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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

297-298

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Diesel, Anja Angela

Titel/Untertitel:

»Ich bin Jahwe«. Der Aufstieg der Ich-bin-Jahwe-Aussage zum Schlüsselwort des alttestamentlichen Monotheismus.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2006. XIII, 425 S. 8° = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 110. Geb. EUR 64,90. ISBN 978-3-7887-2138-1.

Rezensent:

Reinhard Müller

D.s Buch ist die gekürzte Fassung einer 2005 vollendeten Mainzer Dissertation, die bei Diethelm Michel (†) und Wolfgang Zwickel entstanden ist. Die These steht im Untertitel: Der Satz anî Yhwh wurde im Lauf seiner Geschichte zu einem »Schlüsselwort des alttestamentlichen Monotheismus«. D. wendet sich gegen die Deutung als »Selbstvorstellungsformel«, die auf Walther Zimmerlis Aufsatz »Ich bin Jahwe« von 1953 zurückgeht: anî Yhwh dient fast nie der Selbstvorstellung eines vorher unbekannten Gottes. Um zu bestimmen, was die Aussage stattdessen leistet, setzt D. mit Überlegungen zum Nominalsatz an, die auf Untersuchungen ihres Lehrers Michel fußen. Sie zeigen die syntaktische Offenheit der Aussage: Entweder geht das Gefälle vona zum Namen Yhwh; in diesem Sinn bringt der Satz Jahwes Ich mit größtmöglichem Gewicht zur Geltung, was einen polytheistischen Hintergrund voraussetzt. Oder der Schwerpunkt liegt aufa; der Satz ist dann als »Nur ich bin Jahwe« zu verstehen, wobei der Gottesname die Bedeutung »der allein in Schöpfung und Geschichte Wirksame, ... der alleinige Gott« (378) erhält. In diesem Sinn erwies sich die Formel in exilisch-nachexilischer Zeit als geeignet, Israels Identität in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu begründen.
Nach einer problemorientierten Darstellung des Forschungsstandes (13–36) wird das grammatische Fundament der Untersuchung gelegt (37–93). D. übernimmt Theorie und Begrifflichkeit Michels: Statt von »Subjekt« und »Prädikat« ist – mit der arabischen Nationalgrammatik – die Rede von »Mubtada« und »Chabar«: Mubtada ist der bereits bekannte Anknüpfungspunkt, Chabar das Neue. anî Yhwh zählt wegen der zwei determinierten Glieder zu den »Nominalen Behauptungen«, für deren syntaktisch unabhängige Form Michel die Satzteilfolge als Chabar – Mubtada bestimmte (z. B. 2Sam 12,7: »Du bist der Mann!«). Die für D.s Untersuchung entscheidende Frage ist, ob diese Folge auch bei anî Yhwh vorliegt.
Die Analyse vergleichbarer Nominalsätze zeigt, dass in Sätzen mit dem Pronomen der 1. Sg. und einem Eigennamen das Pronomen nur an erster Stelle begegnet. Für die Satzteilfolge bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder ist der Name Chabar; die Aussage bringt dann allerdings meist einen bereits bekannten Sachverhalt zum Ausdruck: Derartige Sätze dienen in der Regel keiner Selbstvorstellung, sondern der Selbstidentifikation, wenn die Umstände verhindern, dass der Redende wiedererkannt wird (wie in Ruth 3,9; Gen 27,19; 45,3). Oder das Pronomen ist Chabar, wie D. besonders in Gen 45,4 erschließt: »Der Josef, den ihr nach Ägypten verkauft habt, das bin ICH (und niemand sonst).« (61) Eine entsprechende Aussage bietet Jes 41,10: »Denn ich (=nur ich/ich allein) bin dein Gott.« (76) Welche der beiden Möglichkeiten gilt, muss vom Zusammenhang her entschieden werden.
Die Exegese von Ex 6,2–8 (95–118) lässt die theologische Tragweite der syntaktischen Analyse erkennen.anî Yhwh ist die sachliche Mitte des Abschnitts, wobei sich die Mehrdeutigkeit des Satzes als Schlüssel erweist: In der Eröffnung der Gottesrede an Mose (V. 2) ist der Name »das Neue«; im Zusammenhang von P dient Ex 6,2 tatsächlich Jahwes Selbstvorstellung. In V. 6–8 erhältanî Yhwh jedoch einen anderen Sinn: Der Satz wird mit der Ankündigung des Exodus und der Bundesformel verknüpft. Der Gottesname wird in­haltlich gefüllt, indem er auf Jahwes geschichtliches Handeln an seinem Volk bezogen wird.
Es folgt ein Überblick über »Ich-bin-Aussagen« im Alten Orient (119–186). Anhand phönizischer, akkadischer, ägyptischer, hethitischer und sumerischer Textbeispiele zeigt D., dass »Ich-bin-Aussagen« nicht auf eine Gattung festgelegt sind und Verschiedenes leisten können: Die echte Selbstvorstellung ist nur eine selten belegte Möglichkeit; viel häufiger geht es um »Selbstpräsentation« (166). Die meisten »Ich-bin-Aussagen« stehen in Königsinschriften, in denen sie den leiblich nicht anwesenden König in größtmöglicher Machtfülle vergegenwärtigen.
Anschließend untersucht D. alle alttestamentlichen Belege von anî Yhwh (187–367; mit Ausnahme der Erkenntnisaussage, die nur teilweise herangezogen wird) und entwickelt eine Geschichte der Formel (374–383): Der ursprünglichen Verwendung entsprechen die nichtpriesterschriftlichen Belege des Pentateuch (z. B. Gen 28,13), die den Ištar-Orakeln nahestehen. Der »exklusive Anspruch« (378) zeigt sich zuerst im vorexilischen Hoseabuch (12,10/13,4), woanî Yhwh einen monolatrischen Sinn hat. Seit dem Exil bildet sich das monotheistische Verständnis aus: Bei Ez setzt die Formel Jahwes alleinige Geschichtswirksamkeit voraus und bei DtJes bringtanî Yhwh Jahwes alleiniges Gottsein polemisch zugespitzt zum Ausdruck. Höhepunkt der Umformung ist P, wo die Formel die »Einzigkeit Jahwes ... als Ergebnis sukzessiver Selbstoffenbarung« entfaltet (382). Sachlich auf derselben Ebene liegen der Dekalog, wo aus dem »Ich allein bin Jahwe, dein Gott« das Erste Gebot »als logische Konsequenz« (228) folgt, und das Heiligkeitsgesetz, in dem ein Zusammenhang zwischen dem inanî Yhwh enthaltenen Anspruch auf »Ausschließlichkeit« (275) und den auf Abgrenzung zielenden Geboten besteht.
Durch D.s Studie ist die Deutung vonanî Yhwh als Selbstvorstellungsformel widerlegt. D. weist zudem überzeugend nach, dass anî Yhwh syntaktisch auf zweierlei Weise verstanden werden kann.
Eine Aussage »Nur ich bin Jahwe« ist freilich nur dann sinnvoll, wenn sich die Semantik des Gottesnamens so tiefgreifend gewandelt hat, dass sie mit dem Begriff für »Gott« zusammenfällt, wie in Jes 45,21 f. die Paralleleanî ’el zeigt (cf. 329 f.). Das leuchtet nicht bei allen Stellen ein, für die D. diesen Sinn behauptet: Wichtigstes Beispiel ist der Dekalog, der noch nicht ausschließt, dass es andere Götter gibt (cf. 228, Anm. 137), sondern Jahwes alleinige Verehrung im Blick auf seine Rettungstat beim Exodus gebietet: In Ex 20,2/Dtn 5,6 ist »Jahwe, dein Gott, der ich dich herausgeführt habe ...« – und nicht das Pronomen – Prädikat. Dass D. die verwandten Belege Hos 12,10/13,4 als »Ich allein/nur ich bin Jahwe, dein Gott von Ägyten [sic] her ...« (361) übersetzt, aber monolatrisch versteht, ist in sich widersprüchlich: Wer sonst hat beansprucht, Jahwe zu sein? Grundsätzlich kann gefragt werden, ob das betonte »Ich« (Gen 45,4: »Ich bin Josef ...«) notwendig dasselbe ist wie ein »Ich allein«.
Die syntaktische Analyse wirkt bisweilen schematisch: Abgesehen von wenigen nichtpriesterschriftlichen Belegen in Gen und Ex wird die Satzteilfolge fast ausschließlich als Chabar – Mubtada bestimmt. Das neben dem Gottesnamen oft vorhandene dritte Element (»dein Gott« etc.) wird stets als Apposition ohne syntaktisches Eigengewicht gewertet.
Außerdem ist zu fragen, ob D. das Gewicht der Formgeschichte nicht unterschätzt: Die Königsinschriften bleiben gerade bei der Präambel des Dekalogs der entscheidende Verständnishorizont (cf. 237). Entsprechendes gilt, wenn bei DtJes die Gattung des Heilsorakels übernommen wird. Mit der monotheistischen Deutung könnte inanî Yhwh mehrfach zu viel hineingelesen und die Formel von ihrem ursprünglichen Sinn und Sitz im Leben zu scharf getrennt sein. D. hat gut erkannt, dass »Ich-bin-Aussagen« im Alten Orient dazu dienten, königliche oder göttliche Sprecher zu vergegenwärtigen. Dieser Sinn dürfte auch im Alten Testament häufiger gegeben sein, als D.s Darstellung nahelegt.
D.s umfangreiche und gründliche Untersuchung ist die erste Monographie zuanî Yhwh, deren anregende These zu Auseinandersetzung und Weiterarbeit einlädt.