Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1059–1061

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Saß, Gerhard

Titel/Untertitel:

Leben aus den Verheißungen. Traditionsgeschichtliche und biblisch-theologische Untersuchungen zur Rede von Gottes Verheißungen im Frühjudentum und beim Apostel Paulus

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995. 579 S. gr. 8° = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 164. Lw. DM 168,­. ISBN 3-525-53846-4

Rezensent:

Günter Haufe

Theologisches Leitmotiv der breit angelegten Arbeit ist die Erkenntnis von der bleibenden Erwählung Israels und der gemeinsamen christlichen und jüdischen Hoffnung. Ihr soll dadurch gedient werden daß der Vf. sich um ein vertieftes Verständnis der paulinischen Verheißungstexte auf dem Hintergrund frühjüdischer Texte bemüht. Das erscheint um so dringlicher, als weder die exegetische noch die systematische Diskussion bisher zu einem einheitlichen Verständnis des Begriffes "Verheißung" geführt hat. Letzteres ist dem Vf. so wichtig, daß er im I. Teil seiner Arbeit ("Zugänge", 11-49) den Leser mit dieser Diskussion im einzelnen vertraut macht, ohne daß freilich aus dieser Übersicht eine spezielle Problemstellung entwickelt wird. Deutlich wird allerdings, "daß eine umfassendere Behandlung der Traditionsgeschichte der Rede von der Verheißung Gottes im Frühjudentum noch aussteht" (28). Die entscheidende eigene Aufgabe sieht der Vf. in der Untersuchung der frühjüdischen und paulinischen Verheißungstexte hinsichtlich ihrer vielfältigen Kontexte.

Den Textanalysen vorangestellt wird in Teil II der Arbeit eine Einführung in die lexikalischen Grundlagen der Rede vom Verheißen Gottes (50-70). In erster Linie geht es um das griechische Lexem epaggelia/eppagelomai, in zweiter Linie um sachliche Synonyma wie hyposchesis/hypischneomai und horkos/omnyo. Epaggelia kann schon im Hellenismus neben seiner profanen Bedeutung den Gedanken eines verheißenden Gottes ausdrücken. Im griechischsprachigen frühjüdischen Schrifttum (spätere LXX-Schriften, Pseudepigraphen, Philo, Josephus) nimmt der theologische Sprachgebrauch zu, um dann im Neuen Testament (Paulus, Lukas, Hebr) ganz zu dominieren. Dem entspricht das Vorherrschen des theologischen Sprachgebrauches analoger hebräischer Lexeme in den rabbinischen Schriften. Leider nicht hinterfragt wird das bemerkenswerte Schweigen in den Qumran-Schriften. Entscheidend ist offenbar doch der zunehmende Sprachgebrauch im griechischsprachigen Judentum seit der Mitte des 2. Jh.s v. Chr.

Teil III der Arbeit (71-235) gelangt zum eigentlichen Thema: "Verheißung in den frühjüdischen Schriften". Nacheinander werden die Verheißungstexte der späten LXX-Schriften, der etwa zeitgleich entstandenen pseudepigraphen und apokryphen Schriften, der Schriften des Philo und Josephus, der apokalyptischen Schriften 4. Esra und syr. Baruch und der rabbinischen Literatur analysiert. Die Gliederung des Stoffes ergibt sich aus den jeweiligen Wortfeldern, mit denen die Rede von der Verheißung verbunden ist. Am Ende jeder Schriftengruppe werden die Einzelergebnisse nach wiederkehrenden sachlichen Gesichtspunkten ­ Geber der Verheißung, Empfänger und Inhalte sowie mögliche Bedingungen und Folgen aus den Verheißungen ­ zusammengefaßt. Insgesamt ergibt sich ein gemeinsamer Traditionshintergrund im hellenistischen Judentum, auf den unabhängig voneinander Männer wie Philo und Paulus zurückgreifen. Daß die Rede vom verheißenden Gott traditionsgeschichtlich auf die ältere alttestamentliche Rede vom Schwören Gottes zurückgeht, bleibt freilich eine kühne Behauptung. Die lapidare Feststellung von Schniewind/Friedrich (ThWBNT II, 575), daß es für das Wort epaggelia eine alttestamentliche Vorgeschichte nicht gibt, wird ihr weithin anerkanntes Gewicht behalten müssen.

Als entscheidende Verheißungsempfänger erscheinen im frühjüdischen Schrifttum Abraham und die Erzväter sowie David und Salomo, während Mose nur als Verheißungsmittler begegnet. Als genereller Empfängerkreis gilt einerseits Israel insgesamt, andrerseits (im apokalyptischen Schrifttum) die Gruppe der Frommen und Gerechten, die nicht an der Erwählung schuldig geworden ist. Wesentliche Verheißungsinhalte sind Land, Erbe und Ruhe, Nachkommenschaft und verschiedene Formen des segnenden und rettenden Handelns Gottes sowie die eschatologischen Heilsgüter, darunter jedoch weder Bund noch Geist. Als menschliche Antwort auf die Verheißungen wird ein gehorsames, gerechtes und frommes Leben erwartet. Daß Gott treu und zuverlässig zu seinen Verheißungen steht, ist dem Frühjudentum tragende Gewißheit.

Teil IV der Arbeit wendet sich Paulus zu (236-514). Das paulinische Schrifttum kennt für die theologische Rede von epag-gelia/epaggelomai insgesamt 23 Belege (profan nur 2Kor 9,5), die sich auf den 2. Korintherbrief (2), den Galaterbrief (11) und den Römerbrief (10) verteilen. Generell bemerkenswert ist, daß Paulus nirgends ausdrücklich von Erfüllung, wohl aber von Befestigung bzw. Bekräftigung der Verheißungen spricht. Soweit das Verheißungsmotiv nicht allgemein gefaßt ist (2Kor 1,20; Röm 9,4; 15,8; ähnlich Röm 1,2; 2Kor 7,1), ist es mit dem Abraham-Thema verbunden. Alle 23 Belege werden in einer weit ausholenden Kontextanalyse exegesiert. Unverkennbar ist das Bestreben, den Texten sachlich mehr abzuringen, als es die herkömmliche Auslegung für möglich hält. Daß der Vf. dabei gelegentlich der Gefahr der Überinterpretation zu erliegen droht, ist kaum zu übersehen. Entscheidend sind die wesentlichen Ergebnisse, zu denen er abschließend gelangt. Paulus knüpft eklektisch an unterschiedliche frühjüdische Traditionslinien an, wobei er keinen neuen Sprachgebrauch entwickelt. Am deutlichsten sind Parallelen zur Abraham-Argumentation bei Philo. Offen läßt der Vf. die Frage, ob judenchristliche Gegner Paulus das Verheißungsthema praktisch aufgenötigt haben, oder ob er zumindest 2Kor 1,20; Röm 1,2; 15,8 traditionellem judenchristlichen Sprachgebrauch folgt. Aus dem Fehlen des Themas in 1Thess, 1Kor, Phil und Phlm möchte er keine diesbezüglichen Schlußfolgerungen ziehen. Den Ausgangspunkt für Paulus allein bei der Antithetik von Verheißung und Gesetz (Gal 3; Röm 4) zu suchen, hält der Vf. jedenfalls für unangemessen. An einigen Stellen ersetze die epaggelia geradezu die Rede vom Bund. Eine weitere traditionsgeschichtliche Wurzel der paulinischen Rede vom Verheißen Gottes sieht der Vf. im deuterojesajanischen anaggelo und euaggellizomai. Sie hält fest, daß das Evangelium und mit ihm die Verheißung auch die Ansage eines noch zukünftigen Heilshandelns Gottes bleibt. Anders als in der jüdischen Traditionsgeschichte macht spätestens Röm 1,2 deutlich, daß für Paulus die Rede von der Verheißung die prophetische Botschaft einschließt, so gewiß die "messianischen Verheißungen" sonst nicht direkt im Blick sind. Von einer grundsätzlichen Entwicklung paulinischen Verheißungsdenkens kann keine Rede sein, bestenfalls von einer zunehmenden theologischen Durchdringung. Insgesamt ordnet es sich in den größeren Rahmen der paulinischen Schriftauslegung ein und kennt wie diese Elemente der Kontinuität und der Diskontinuität. Daß Paulus theologisch auf die Schrift prinzipiell auch verzichten könnte (so W. Schmithals), wird strikt abgelehnt. Solus Christus und sola scriptura gehören untrennbar zusammen. Epaggelia hat für Paulus (mit E. Käsemann) "zentrale theologische Bedeutung" (504). Sachlich gehört sie kaum in die Christologie, wohl aber in die Ekklesiologie (die Heiden als Empfänger der Verheißung), in die Eschatologie (das gegenwärtige Wirken des Geistes), in die Soteriologie (Antithetik von Verheißung und Gesetz). Letzteres darf aber ebensowenig überbetont werden wie der Gegensatz von Werke und Glaube. Gerade damit dürfte der Vf. nicht nur auf Zustimmung stoßen.

Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, daß eine straffere Durchführung der Arbeit dem ohne Zweifel wichtigen Thema zugute gekommen wäre. Die Konturen wären dann schärfer ausgefallen. Jetzt muß der kritische Leser darauf achten, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden.