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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

334-336

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Töllner, Axel

Titel/Untertitel:

Eine Frage der Rasse? Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, der Arierparagraf und die bayerischen Pfarrerfamilien mit jüdischen Vorfahren im »Dritten Reich«.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 467 S. gr.8° = Konfession und Gesellschaft, 36. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-17-019692-6.

Rezensent:

Angela Hager

»Als die Kirchenleitung mich in die Verbannung schickte, ging ich mit Bitterkeit.« (422) Diese Bitterkeit, die die fehlende Solidarität kirchenleitender Gremien mit ihm in der NS-Zeit hervorief, die 1939 zu seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand geführt hatte, sollte den bayerischen Pfarrer Julius Steinmetz, dessen Vater vom Judentum zum Christentum konvertiert war, bis zu seinem Lebensende 1965 begleiten. Sein Schicksal sowie das weiterer bayerischer Pfarrer und ihrer Familien mit jüdischen Vorfahren hat der Nürnberger Pfarrer Axel Töllner hier beschrieben. An ihrem Beispiel illustriert er die unklare Haltung der bayerischen Landeskirche zu Christen jüdischer Herkunft in der NS-Zeit, fokussiert auf Geistliche und deren Angehörige, und verortet das Verhalten der Kirchenleitung in einer Grauzone zwischen Zustimmung und Abgrenzung zum nationalsozialistischen Rassenprinzip. T.s Dissertation, betreut von Wolfgang Kraus (Universität Koblenz-Landau, jetzt Universität Saarbrücken) und Berndt Hamm (Universität Erlangen), wurde 2003 an der Universität Koblenz-Landau eingereicht und ist 2007 im Druck erschienen. Als Aufhänger für seine Untersuchung dient T. die 1998 von der bayerischen Landessynode verabschiedete Erklärung zum Thema »Christen und Juden«, in der die Situation »nichtarischer Pfarrer« 1933 bis 1945 als Forschungsdesiderat benannt wurde.
In T.s Arbeit wechseln sich allgemein gehaltene Teile, die Hintergrundinformationen zur Situation in der bayerischen Landeskirche liefern sowie diese im gesamtdeutschen Kontext verorten, mit Fallbeispielen ab. Die ersten drei der sieben Kapitel dienen der Klärung von Grundlagen: T. bescheinigt den damaligen kirchlich-evangelischen Führungskräften die Gesinnung eines spezifisch »protestantischen Antisemitismus«, den er als »neuzeitliche, dezidiert kirchliche Form der Judenfeindschaft« (27) definiert und anhand ausgewählter Positionen bayerischer Theologen vor allem in der Weimarer Republik veranschaulicht. Der hier zu beobachtende Antisemitismus als »mentale Imprägnierung« (42) spiegelt sich T. zufolge auch in den Diskussionen um die »Judenfrage« im Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss im April 1933 wider. Nach einer ausführlichen Darstellung verschiedener Positionen zu »Rasse, Volkstum und Arierparagraf« 1933 und 1934 kommt T. zu dem Ergebnis, dass die Frage nach einer Übernahme des Arierparagraphen in der bayerischen Landeskirche – hier anders als in anderen Landeskirchen nicht von sich aus eingeführt – ein Nebenthema blieb: »Weder war das Problem in Bayern selbst akut, noch gaben die theologischen Unschärfen zahlreicher Stellungnahmen eine eindeutige Richtung vor. ... Außerdem wurden die Diskussionen um den Arierparagrafen im Raum der Kirche zunehmend überlagert von kirchenpolitischen Überlegungen über die Mittel, die die (radikalen) Deutschen Christen bei ihrem Kampf um die Gleichschaltung der Kirche mit dem NS-Staat einsetzten« (113 f.). So befand sich die bayerische Landeskirche auf einer Gratwanderung: Einerseits wollte sie einen Totalitätsanspruch des Rassenprinzips bestreiten, andererseits war sie bemüht, ihre Loyalität zum Staat zu zeigen.
Wie diese Gratwanderung aussehen konnte, illustriert T. im vier­ten Kapitel am Beispiel der Verdrängung des Pfarrers Ernst Lipffert und seiner Frau Klementine 1935 aus der Kirchengemeinde Partenkirchen. Hier konfrontierte die jüdische Herkunft Klementine Lipfferts die kirchlichen Entscheidungsgremien in Bayern erstmals praktisch mit der Frage nach der Geltung eines Arierparagraphen im kirchlichen Bereich. Angestoßen durch einen Hetzartikel im »Stürmer« musste Lipffert seine Stelle in Oberbayern räumen und wurde beurlaubt, bis er gut ein Jahr später im oberfränkischen Himmelkron eine neue Kirchengemeinde fand. Während der Auseinandersetzungen um den Geistlichen und seine Frau schützte ihn die Kirchenleitung kaum gegen Angriffe; vielmehr waren es Ge­meindemitglieder, die für das Ehepaar Stellung bezogen.
Als der Staat 1938 der bayerischen Landeskirche durch das Schul­aufsichtsgesetz die Einführung eines Arierparagraphen anordnete, kam die Kirchenleitung, wie T. im fünften Kapitel zeigt, dieser Verordnung weithin ohne Widerspruch nach. Am Beispiel von fünf Pfarrfamilien verdeutlicht T., dass die Landeskirche immer wieder versuchte, Konfrontationen mit dem Staat ihrer »nichtarischen« Pfarrer wegen zu vermeiden, wobei sie die Anliegen der betroffenen Geistlichen oft hintanstellte. Exemplarisch sei hier noch einmal auf das Schicksal des eingangs erwähnten Azendorfer Pfarrers Julius Steinmetz, Anfang der 1930er Jahre als NSDAP-Parteiredner tätig, verwiesen, der zum 1. Januar 1939 trotz seiner entgegengesetzten Bitten von der Kirchenleitung in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde; auch seine Einweisung zur Zwangsarbeit im November 1944 wurde offensichtlich nicht von der Kirchenleitung zu verhindern versucht. Bei Steinmetz wie auch anderen vom Arierparagraphen betroffenen Pfarrern, so T.s Resümee im ab­schließenden siebenten Kapitel, »schöpfte der Landeskirchenrat den Spielraum nicht aus, obwohl diese Pfarrer nach Lage der Dinge das Vertrauen ihrer Gemeinden besaßen« (427). Allzu schnell waren die Kirchenleitenden dazu bereit, sich bezüglich des Arierparagraphen an die Seite des Staates zu stellen, um diesem ihre Loyalität zu beweisen. Der Preis dafür war für die betroffenen Geistlichen und ihre Familien hoch; sie »empfanden sich besonders von ihren Vorgesetzten, aber auch von manchen Amtsbrüdern allein gelassen, preisgegeben oder stigmatisiert« (434) und trugen mitunter bis an ihr Lebensende an dieser Enttäuschung.
T.s Werk zeigt eine gelungene Kombination von überblickenden Passagen und illustrierenden Beispielen. Erstgenannte enthalten interessante Exkurse zu bislang in der Forschung kaum detailliert behandelten Facetten der bayerischen Kirchengeschichte in der NS-Zeit, wie etwa die differenzierte Interpretation des Gutachtens der Theologischen Fakultät Erlangen zum Arierparagraphen (1933), die ausführliche Besprechung des Ansbacher Ratschlags (1934) sowie die – gerade für die aktuellen Diskussionen um den ehemaligen Landesbischof Hans Meiser – interessante Darstellung der zeitgenössischen Rezeption seines Artikels »Die evangelische Gemeinde und die Judenfrage« (1926). Die Fallbeispiele werden nüchtern geschildert; zahlreiche Zitate, die T. durch intensives Quellenstudium auf breiter Basis herausgearbeitet hat, lassen die Schicksale der Geistlichen aber lebendig werden und wecken durch ihren gelungenen Einbau Betroffenheit beim Leser, ohne diese explizit herauszufordern.
T.s Buch bietet durch seine klare Unterteilung in Überblicks- und Beispielpassagen sowohl dem auf diesem Gebiet der Kirchengeschichte bewanderten Leser als auch dem Laien die Möglichkeit, aus dem Buch einen Erkenntnisgewinn zu ziehen. Hilfreich wäre mitunter eine nähere Beschreibung bzw. Kurzcharakteristik der in der Arbeit genannten Persönlichkeiten, etwa in Form von Biogrammen im Anhang. Formal wäre ein übersichtlicheres Inhaltsverzeichnis wünschenswert; manche Unterkapitel hätte man zusam­menfassen können. Diese marginalen Kritikpunkte ändern freilich nichts daran, dieses gut lesbare, mittlerweile prämierte Buch nachdrücklich weiterzuempfehlen; das in seiner Einleitung genannte Ziel, hier eine Forschungslücke in der bayerischen Kirchengeschichtsforschung schließen zu wollen, hat T. auf einem für den Leser äußerst gewinnbringenden und ansprechenden Weg er­reicht.