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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

346-348

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Markus

Titel/Untertitel:

Die Nachfolge Jesu Christi. Eine Studie zu Romano Guardini.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2004. 363 S. gr.8°. Kart EUR 19,90. ISBN 978-3-506-70122-0.

Rezensent:

Eckhard Zemmrich

Mit dieser Druckfassung der Dissertation des römisch-katholischen Autors liegt die bislang wohl umfassendste Werkanalyse zu Romano Guardinis weitgespanntem Schaffen vor. Denn für Guardini meint ›Nachfolge Christi‹ die »umfassende, stets aktuelle Wirklichkeit christlichen Existierens« (19) und als solche »ein Leben mit und aus dem ›heute‹ lebenden Christus in der Gleichzeitigkeit« (ebd., nach Gal 2,20). Damit werden für die Studie alle großen Themen im Denken Guardinis zum Untersuchungsgegenstand. Dies jedoch nicht in der allmählichen Entfaltung des Begriffs, sondern in einer Gesamterschließung aus den »universal angelegten Themenfeldern« (306) Guardinischen Denkens – in weit ausschwingenden Linien bei gleichzeitig luzider, zuchtvoller Gedankenführung sowie unter Einbezug sämtlicher, auch bisher unveröffentlichter Schriften Guardinis. Erklärte methodische Absicht Z.s ist dabei ein ergebnisoffenes, heuristisches Vorgehen, eine »kontextuell be­wuss­te, werkanalytisch wie -genetisch orientierte Eruierung« (21), die Platz hält für im Forschungsprozess selbst gewonnene Einsichten, welche nicht bereits »durch methodische Vorbestimmungen formal vorstrukturiert und inhaltlich enggeführt« werden (ebd.). Kurz: Z. legt eine qualitative Werkanalyse vor, in drei Hauptteilen und einem die Ergebnisse bündelnden Fazit.
Stärker als bisherige Gesamtdarstellungen arbeitet Z. im ersten Teil das »Bonaventurianische Fundament« Guardinis heraus (passim). Neben einem knapp gehaltenen Rekurs auf die Bedeutung der Gegensatzphilosophie Bonaventuras für Guardini zeigt Z. die aus der Soteriologie des franziskanischen Hochscholastikers ge­wonnenen Grundsatzentscheidungen für Guardinis eigene Er­lö­sungslehre auf: Der als Mitte und Mittler verstandene Christus ist als Erlöser nicht nur im Kreuzestod, sondern in seinem gesamten Leben und Lehren zu begreifen. Diese ganzheitliche Perspektive strahlt aus auf alle Lebensbereiche auch des Christen in der Nachfolge. Als bonaventurianisch grundgelegt wird von Z. ebenfalls die Zuordnung von theologischer Theorie und mystischer Praxis nachgewiesen: Theologie ist ganzheitlich erfahrungsbezogen und gründet in der praxis pietatis, sie ist »theologia affectiva« (50). Paradigmatisch wird diese Einheit gläubigen Denkens für Guardini in Dantes ›Göttlicher Komödie‹ sichtbar. Z. betont die Wirksamkeit, die diese von Guardini erkannte Einheit durch ihn für die katholische Jugendbewegung der 20er Jahre erhielt: als Vorbild in der Suche nach einem über das neuzeitlich-autonome hinausführenden Selbstverständnis. Genealogische Erwägungen zum »pla­tonisch-augustinischen Traditionsstrom« im Denken Guardinis und die Erhellung seiner Bestimmung ›Katholischer Weltanschauung‹ runden diesen ersten, fundamentaltheologisch orientierten Durchgang ab: Nur eine »transsubjektive, ... objektive Gemeinschaft« wie die Kirche ist nach Guardini »zur vollen ›Katholischen Weltanschauung‹ fähig« als Nachvollzug des Blickes Christi auf die Welt (98). Indem der Einzelne innerhalb der Kirche im Glauben »an ihrer Blickrichtung teilnimmt« (G., zit. 102), hat Nachfolge Christi in dem so erneuerten, aus seiner »Selbstverfangenheit« (G., zit. 106) befreiten Menschen schon begonnen.
Der zweite Hauptteil widmet sich in reicher Ausfaltung dem Vollzug christlicher Existenz nach Guardini im Spannungsfeld von Autorität und freiem Gehorsam. Das hier von Z. in seiner hohen Komplexität souverän nachgezeichnete Beziehungsgeflecht der damit verbundenen Fragen nach kirchlicher und staatlicher Autorität, nach Freiheit, Geist, Person und Gnade verliert sich nie im Theoretisch-Allgemeinen, sondern wird jeweils bis ins Konkrete durchgeführt und illustriert am Beispiel etwa der katholischen Jugendbewegung Quickborn oder unter Rückgriff auf andere biographische Anhaltspunkte. Nicht zuletzt dieses Vorgehen verleiht der gesamten Studie eine ausgesprochene Frische und Lebendigkeit. Dem von Guardini prognostizierten ›Ende der Neuzeit‹ und der damit verbundenen Frage nach der Gestalt christlicher Nachfolgeexistenz in der ihm folgenden postneuzeitlichen Zukunft gilt ebenfalls Z.s Interesse; die Auseinandersetzung Guardinis mit Kant, von Goethe, Rilke und Nietzsche erfährt unter anderem in diesem Zusammenhang eingehende Berücksichtigung. Die angesichts der Postmoderne-Diskurse be­sonders befremdlich wirkende Rezeptionslücke gegenüber Guardinis Rede vom »Ende der Neuzeit« wird von Z. jedoch selbst nicht ausgefüllt: Nicht die Auseinandersetzung mit Guardinis Konzeption, sondern ihr genuines Verständnis sucht er in respektvollem Mitvollzug und weitgehender Zustimmung nachzuzeichnen.
Der dritte, die Studie abschließende Hauptteil wendet sich, auch werkgeschichtlich konsequent, betont den Spannungspolen persönlicher Spiritualität und objektiven Glaubensvollzugs kirchlicher Liturgie zu. Auch hier breitet Z. wieder den Reichtum Guardinischer Denkgestalt vor dem Lesenden aus. Vom persönlichen Werdegang ausgehend wird nicht nur Guardinis Beitrag zu geistlicher Erneuerung und liturgischer Reform innerhalb der römisch-katholischen Kirche des 20. Jh.s gewürdigt; zur Darstellung gelangen ebenfalls Sakramentslehre, entfalteter Gebetsbegriff und die nach Guardini für all das grundlegende Auffassung von Epiphanie in der christlichen Existenz. Dies bündelt schließlich die Betrachtung wieder in der jetzt vollständig möglichen Definition christlicher Nachfolgeexistenz als ›wechselseitiger In-Existenz Christi‹: »[i]n der Liebesrelation des Gläubigen zu Gott« (303).
Ein originell gegliedertes vierfaches »Fazit« fasst die Ergebnisse der gesamten Studie zusammen. Neben zahlreichen Fußnoten bieten ein fünffach gestaffeltes Literaturverzeichnis nebst Personenregister weitere Orientierung, Abgrenzung in Fragen der Guardini-Forschung und Möglichkeiten zur Vertiefung.
Dass eine Monographie zu einem Denker, der Wirklichkeit und Wirksamkeit reformatorischer Theologie weitestgehend ausblendete, dessen Verhältnis zu ihr nicht eigens befragt, ist insofern verständlich, als sie das Denken Guardinis vor allem nachzeichnen möchte. Beansprucht eine solche Studie jedoch, »überraschend aktuell« zu sein (16), wäre ein erweiterter Blickhorizont in produktiver Auseinandersetzung zumindest mit dem Denken evangelischer Zeitgenossen Guardinis wie dem des Berliner Theologen Bonhoeffer im Blick auf das Thema ›Nachfolge‹ gewiss hilfreich gewesen. So bleibt die Aufarbeitung doch in der eigentümlich schwebenden Abgeschlossenheit eines innerkatholischen Diskurses befangen, und ihre intendierte »Sprengkraft« (15) will sich nicht so recht entfalten. Guardini bleibt trotz hier und da gewagter Seitenblicke der einsame Denker, der er zu Lebzeiten auch war. Gleiches gilt für die weitgehend unbefragt gelassenen denkerischen Grundlagen Guardinis, etwa die Anwendung der materialen Wertethik Schelers, oder seine Interpretation der Neuzeit. Doch sind derartige Anfragen letztlich nur ein Zeichen dafür, dass diese Studie in ihrer Präzision und Intensität der Analyse Guardinis Werk und Wirken so zum Leuchten zu bringen versteht, dass sie ganz selbstverständlich den Wunsch nach weiterer Auseinandersetzung freisetzt.