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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

318-319

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Nicéphore Blemmydès

Titel/Untertitel:

Œuvres théologiques. Tome 1. Intro­duction, texte critique, traduction et notes par M. Stavrou.

Verlag:

Paris: Cerf 2007. 363 S. 8° = Sources Chrétiennes, 517. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-2-204-08515-1.

Rezensent:

Annette von Stockhausen

Nikephoros Blemmydes war einer der herausragenden, wenn auch umstrittenen byzantinischen Gelehrten des 13. Jh.s. Für den Theologen von Bedeutung sind vor allem seine Schriften, die in die Verhandlungen mit den Lateinern über das filioque eingreifen. Vier dieser Schriften (die Fortsetzung der Edition ist bereits angekündigt) werden in diesem Band, der auf die Thèse de doctorat an der Universität Paris IV-Sorbonne im Jahr 2004 zurückgeht, von Michel Stravrou, Professor am orthodoxen Institut Saint-Serge in Paris, kritisch ediert und ins Französische übersetzt.
Der Edition geht eine ausführliche Einleitung (13–130) voraus, die den Forschungsstand zu Nikephoros Blemmydes gut zusam­menfasst. In ihr gibt Stavrou zunächst eine Einführung in den theologischen Diskurs zwischen Byzantinern und Lateinern zu Lebzeiten des Nikephoros Blemmydes (15–33), gefolgt von einer Vita (in zwei Kapiteln, 35–52 und 53–80) und einem kurzen Überblick über seine theologischen Schriften (81–84).
Wichtigstes Kapitel der Einleitung ist sicherlich die ausführliche Analyse der Pneumatologie des Nikephoros Blemmydes (93–121), dem ein kurzes Kapitel über die Geschichte ihrer kontroversen Rezeption vom 17. bis zum 20. Jh. vorausgeht (85–92). Die Pneumatologie des Nikephoros Blemmydes verdankt sich einer intensiven Väterlektüre und ist durch die Aufnahme der Formel »διὰ τοῦ υἱοῦ« gekennzeichnet, die sowohl unter byzantinischen als auch lateinischen Vorzeichen interpretiert werden konnte, so dass Nikephoros Blemmydes deswegen auch im Westen rezipiert wurde, im Osten aber zeitweise umstritten war. Abgeschlossen wird die Einleitung durch ein Kapitel, in dem Stavrou die Grundsätze seiner Edition und Übersetzung darlegt (123–130): Bei der Präsentation des Textes folgt er dabei dem von J.-A. Munitiz bei der Edition der Autobiographie des Nikephoros Blemmydes (CChr.SG 13, 1984) an­gewandten Prinzip einer handschriftengetreuen Orthographie und Interpunktion. Seine Übersetzung hat das Ziel, möglichst nahe am griechischen Text zu bleiben und die griechische pneumatologische Terminologie trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten konkordant wiederzugeben. Soweit das die Nicht-Muttersprachlerin beurteilen kann, ist ihm das wie die Übersetzung generell gut gelungen.
Auf den S. 173–360 folgen sodann Text und Übersetzung der in diesem Band edierten Schriften. Jedem Text geht eine Einleitung voran, in der Stavrou die Fragen nach Authentizität, Titel, literarischem Genus, Datierung, historisch-dogmengeschichtlicher Einordnung und Gliederung erörtert, die der Edition zu Grunde liegenden Handschriften präsentiert und – soweit es sich um mehrere Handschriften handelt – ein Stemma aufstellt. Dem Text und der Übersetzung sind drei Apparate beigegeben: ein (weitgehend negativ formulierter) textkritischer Apparat, ein Bibelstellen-Apparat und eine Kurzkommentierung, die die zitierten Väterstellen anführt und historische sowie theologiegeschichtliche Erläuterungen bietet. Die Übersetzung ist weiterhin durch Zwischenüberschriften ergänzt, die dem Leser die Gliederung verdeutlichen und einen schnellen Zugriff auf den Inhalt des jeweiligen Abschnittes bieten. Leider fehlt dem Band jegliches Register; wünschenswert wären vor allem ein Index der für die Ausbildung der Pneumatologie so wichtigen Väterstellen (Athanasius, Gregor von Nyssa, Basilius und Cyrill von Alexandrien) und ein Verzeichnis zumindest der pneumatologisch interessanten griechischen Begriffe. Es ist zu hoffen, dass dies im Folgeband nachgeholt wird. Ediert werden nun folgende (bis auf den letzten eher kurze) Texte in chronologischer Anordnung:
1. Eine in der handschriftlichen Überlieferung titellose, aber Nikephoros Blemmydes zu Recht zuzuschreibende Schrift an die von Papst Gregor IX. nach Byzanz entsandten Theologen aus dem Jahr 1234 (175–205). Stavrou gibt hier den von P. Canart (OCP 25, 1959, 310–325) auf der Basis zweier griechischer Handschriften und einer lateinischen Übersetzung erstellten Text mit einigen Verbesserungen von J.-A. Munitiz (BySl 51, 1990, 20–26) wieder.
2. Die Editio princeps der »hypothetischen Syllogismen« (207–233). Diese Schrift ist nur in einer einzigen Handschrift (C. Mos­quensis gr. Vlad. 250, 17. Jh.) überliefert und literarisch uneinheitlich. Überzeugend wird die Autorschaft des Nikephoros Blemmydes (im Titel als Νικηφόρος φιλόσοφος μοναχός bezeichnet) be­gründet und eine Datierung zwischen 1237 und (eher um) 1249 wahrscheinlich gemacht. Etwas unglücklich ist bei diesem Text an einigen Stellen (zu1,4; 8,16; 13,6) die Formulierung des textkritischen Apparates, an denen Athetesen Stavrous als Hinzufügungen der Handschrift ausgegeben werden.
3. Der Brief an Kaiser Johannes III. Vatatzes (235–273), zu datieren im Kontext des Dialogs von 1250. Es handelt sich um eine auf breiterer Handschriften-Basis durchgeführte Neuedition, der ein von Stavrou überzeugend hergeleitetes Stemma zu Grunde liegt.
4. Der pneumatologische Brief an Kaiser Theodorus II. Laskaris (275–353). Bei diesem Brief handelt es sich um die von Leo Allatius als »Oratio II« (Graecia Orthodoxa, 1652 [= PG 142,565–584]) herausgegebene Schrift, die nun ebenfalls auf breiterer handschriftlicher Basis neu ediert wird. Auf Grund eines bisher so nicht durchgeführten Vergleichs mit dem Brief an den Erzbischof Jakob von Bulgarien (= Oratio I) – beide Briefe werden in den Handschriften meist zusammen überliefert – kann Stavrou nun eine Datierung zwischen 1254 und Anfang 1256 wahrscheinlich machen.
Kritik ist allerdings an der Textkonstruktion und den daraus folgenden textkritischen Entscheidungen zu üben: Sehr problematisch ist, dass Stavrou sein Stemma in der Edition nicht herleitet, sondern nur auf einen noch nicht erschienenen Artikel verweist (299, Anm. 1); der Leser ist daher bei allen textkritischen Überlegungen auf Vermutungen angewiesen. Der Brief ist durch 15 Handschriften überliefert, von denen Stavrou acht (BCEIMOPS) eliminiert; dabei werden O und M ohne Begründung eliminiert, obwohl ihre Vorlage nach dem Stemma auf S. 299 nicht mehr vorhanden ist, für die Hyparchetypen ζ und η wird, ohne dass dies nachvollziehbar wäre, jeweils nur eine der davon abhängigen Handschriften verwendet (ζ: nur Q, nicht aber O; η: nur Y, aber nicht M). Nicht eliminiert wurde hingegen V, obwohl der Codex eine Abschrift von F ist: er sei »d’un interêt exceptionnel« (301). Außerdem sind einige textkritische Entscheidungen, die hier nicht im Einzelnen angeführt werden können, problematisch, da sie sich mit dem abgedruckten Stemma nicht vereinbaren lassen. Schließlich wäre die Lektüre des textkritischen Apparats sehr viel einfacher, hätte Stavrou dort auf die von ihm im Stemma verwendeten Siglen der Hyparchetypen zurückgegriffen; auch hier ist zu hoffen, dass dies im Folgeband noch geändert wird.
Stavrou hat mit dem ersten Band der »Œuvres théologiques« den Theologen Nikephoros Blemmydes und seine Pneumatologie über die bisherige Forschung zu ihm hinausgehend von Neuem ins Bewusstsein gebracht und dabei die Forschung durch die intensive Beschäftigung mit den bisher wenig bedachten bzw. unbekannten Texten weitergeführt. Leider zeigen sich aber bei der Texterstellung einige Mängel; es bleibt zu hoffen, dass der zweite Band in dieser Hinsicht besser wird.