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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

328-329

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Bormuth, Daniel

Titel/Untertitel:

Die Deutschen Evangelischen Kirchentage in der Weimarer Republik.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 304 S. gr.8° = Konfession und Gesellschaft, 41. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-17-019968-2.

Rezensent:

Michael Klein

»Denn das absolut Gemeinte wird umso partikularer, je absoluter es seinen Anspruch erhebt.« (272) Mit diesem letzten Satz – einem Zitat von Kurt Nowak – umreißt Daniel Bormuth in seiner Monographie die Problematik, in der sich die Arbeit und überhaupt die Existenz der Deutschen Evangelischen Kirchentage in dieser Zeit vollzog. Das Werk ist die geringfügig für den Druck überarbeitete Fassung der von Jochen-Christoph Kaiser betreuten Dissertation. Sie erscheint nun als Band 41 der Reihe »Konfession und Gesellschaft«.
B., Pfarrer der Landeskirche von Kurhessen/Waldeck, unternimmt es, die Einrichtung der Evangelischen Kirchentage in der Weimarer Zeit hier erstmals monographisch darzustellen. Nach einer kurzen Hinführung zum Thema wird der Forschungsstand referiert und im Anschluss daran der konzeptionelle Ansatz entfaltet. Dieser versteht sich als integrativ, weil unterschiedliche his­toriographisch-methodische Zugriffsweisen miteinander verbindend (16), wobei jedoch der Schwerpunkt der Arbeit eindeutig als sozialgeschichtlich beschrieben wird. Die Problemkonstellation und Fragestellung schließt sich daran an: »Anhand der Kirchentage steht zu Debatte, ob sich der deutsche Protestantismus mehr analog zur Gesellschaft der Weimarer Republik oder eher abweichend von ihr organisiert und positioniert hat.« (20) Nach einem kurzen Hinweis auf methodische Überlegungen sowie die Quellenlage schließt die Einleitung mit einem Aufriss der Gliederung ab.
B. entfaltet in einem ersten Teil die Einigungsbestrebungen im deutschen Protestantismus von 1846 bis 1918 (28–89). Der zweite Abschnitt entfaltet »den Weg bis zur Konstituierung des ersten Kirchentages in Dresden« (90–122), bevor in Abschnitt drei »das Ringen um den kirchlichen Neubau in Dresden 1919« (123–153) beschrieben wird. B. schildert, wie die personelle Zusammensetzung des Kirchentages entgegen den liberalen volkskirchlichen Plänen eben kaum als repräsentative Vertretung der kirchlichen Bevölkerung oder gar als Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse betrachtet werden konnte. Liberale Elemente waren spärlich vertreten, sozialdemokratische Kräfte fehlten fast vollständig. Stattdessen vollzog sich die Selbststilisierung des Kirchentages unter dem kirchenoffiziellen national-konservativen Leitbild der Volkskirche. Die Dis­kussionen um Urwahlen in der Kirche zeigen dabei, mit welcher Reserviertheit man den neuen politisch-parlamentarischen Verhältnissen gegenüberstand. Die von B. im Schlusskapitel bilanzierte »sehr gebremste Modernisierung gesamtprotestantischer Verfassungsstrukturen« (261) zeichnet sich hier ab. Das vierte Kapitel »Die Gründung des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes« (154–178) zeichnet ebendiese Gründungsgeschichte und die rechtliche Fixierung der neuen Verhältnisse, wie sie sich seit 1918 entwickelt hatten, nach. B. weist darauf hin, dass sich mit der Gründung des Kirchenbundes weitergehende Erwartungen im Protestantismus de facto nicht erfüllt hatten, war doch »der Bund ... im Grunde nichts anderes als die zeitgemäße Umbildung der Eisenacher Konferenz der Deutschen Evangelischen Kirchenregierungen und ihres Ausschusses« (171). Zwar war der Deutsche Evangelische Kirchentag ein Organ dieses Kirchenbundes, aber er war eben alles andere als eine ›Reichssynode‹ (170).
Die folgenden Kapitel orientieren sich an den Kernthemen und den damit verbundenen Debatten auf den Kirchentagen Stuttgart 1921, Bethel 1924, Königsberg 1927 sowie Nürnberg 1930. Ein eigener Abschnitt zu »politischen Dauerthemen des Kirchentags 1919–1930« (188) wird eingeschoben. Auf dem Kirchentag in Stuttgart 1921 wird das Ressentiment der kirchenoffiziellen Stellen gegen­über dem Weimarer Verfassungsstaat und den für sie insgesamt günstigen Staatskirchenbestimmungen deutlich. Julius Kaftan sieht den religionslosen Staat gegeben, in dem die Gefahr bestehe, dass die deutsche Kultur zur ›bloßen Zivilisation‹ (181) im Sinne westlicher Provenienz herabsinke. Als Gegenkonzept wird die Kirche als Stellvertreter für den einstweilen nicht bestehenden christlichen Staat bemüht. Liberale Stimmen, wie die Martin Rades, gegen diesen Versuch, »die protestantische Kirche zum Kristallisationspunkt einer geistig-politischen Gegenkultur zu machen« (185), bleiben vereinzelt. Neben den von B. so bezeichneten Dauerthemen Schulfrage und Umgang mit der Kriegsniederlage bzw. der Kriegsschuldproblematik ist Bethel (1924) besonders durch seine »Soziale Kundgebung« bekannt geworden. Bei aller neu erwachten Offenheit und Verständnisbemühtheit gegenüber dem Anliegen der Arbeiter verlor sich die Kundgebung jedoch de facto in allgemein gehaltenen Situationsbeschreibungen, guten Ratschlägen und weitschweifigen Appellen. Das nächste Unterkapitel zeigt auf, wie die sozialkirchliche Arbeit des Protestantismus insgesamt Ende der 20er Jahre unter der Zurückhaltung der ›angebarteten Jugend‹ (227) noch weiter zurückging. Der Königsberger Kirchentag mit seiner »Vaterländischen Kundgebung«, der Versuch, in ihr altkonservative vaterländisch-monarchistische Haltung mit neukonservativ-revolutionär völkischem Denken zu verbinden, ist Kernpunkt der Ausführungen des folgenden Kapitels. Schließlich endet die Darstellung mit dem Kirchentag von 1930, der ganz unter dem Eindruck des Vierhundertjahresjubiläums des Augsburger Bekenntnisses der Frage nach der Gestalt der Kirche nachging.
Im Schlussteil seiner Arbeit bilanziert B. eine insgesamt geringe Reichweite der Arbeit und insbesondere der Verlautbarungen der Kirchentage der Weimarer Zeit. Er ordnet dies auf dem Hintergrund der ekklesiologischen Grundsatzentscheidungen ein, die dazu führten, dass sich die Deutsche Evangelische Kirche weitgehend als Gegenkultur zur weltanschaulich neutralen Weimarer Republik etablieren wollte. Damit ist jedoch auch die Grundproblematik – um nicht zu sagen die Aporie –, vor die sich der Protestantismus insgesamt und der Deutsche Evangelische Kirchentag im Besonderen gestellt sah, deutlich: Das, was von den einen als notwendige Mo­dernisierungsleistung gefordert wurde – eine de­mokratisch organisierte Kirche des Volkes in einer pluralistischen Gesellschaft –, wurde von den anderen weit in der Mehrzahl stehenden Kräften unter den kirchenoffiziellen Vertretern gerade als das angesehen, was es zu verhindern galt. So fügte sich der Protestantismus in den Kampf der Weltanschauungen der Weimarer Zeit ein.
Ein Blick auf die grundsätzliche geistesgeschichtliche Lage in dieser Zeit hätte dies noch deutlicher machen können. Nicht nur die Evangelische Kirche, sondern fast alle gesellschaftlichen Kräfte, so partikular sie im Einzelnen waren, boten ihren Mitgliedern eine umfassende Weltanschauung und damit auch eine Gegenkultur zu Weimar, die allgemein durchgesetzt werden sollte. Der Weimarer Staat, der all diesen Kräften Raum gab, aber neutral bleiben wollte, zog sich so von fast allen Seiten weltanschauliche Feindschaft zu, während die Liberalen in Kirche und Politik als Kraftzentrum zunehmend zerrieben wurden. So galt auch für die Kirchentage: Das »absolut Gemeinte wird umso partikularer, je absoluter es seinen Anspruch erhebt« (K. Nowak).