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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

348-350

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Eidam, Heinz

Titel/Untertitel:

Kausalität aus Freiheit. Kant und der Deutsche Idealismus.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 2007. 378 S. gr.8°. Kart. EUR 39,80. ISBN 978-3-8260-3505-0.

Rezensent:

Udo Kern

Dieses Buch ist eine Aufsatzsammlung des in Kassel lehrenden Philosophen Heinz Eidam. Es umfasst 17 Beiträge, von denen 13 bereits in Zeitschriften bzw. Sammelbänden 1996 bis 2007 publiziert wurden. Vier Aufsätze waren bisher unveröffentlicht. Der Untertitel »Kant und der Deutsche Idealismus« will das Feld benennen, auf dem sich diese Veröffentlichung bewegt. E. unterteilt das Buch in drei Kapitel: I. Idealität und Realität, II. Kontingenz und Geschichte und III. Moralität und Freiheit. Er geht also, wie er in seinem Vorwort schreibt, »erkenntnistheoretisch, geschichtsphilosophisch und moralphilosophisch« das Selbst- und Weltverhältnis an (9). E. ist zu Recht davon überzeugt, dass »eine Auseinandersetzung mit den von Kant und dem Deutschen Idealismus entwickelten Theorien auch für die aktuellen Fragestellungen erhellend sein kann« und die entsprechende Anstrengungen sich lohnen (10). Allerdings liegt der Schwerpunkt des Buches stärker auf der Interpretation als auf der Relation zu aktuellen philosophischen Fragehorizonten, obwohl diese nicht ausgeblendet werden (vgl. insbesondere den letzten Beitrag: Zum Begriff der moralischen Verantwortung [Kant, Jonas, Levinas]).
Die Interpretationen des Deutschen Idealismus durch E. zeichnen sich durch Textnähe aus. Jedoch wird auch entsprechende Sekundärliteratur verarbeitet. Dominierend ist die Erörterung kantscher Themen. Kant ist sozusagen der Fokus, durch dessen Feuer philosophischer Diskurs entfacht wird. Aber auch Hegel und Fichte werden reichlich herangezogen, etwas weniger Schelling.
Im Kapitel I beschäftigt sich E. mit Kants Prinzip der Idealität und dem Realwesen der Dinge, dem Fichteschen Begriff »Anstoß« in dessen Wissenschaftslehre von 1794 und der Schellingschen Be­stimmung des Wissens und seiner Realität. Für Kant habe alles, was da ist und geschieht, einen Grund. Das principium cognoscendi der Vernunft gelte jedoch allein hinsichtlich der Existenz der Dinge als phainomena. Das Ding an sich selbst ist »als = X nur das Prinzip, dass es nichts Empirisches sei, was den Bestimmungsgrund der Möglichkeit der Erfahrung enthält. Das Negative in der Anschauung a priori« (Kant, OP 22/24, zit. 33 f.). – Philosophisch äußerst bedeutsam sei Fichtes transzendentaler Begriff »Anstoß« in dessen Wissenschaftslehre von 1794. Das zeige sich hinsichtlich der Fichteschen Identität von Ideal- und Realgrund. Bei Fichte gelte Identität von Ideal- und Realgrund im Begriff der Wirksamkeit. Einheit bestehe bei Fichte und dem jungen Schelling (trotz ihrer Differenzen) darin, dass ratio cognoscendi und ratio essendi bzw. ratio fiendi ihnen identisch seien. Schelling gehe es um die Realität des Wissens.
Sechs Beiträge bilden das mit Kontingenz und Geschichte überschriebene Kapitel II: 1. Der kantsche Begriff der Kontingenz, 2. Das Zufällige im Hinblick auf Hegels Philosophie des Notwendigen, 3. Der praktische Eigensinn des Historischen bei Vico und Kant, 3. Die (weithin kritische) Hegelrezeption A. v. Cieszkowkis in dessen Prolegomena zur Historiosophie von 1838 mit ihrer Option einer Philosophie der Praxis, 4. U. Sonnemanns Kritik an Kants figürlicher Skepsis und 5. Reflexionen zum unspektakulären Gebrauch regulativer Ideen (von Kant bis U. Eco). Bei Kant unterscheidet E. absolute, bedingte, zweckmäßige und praktische Zufälligkeit. Diese untersetzt E. (98 ff.) mit Textdokumentationen (vor allem aus den Reflexionen [aus den Bänden 14–18 der Akademieausgabe] ). Hinsichtlich des Verhältnisses von Freiheit und Zufall (vgl. 127 f.) gilt nach Kant: 1. »Der Mensch ist entweder ganz oder gar nicht frei, weil er entweder aus einem tätigen principio handeln kann oder von Bedingungen abhängt.« (Refl. 4229) Aus tätigem Prinzip Handeln geschieht gemäß den Regeln der Vernunft, die sich auf Erscheinungsbegriffe gründen. Damit ist aber die Kausalität der primären Ursache des Geschehenden kontingent. 2. Des Menschen »Handlungen hätten alle nach der Vernunft geschehen können. Daher ist er frei« (Refl. 4226), das bedeutet: Aus Freiheit ist er autonom und nicht heteronom. »Die Freiheit ist das, dessen Folgen absolut zufällig sind.« (Refl. 4693) 3. »Zwischen Natur und Zufall gibt es ein Drittes, nämlich Freiheit« (Refl. 5369). Diese ist »ein Vermögen, sich a priori zum Handeln zu determinieren, nicht durch empirische Ursachen«. Natur und Zufall dagegen sind »Handlungen unter den Be­dingungen a posteriori« gemäß der Abfolge von Geschehnissen (Refl. 5964). Wir können empirisch, obwohl wir Freiheit nicht be­weisen können, gar »nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln« (GMS, AA 4, 448). Von hier aus ist es auch kantisch konsequent, zu sagen: »Die Zufälligkeit wächst ja mit der Vollkommenheit« (Refl. 5637, zit. 250).
Hegel, der durchaus das Zufällige in Geschichte und Natur kenne, intendiere in seiner philosophischen Betrachtung, das Zufällige zu entfernen, denn in allen Zufälligkeiten ist das absolut Bestimmende der Geist. Dass »die Vernunft … die Welt regiert«, hängt »mit der Frage von der Möglichkeit der Erkenntnis Gottes« zusammen (Hegels Werke in 20 Bänden, hrsg. v. E. Moldenhauer, Frankfurt a. M. 1969, hier: Bd. 12, 27, zit. 142). So ist Hegels Logik und Metaphysik nach eigener Aussage metaphysische Theologie (Bd. 17, 419, zit. 142).
Das Verhältnis von Moral und Freiheit wird in den sieben Beiträgen des Kapitels III behandelt. Natürlich steht auch hier Kant wieder im Vordergrund. Daneben werden Hegel, Fichte und Schelling herangezogen. Der letzte Beitrag beschäftigt sich mit dem Begriff der moralischen Verantwortung bei Kant, Jonas und Levinas. Kant gehe von dem moralischen Wesen des Menschen als dem höchsten Zweck aus und frage von diesem aus nach einer diesem Zweck entsprechenden Welt.
Die kantsche Vernunft sei darauf aus, den höchsten Vernunftideen nicht allein »subjektive Notwendigkeit, sondern auch objektive Realität zu verschaffen« (261). Der spekulativen Vernunft sei das nicht möglich. Es gelinge allein hinsichtlich der Idee der Freiheit im moralischen Gesetz der praktischen Vernunft. In der Kritik der praktischen Vernunft gehe es Kant um den »Aufweis der objektiven Realität des Begriffs der Freiheit« (261). Das moralische Gesetz als ratio cognoscendi der Freiheit sei der reinen Vernunft von selbst vorgegebenes »Faktum der reinen Vernunft« (KpV A 191). Allein hier ist »ein synthetischer Satz a priori ohne alle Anschauung ›gegeben‹« (281). Das wird erwiesen in der Analytik der Kritik der praktischen Vernunft. »Freiheit ist der Begriff des ›Daseins in der intelligibelen Welt‹ … Diese Bedeutung der Freiheit ergibt sich aber allein aus dem ›Bewusstsein der moralischen Gesetze‹« (283) in der praktischen Vernunft. Denn in dieser, nicht aber in der spekulativen Vernunft, gibt es so »den Überschritt zum Unbedingten – a posse ad esse valet consequentia« (290). Damit sei auch der Freiheit unbedingte Kausalität gegeben.
Weitere Beiträge des Kapitels III sind dem Problem Subjektivität und Intersubjektivität in der Sicht von Kant, Hegel und Fichte, der Logik der Anerkennung in Hegels Phänomenologie des Geistes, der Freiheit des Willens bei Kant und Hegel und Schellings Suche nach dem realen Begriff der Freiheit gewidmet.
Das Buch ist eine produktive Erinnerung an Kant und den Deutschen Idealismus. Es führt analytisch sauber in philosophisches Denken ein, insbesondere in das von Kant – und zwar im Rahmen der Problemstellungen, die E. sich in seinen Beiträgen gestellt hat. Es fehlt jedoch eine ausführliche systematische Summa dessen, was E. philosophisch erarbeitet und intendiert. Die kurze Einleitung auf den Seiten 9 und 10 kann hier nur andeuten. Leider vermisst man ein Personen- und Sachregister.