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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

338-341

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kampling, Rainer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Herrlichkeit. Zur Deutung einer theologischen Kategorie.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2008. 467 S. gr.8°. Kart. EUR 58,00. ISBN 978-3-506-75622-0.

Rezensent:

Rainer Schwindt

Anlass dieses Sammelbandes zur »Herrlichkeit« ist nach Ansicht des Herausgebers R. Kampling, dass dieser Begriff, obgleich in seiner theologischen Bedeutung nach wie vor unstreitig, in der religiösen Erfahrung und theologischen Reflexion nicht verortbar sei (5). Es stellt sich damit die Aufgabe, die Möglichkeit der Rede von der Herrlichkeit Gottes von Neuem auszuloten. Überblickt man aber die einzelnen Beiträge, so ist die überwiegende Zahl theologie­geschichtlich orientiert, angefangen mit Aufsätzen zur biblischen Rede von Herrlichkeit, über die Kirchenväter und die Reformatoren bis hin zu Rahner und Balthasar. Auch die unter der Überschrift »Reflexionen« gesammelten Beiträge, u. a. die femi­nistischen und religionsphilosophischen, sind weitgehend historisch-rezeptiv ausgerichtet.
Angesichts des überreichen Materials aus Bibel und Theologiegeschichte ist diese Orientierung nicht verwunderlich. Die »Schwere«, die der Vorstellung von Herrlichkeit seit alttestamentlicher Zeit eignet (22, Anm. 6), evoziert in diesem Band eine Geschichtslastigkeit, die sowohl die traditionsgeschichtliche Aufarbeitung wie auch den Versuch, Herrlichkeit als diskursfähige theologische Kategorie zu profilieren, zumindest »er­schwert«. So ist durchaus zu entschuldigen, dass der Sammelband mit deutlicher Zeitverzögerung und mit widersprüchlichen Querverweisen (347, Hinweis auf einen fehlenden Art. über K. Barth) erschienen ist. Dass ihm jedoch keine Darstellung beigegeben ist, die einführend oder beschließend die Einzelbeiträge synoptisch zusam­menführte oder gar synthetisch auswertete, kann nur be­dauert werden. Dies umso mehr, als einige Texte von beachtlichem inhaltlichen Gewicht sind und verbindungsfähig scheinen. Auch fehlt ein Sach- und Stellenindex zur Erschließung des Bandes in seinem interdisziplinären und ge­samttheo­lo­gischen Anspruch.
In dem »Versuch eines Prologs« steckt R. Kampling einleitend das semantische Spannungsfeld der theologischen Rede von Herrlichkeit ab. Da sie für die je größere Freiheit Gottes in seiner Zu­wendung und Verborgenheit steht, ist »das Wort von der [sic!] kabod JHWH« (17) lesbar als eine Kurzformel für die menschliche Erfahrung des Hoffens und des vergeblichen Hoffens. Da im Begriff der Herrlichkeit die Ebenen Gottes und der Menschen nicht vermengt werden, verweist die Herrlichkeit Gottes nicht auf eine relationale Erfahrung, sondern auf ein Widerfahrnis des Menschen, das ihn zum Objekt gegenüber der Herrlichkeit Gottes macht.
Die Beiträge zur Herrlichkeits-Vorstellung in den biblischen Schriften be­schränken sich im Wesentlichen auf den Pentateuch, die drei synoptischen Evangelien und die beiden Korintherbriefe. Trotz der nötigen Beschränkung auf einzelne Textcorpora stellt sich aber die Frage, warum die Doxa-Rede der alttestamentlichen Propheten ebenso wie die des Joh keine Erörterung findet. Erstere hat für die eschatologische Perspektive der Herrlichkeit, Letztere für die christologische eine eminente Bedeutung, was der Sammelband selbst auch durch häufige Referenzen bestätigt (für Joh vgl. 161.167.184.228.246.358.448).
Gleichwohl sehr erhellend sind die Beobachtungen von G. Langer zur Herrlichkeit in der hebräischen Bibel (21–56). Danach ist der kabod, so das hebräische Wort für Herrlichkeit, Schwere, Macht, Ehre, nicht allein als Heilszuwendung, sondern mehr als Machterweis und radikales Differenzkriterium zwischen richtig und falsch zu verstehen (32). Seine Gegenwart zielt auf eine kompromisslose Anerkennung Gottes und die machtvolle Durchsetzung von dessen Willen (46.53).
Die doxa als das neutestamentliche Pendant zu kabod übernimmt wesentliche Bedeutungsnuancen des alttestamentlichen Begriffs. Wie M. Blum für die Synoptiker zeigt (in zu starker Anlehnung an ältere Literatur), steht doxa bei ihnen überwiegend für eine Schau/Erscheinung des ihr eignenden Machtglanzes (78). Zu einem theologischen Schlüsselbegriff wird doxa erst bei Paulus. Das im Corpus Paulinum breit bezeugte Wortfeld doxa stellt vor das Problem, sich im Rahmen eines Aufsatzes auf einige wenige Stellen beschränken zu müssen. M. Gielen konzentriert sich auf die Korintherkorrespondenz, zu der sie etliche Vorarbeiten geleistet hat, ohne allerdings den Ausschluss anderer Belege, besonders aus Röm, sachlich zu begründen. Auch ihr Verdikt, dass eine systematisierende Präsentation dem Proprium paulinischer Theologie als einer Theologie in pastoral-situativer Zuspitzung nicht gerecht werde (81), muss verwundern. Exegetisch gelingt ihr eine durchaus konsistente Interpretation des paulinischen Herrlichkeits-Begriffs mit seiner Verortung in einem schöpfungstheologischen Kontext und einer eschatologisch-soteriologischen Perspektive. Problematisch ist allerdings die inhaltliche Bestimmung der Gott­ebenbildlichkeit in 1Kor 11,7 durch die Herrlichkeit. In Übereinstimmung mit frühjüdischen Vorstellungen kennt Paulus nämlich nur die Vorstellung, dass dem Menschen auf Grund seiner Sünden zwar die Herrlichkeit, nicht aber die Gottebenbildlichkeit verloren gehen kann (vgl. Röm 3,23; ApcMos 20).
Die Beiträge zur Theologiegeschichte beschäftigen sich mit dem Herrlichkeitsverständnis bei Theophilos von Antiochien (F. R. Prostmeier), Augustinus (H. A. Gärtner), Albertus Magnus (M. Burger), Martin Luther (A. Lexutt), Jo­hannes Calvin (E. Busch), der christlichen Orthodoxie (V. N. Makrides), Karl Rahner (E. Dirscherl) und Hans Urs von Balthasar (W. Löser). Für die Vätertheologen steht stark die Profilierung der biblischen Doxa-Rede gegenüber dem platonisch-neuplatonischen und römisch-politischen Welt- und Gottesverständnis im Vordergrund. Am δόξα-Begriff des Theophilos zeigt sich eine Osmose biblischer und paganer Traditionen, die Letztere im System offenbarter Glaubenswahrheiten integriert (154). Augustin setzt die biblische gloria des Menschen deutlich von der heidnischen ab, sofern der Geehrte bei dieser seinen »Ruhm« einer menschlichen Instanz verdankt, was der biblischen Auffassung eines dezidiert göttlichen Ursprungs einer jeden gloria widerstreitet (164). Die Herrlichkeit ist für den Bischof von Hippo ein theologischer Basisbegriff, der Anthropologisches und Soteriologisches dynamisch umfasst (174). In Alberts des Großen gloria-Konzeption ist das dionysisch-neuplatonische Denken von maßgeblicher Bedeutung. Das Licht der Offenbarung leuchtet vor dem dunklen Hintergrund, der nach Dionysios Ps.-Areopagita von der Verborgenheit und Unaussprechlichkeit Gottes herrührt, umso heller (179). Gleichwohl ist der nach dem Bild Gottes geschaffene Mensch der Herrlichkeitsoffenbarung fähig, auf Erden als verhüllende Theophanie, in der Seligkeit als Vergöttlichung (195 f.).
In der Theologie M. Luthers kann die Herrlichkeit nur im Verhältnis zum Kreuz verortet werden. Allein in der rechten Rede vom Kreuz kann das Geschöpf die Herrlichkeit seines Schöpfers recht wahrnehmen (199). Dabei ist zu beachten, dass das Kreuz nicht die Herrlichkeit, sondern die Theologie der Herrlichkeit durchbricht (215). Das lumen gloriae ist Teil eines Dreischritts, der den Menschen zur Herrlichkeits-Schau führt. »Das lumen naturae hilft zur Erkenntnis, das lumen gratiae ermöglicht Glaube, das lumen gloriae bringt ins Schauen« (220). Das gloria-Verständnis Calvins ist nicht am Kreuz orientiert, sondern an den verschiedenen personalen Dimensionen der Herrlichkeit. »Gloria« ist die »Herrlichkeit Gottes«, der sich in Christus seiner Geschöpfe annimmt und die Erwählten in seine Glorie mit hineinnimmt (233 f.). Größtes Gewicht kommt der Doxa-Vorstellung in Theologie und Ritus der christlich-orthodoxen Kirche zu. In der Ikonenfrömmigkeit, der Doxologie und der Apophatik im Angesicht Gottes nimmt die Rede und Schau der göttlichen Herrlichkeit einen zentralen Ort ein.
Ausgehend von einer Theologie, die den Christen als »Hörer des Wortes« prädiziert, ist für K. Rahner die Herrlichkeit Gottes nicht ohne dessen Unverfügbarkeit zu denken. Gott schenkt sich den Menschen zwar ganz, aber als Geheimnis. Das Wort Gottes im Ruf Christi stellt vor die Entscheidung der Nachfolge, die im Vollzug von der Nähe der Herrlichkeit des zu uns sprechenden Gottes lebt (268). Zu dem Leitbegriff einer universalen Theologie wird Herrlichkeit im Werk Balthasars. Sein Anliegen ist der Versuch, die im Evangelium bezeugte »Schönheit« Gottes auf ihre theologischen und philosophischen Bedingungen hin zu untersuchen. Die Kraft zur Synthese und Zusammenschau beeindruckt. Balthasars Kirchenbegriff und seine zwischen historisch-kritischer und dogmatischer Methode wechselnde Bibelexegese sind indes kritisch zu hinterfragen.
Zwei Beiträge befassen sich mit Herrlichkeit aus musikologischer und literarisch-poetologischer Sicht. R. Willmann zeigt anhand der frühen Einstimmigkeit, der Bachschen und der neuen Musik, wie vielgestaltig sich eine theologische Ästhetik darstellt. In Tonlinien begegnen sich musikalische und li­turgische Zeit. An den Vorgaben von Herrlichkeit und Kreuz ausgerichtet, kann Musik Zeit und Sinn stiften sowie vom Hörer Offenheit und Bereitschaft zu hören einfordern. E. Garhammer interpretiert Gedichte von Paul Celan und Durs Grünbein. Poetische Sprache vermag Bilder zu stiften, die existentielle Erlebnisse und Grenzen reflektieren, in denen Herrlichkeit im Raume von Ohnmachtserfahrungen aufscheint.
Die unter dem Kapitel »Reflexionen« zusammengefasste Aufsatzreihe beginnt mit feministisch-theologischen Überlegungen zur Herrlichkeit, ausgehend von den im deutschen Wort »Herrlichkeit« mitschwingenden Konnotationen. L. Scherzberg untersucht die theologischen Ästhetiken des Aquinaten, M. Luthers und neuerer katholischer und evangelischer Theologen auf ihren feministischen Ertrag, der, wie zu erwarten, weitgehend kritisch ausfällt. Die Zwiespältigkeit des Begriffs der Schönheit in der feministischen Theologie führt die Autorin zur Pneumatologie, die im Kontext feministischer Gottesrede allein angemessen die Gegenwart Gottes aussagen könne. Einen instruktiven Vergleich christlicher und islamischer Gottesästhetik zieht A. Middelbeck-Varwick. Die biblische Zwiespältigkeit in der Erfahrung von Entzug und Zuwendung Gottes findet sich auch im Koran. Die Weise aber, in der sich Gottes Herrlichkeit offenbart, ob in Jesus Christus oder im Koran, markiert den Unterschied.
Der intelligente Beitrag von dem Systematiker K. Müller versucht, den religionsphilosophischen Wurzelgrund der ästhetischen Unterscheidung von »Herrlichkeit« und »Erhabenheit« offenzulegen. In Weiterführung der einschlägigen Studie von R. Hoeps, Das Gefühl des Erhabenen und die Herrlichkeit Gottes, Würzburg 1989, sieht M. das Paradigma des Erhabenen trotz einer Konvergenz mit der ikonographischen Artikulation biblischer Offenbarungsherrlichkeit als Teil einer Fundamentalkritik des biblischen Gottesbildes im Kontext des Pantheismusstreits der Aufklärung (378–380). In der monistischen Verankerung der Erhabenheitsthematik bei Schiller und Kant findet dies seinen klassischen Ausdruck.
F.-J. Bäumer und M. Wischer erkunden religionspädagogische Möglichkeiten, von Gottes Herrlichkeit zu reden. Die Theoriereflexion weist auf eine herme­neutische Kategorie, deren Relevanz in der Dialektik von göttlicher Offenbarung und menschlicher Erfahrung begründet ist. Während die an­thropologische Wende der Religionspädagogik das paradoxe Geschehen der Offenbarung vom Subjekt her thematisiert, bietet der Herrlichkeitstopos die Möglichkeit, dieses deutlicher als Zuwendung Gottes in den Blick zu nehmen (415). Einen natürlichen Platz findet der Begriff »Herrlichkeit« in der christlichen Spirtualitätsgeschichte, wie R. Bäumer und M. Plattig mit verschiedenen Beispielen eindrücklich belegen. Die Rede von Gottes Herrlichkeit hilft, trotz Gottes Unfassbarkeit die Sprachlosigkeit zu überwinden und sich seine zuvorkommende Gnade gläubig zu vergegenwärtigen (442).
Der Sammelband schließt mit einem Epilog von M. Bongardt, der nach grundlegenden Orientierungen für die Rede von Gottes Herrlichkeit fragt. Die Herrlichkeit stellt keine Eigenschaft Gottes dar, sondern ist allein in seiner Bezogenheit auf ein Gegenüber erkennbar und wirklich. Gottes Verborgenheit ist nicht Verkleidung, sondern die Wirklichkeit freigebender Liebe.
In der Summe findet sich viel anregendes Material, das zu weiteren Studien motivieren sollte. Die jüngst von Wolfgang Kemp beklagte Inflation von lustlos produzierten Sammelbänden, die nur Bekanntes referierten (vgl. A. Cammann, FAZ 3.6.2008, Nr. 127, 37), kann dieses Buch allerdings weder bestätigen noch widerlegen.