismus, Heilung und Besessenheit, für die die Vita mit 41 Exorzismen, darunter 6 Massenheilungen, reiches Material bereitstellt. Das Ergebnis lautet überzeugend:

"The Christian faith... imposed an uncompromising discipline on its adherents, who were no longer volunteers, but conscripts in the army of God... The theatre in which the ritual drama of possession and exorcism was played out offered the community a graphic representation of the struggle between Good and Evil, between God and the Devil. As the last remnants of an ordered Ancient World crumbled into the uncertainty of the Middle Ages, Anatolia´s Christians were allowed no room to doubt where their spiritual loyalities lay" (149/150).

Mit all dem liefert M. nicht nur eine Hypothese zum rätselhaften Zusammenbruch des kleinasiatischen Städtewesens im 7. Jh., sondern steht wissenschaftsgeschichtlich im Rahmen der großen Linien, die Michael Rostowzew zum Sieg des Landes über das klassische Städtewesen gezogen hat. Bei der Reichweite der Themen, die hier im Referat nur kurz angerissen werden konnten, dürften Spezialisten zu einzelnen Schwerpunktthemen (Acta, Paulus, Kappadocia, Novatianer usw.) sehr leicht einzelne Ergänzungen, zumal an neuerer Sekundärliteratur, für sich selbst nachtragen können (bzw. die seltenen Druckfehler verbessern, z. B. S. 6, Anm. 39 lies: ILS 5926). Hier in Beckmesserei zu verfallen wäre angesichts des großen Wurfs, der zudem noch spannend zu lesen ist, und der akribischen Darstellung und des Nachweises des sehr unterschiedlichen Quellenmaterials im Detail, das möglichst vollständig zitiert wird, gerade was die archäologische und epigraphische Forschung angeht, unangebracht, zumal das historische Basiswissen für eine der seit ältesten Zeiten des Christentums ebenso kirchen- wie theologiegeschichtlich primär wichtigen Landschaft hier "wie goldene Äpfel auf silbernen Schalen" dargeboten wird.