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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

299-301

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jong, Matthijs J. de

Titel/Untertitel:

Isaiah among the Ancient Near Eastern Prophets. A Comparative Study of the Earliest Stages of the Isa­iah Tradition and the Neo-Assyrian Prophecies.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2007. XII, 522 S. gr.8° = Supplements to Vetus Testamentum, 117. Geb. EUR 119,00. ISBN 978-90-04-16161-0.

Rezensent:

Konrad Schmid

Die Arbeit geht zurück auf eine bei Arie van der Kooij geschriebene Leidener Dissertation aus dem Jahr 2006. Sie hat sich die Aufgabe vorgenommen, die mutmaßlich frühesten Stufen der Jesajaüberlieferung, die de J. mit der klassischen Jesajaforschung innerhalb von Jes 6–8 und 28–32 erblickt, mit den etwa zeitgleichen neuassyrischen Prophetien, deren Textcorpus in SAA 9 leicht zugänglich ist, zu vergleichen. Dabei geht die Arbeit so vor, dass sie nach einer Einführung (3–50), die jeweils einen kurzen Abriss zur Jesajaforschung (3–25) und zur kulturgeschichtlichen und komparatistischen Erforschung der Prophetie (25–38) sowie zum Ziel der Studie (38–50) enthält, zunächst die Jesajaprophetie und die neuassyrische Prophetie getrennt analysiert und darstellt (53–170 und 170–188), wobei die ungleiche Behandlungsbreite vor allem den Unterschieden im textlichen Umfang sowie in der forschungsgeschichtlichen Durchdringung geschuldet ist. Ein nächster Abschnitt widmet sich dem »Historical Setting« beider Überlieferungblöcke, um die Interaktion zwischen Prophetie und geschichtlichen Ereignissen rekonstruieren zu können (191–249 und 249–285). Daraufhin untersucht die Arbeit die kultischen, politischen und sozialen Funktionen und Vernetzungen der neuassyrischen Prophetie (287–318) sowie der Jesajaprophetie (318–351), um dann den Weg »From Prophecy to Literature«, wiederum getrennt nach den beiden Überlieferungsbereichen, nachzuzeichnen (357–442). Ein abschließender Teil bietet »Summary and Conclusions« (445–463). Als Anhang beigegeben ist schließlich ein »Schema of the Development of the Isaiah Tradition« (465 f.).
Man mag sich zunächst fragen, was eine neuerliche monographische Untersuchung von Protojesaja, näherhin von Jes 6–8 und 28–32, nach den Arbeiten von Jörg Barthel, Uwe Becker, Friedhelm Hartenstein und den neueren Kommentaren von Beuken und Blenkinsopp denn noch an beachtenswerten Resultaten erbringen soll. Die möglichen und denkbaren Positionen scheinen bezogen zu sein (man vergleiche etwa die vergleichende Darstellung von M. Köckert, U. Becker, J. Barthel, Das Problem des historischen Jesaja, in: I. Fischer u. a. [Hrsg.], Prophetie in Israel, Beiträge des Symposiums »Das Alte Testament und die Kultur der Moderne« anlässlich des 100. Geburtstags Gerhard von Rads [1901–1971], ATM 11, Münster 2003, 105–135); eine weitere Diversifizierung der Forschung ist kein Desiderat, entscheidende neue Perspektiven sind nicht wirklich in Sicht.
Gleichwohl ist festzuhalten, dass de J.s Buch sehr konzise gearbeitet und formuliert ist und einen ebenso beachtenswerten wie weiterführenden Beitrag sowohl zur Erforschung des Jesajabuchs als auch des Phänomens altorientalischer und altisraelitischer Prophetie darstellt. Der Grund dafür liegt in der historisch ausgewogenen und textnahen Exegese der untersuchten Jesajapassagen und in dem kompetenten Blick de J.s auf die neuassyrischen Prophetien. Der neue Beitrag, den de J. zur Jesajaexegese leistet, besteht in einer differenzierten Rekonstruktion der königszeitlichen Re­daktionsgeschichte des Buches, der überzeugenden Herausarbeitung der Transformation, der das Jesajabuch im Zuge des Untergangs Judas und Jerusalems 587 v. Chr. unterzogen worden ist, sowie dem komparatistischen Blick auf neuassyrische Parallelüberlieferungen.
Die wichtigste Grenze von de J.s Untersuchung ist nicht ihr selbst anzulasten, sondern darin begründet, dass der Überlieferungsbefund und der Inhalt der Jesajatexte sehr stark von den als Vergleich herangezogenen neuassyrischen Texten abweicht. Es ist deshalb auch angemessen und nicht überraschend, dass für die Analyse der Protojesajaüberlieferung knapp 120 Seiten aufgewendet werden (53–170), während der entsprechende Arbeitsschritt für die neuassyrischen Prophetien 100 Seiten knapper ausfallen kann (170–188).
Der Vergleich als solcher zeitigt, nicht ganz unerwartet, keine bahnbrechenden Resultate (vgl. die Zusammenfassung, 463: »Prophetic oracles relate to particular historical circumstances«, »Proph­ets served as mouthpieces of the gods«, »Prophecies were recorded, in collections and otherwise, and in some cases became the subject of reworking and elaboration«; vgl. auch 456–458), auch der ab­schließende Schlusssatz »The historical Isaiah is to be counted among the ancient Near Eastern prophets« (463) ist zwar richtig, kommt aber streng genommen methodisch kaum über den Status einer petitio principii hinaus. Wesentlich wichtiger sind die vorgetragenen Erkenntnisse zur historischen Interpretation der ältesten Jesajatexte. De J. geht zu Recht davon aus, dass assyrerzeitliche Texte innerhalb von Protojesaja nicht ohne Weiteres identifiziert werden können, sondern mittels bestimmter Kriterien rekonstruiert werden müssen.
Am sichersten erscheinen ihm zeitgeschichtliche Anspielungen in Jes 1–39 auf Ereignisse der zweiten Hälfte des 8. Jh.s (447). Be­sonders drei Episoden sind als relevant erkennbar: 1. die syro-ephraimitische Krise von 734–732 v. Chr., der sich Worte gegen die Bedränger Judas, Ephraim und Aram, zuordnen lassen (7,2–9a*; 7,14b.16; 7,20; 8,1–4; 17,1b–3); 2. Sargons Feldzug von 720 v. Chr., auf den sich die Drohworte gegen die Philister und Samaria sowie einige der antiassyrischen Aussagen in Jes 10 beziehen (14,29.31; 28,1–4; 10,5–9.13–15; 10,24 f.; 10,27b–32), und 3. die Kontroverse um die Frage, ob mit Ägyptens Hilfe eine Rebellion gegen Assur möglich sei oder nicht, die in die Jahre 713–711 und 705–701 v. Chr. gehört (28,7b–10; 28,14–18*; 29,15; 30,1–5*.6b–8; 31,1.3a; vgl. auch 18,1–6*; 19,1–4; 22,15–18 und 5,8–23* sowie 10,1 f.). Ebenfalls noch assyrerzeitlich, aber nachjesajanisch ist – hier folgt de J. der Studie von H. Barth, Die Jesaja-Worte in der Josiazeit (WMANT 48, Neukirchen-Vluyn 1977) – eine durchgreifende Revision dieses älteren Textguts in der Josiazeit anzusetzen, die von der Zerstörung Assurs durch Jhwh (10,16–19; 10,26a.27a; 10,34 f.; 14,24–27; 30,27–33; 31,4 f.8 f.) und der gleichzeitigen Restauration Judas spricht (9,1–6; 11,1–5; 32,1 f.). De J. rechnet damit, dass die ältesten Jesajatexte – entsprechend ihren Ursprungssituationen – in drei Sammlungen organisiert waren und dass noch ihre josiazeitliche Redaktion im Rahmen dieser Sammlungen erfolgte, die einen je vergleichbaren, dreigliedrigen Aufbau zeigen: »A dating formula, followed by an account demonstrating Isaiah’s commission«, »A series of eight-century prophetic words, with seventh-century comments added«, »A portrayal of the reign of an ideal king (9:1–6, 11:1–5, 32:1–2).« (449)
Absichern lässt sich diese Abgrenzung nach de J. durch die Beobachtung, dass das sachliche Profil und auch die formale Gestaltung dieser Texte sich deutlich von exilischen und noch späteren Überarbeitungen abheben. Erst in dieser Zeit wird »Jesaja« zu einem Unheilspropheten, der Gericht nicht nur gegen das Nordreich (8,1–4; 28,1–4), sondern gleicherweise gegen Israel und Juda (vgl. 8,5–8; 29,1–4) ankündigt und der nicht nur die führenden Schichten, sondern das Volk insgesamt anklagt. Die Beauftragung in 6,1–8 wird nun um den Verstockungsauftrag 6,9–11 erweitert, erstmals wird im 6. Jh. v. Chr. überhaupt aus der Verbindung der älteren Jesaja-»Sammlungen« ein zusammenhängendes »Buch« geschaffen.
Bezüglich der umstrittenen Literarkritik von Jes 6 bringt de J. neue Beobachtungen bei, die geeignet sind, die literarhistorische Differenzierung von 6,1–8 einerseits und von 6,9–11 andererseits zu stützen (77 f.). De J. erkennt richtig, dass 6,1–8 stark von Gerichtsmetaphorik geprägt ist, er sieht aber das hier anvisierte Gericht nicht auf Juda, sondern auf dessen Feinde bezogen. 6,1–8 gehört zur josiazeitlichen Reinterpretation der Jesajatradition, ist also ein noch königszeitlicher Text, bildet ursprünglich aber keine Unheilsansage gegen Juda.
Die Untersuchungen zu den neuassyrischen Prophetien können hier nicht eigens gewürdigt werden, für sie muss auf das Buch selbst verwiesen werden. Es bleibt festzuhalten, dass de J.s Buch zu den wichtigsten Beiträgen der jüngeren Jesaja- und Prophetenforschung zu zählen ist, das die Aufmerksamkeit der Fachdiskussion zweifellos auf sich ziehen wird.