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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

293-295

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bar-Efrat, Shimon

Titel/Untertitel:

Das Erste Buch Samuel. Ein narratologisch-philologischer Kommentar. Aus dem Neuhebr. übers. v. J. Klein.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 379 S. gr.8° = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 176. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-17-019965-1.

Rezensent:

Wolfgang Oswald

Anzuzeigen ist ein Werk des israelischen Bibelwissenschaftlers Shimon Bar-Efrat, dessen Arbeiten in letzter Zeit mit gewisser Verzögerung auch im deutschsprachigen Raum immer mehr Aufmerksamkeit finden. Zunächst erschienen sein erzähltheoretisches Werk »Wie die Bibel erzählt« (Neukirchen-Vluyn 2006 [Tel Aviv 1979, Sheffield 1989]) sowie die Kurzfassung »Die Erzählung in der Bibel«, in: Utzschneider/Blum (Hrsg.): Lesarten der Bibel, Stuttgart 2006, jetzt ist es möglich, seine Arbeitsweise in Gestalt einer Kommentierung des Ersten Samuelbuches im exegetischen Vollzug kennenzulernen. Es handelt sich um einen »narratologisch-philologischen Kommentar« – so der Untertitel –, der bereits 1996 in der Kommentarreihe »Mikra Leyisrael« auf Hebräisch erschienen ist und von Johannes Klein jetzt in ein klares Deutsch übersetzt wurde, das die Sprache des Vf.s gut wiedergibt.
Eine ausführliche Einleitung von fast 50 Seiten behandelt beide Samuelbücher, woraus der geneigte Leser schließen mag, dass auf den vorliegenden noch ein zweiter Band folgen wird. Der ist auch beim Verlag angekündigt, dass jedoch im Titel und im Vorwort jeder Hinweis darauf fehlt, irritiert ein wenig. Die Einleitung (11–58) befasst sich neben den klassischen Einleitungsthemen wie Aufbau, Entstehung und Textüberlieferung des Buches auch mit der Auslegungsgeschichte und der Rezeption des Samuelbuches in den Künsten.
Den Hauptteil bildet die abschnittsweise Kommentierung, wo­bei zunächst jeweils der Abschnitt als Ganzer ausgelegt wird und anschließend philologische Bemerkungen zu einzelnen Wörtern und Formulierungen gegeben werden. Der Zuschnitt dieses Kommentars stellt mit Sicherheit ein Novum in der exegetischen Landschaft dar. Zum einen verzichtet er auf klassische Elemente wissenschaftlicher Kommentare: Literarkritik, Religionsgeschichte, his­torische Fragen, Anmerkungsapparat. Zwar weist der Vf. durchaus immer wieder kurz auf die verschiedenen, in der Forschung kursierenden literargeschichtlichen Hypothesen hin, misst ihnen aber für seine Kommentierung keinen Wert bei. Auf der anderen Seite sind alle Wörter und Sätze, die erläutert werden, in unvokalisiertem Hebräisch beigegeben, und auch die philologischen Erklärungen selbst erfordern nicht geringe Hebräisch-Kenntnisse. Der potentielle Leserkreis wird dadurch natürlich erheblich eingeschränkt und man kann nur hoffen, dass sich der eine oder die an­dere von der Qualität der Kommentierung dazu anregen lässt, die ungewohnten Leseanforderungen zu meistern.
Den angemessenen Umgang mit biblischen Erzähltexten bringt der Vf. in der Einleitung – zum Abschluss seiner Charakterisierung Davids – auf den Punkt: »In einem literarischen Werk, auch wenn es sich mit historischen Gestalten beschäftigt, sind die Figuren so zu betrachten, wie sie dargestellt sind, nicht wie sie vielleicht in Wirklichkeit waren. Möglicherweise ist die Beschreibung tendenziös, jedoch widerspiegelt jede Beschreibung, egal ob literarisch oder historiographisch, die persönliche Sicht des Verfassers« (24). Diese Sätze mögen allen, die historische Gestalten bewusst su­chen oder unbewusst vor Augen haben, ins Stammbuch ge­schrieben sein. Schade nur, dass der Vf. die divergierenden persönlichen Sichtweisen, die in den verschiedenen literarischen Schichten des Sa­muelbuches ihren Niederschlag gefunden haben, nur ansatzweise dargelegt.
Die narratologische Kommentierung konzentriert sich auf die Beschreibung kleiner Einheiten, etwa von Dialogen, oder gar nur einzelner Sätze, die Narratologie größerer Zusammenhänge, etwa des Plots oder von Szenenfolgen, steht demgegenüber zurück. Größere Zusammenhänge beschreibt der Vf. im Horizont einer kanon-orientierten Intertextualität, die literargeschichtlich nicht weiter differenziert. So arbeitet er etwa die Bezüge zwischen 1Sam 7 und dem Richterbuch sehr klar heraus (131), freilich ohne auf die Hypothese eines deuteronomistischen Geschichtswerks einzugehen. Zur Erklärung der bekannten Widersprüche zwischen 1Sam 17 und dem Kontext gibt der Vf. dagegen eine detaillierte literargeschichtliche Erklärung, wobei er sich für eine Zwei-Quellen-Hypothese entscheidet: eine Erzählung, die auch in die Septuaginta Eingang gefunden hat und mit dem Vorkontext übereinstimmt, und eine zweite, die dazu im Widerspruch steht (234).
Das Urteil des Vf.s über 1Sam 7 mag als Beispiel für seine Arbeitsweise dienen: »Diese Erzählung besitzt keine herausragende schriftstellerische Qualität. Es gibt keinen Dialog, und die direkte Rede nimmt nur geringen Raum ein. Die beschriebenen Ereignisse sind ziemlich allgemeiner Natur und dienen hauptsächlich der Vermittlung ideeller Inhalte, die, wie üblich in biblischen Erzählungen, nicht auf direkte Weise ausgedrückt werden« (131). Im diachronen Paradigma würde man sagen: Hier presst der Verfasser des DtrG seine geschichtstheologische Konzeption in einen Text, der nur rudimentäre narrative Eigenschaften aufweist. Aber der Verzicht des Vf.s auf derartige Beschreibungskategorien hat auch ein Gutes: Die literarische Beschreibung dient nicht der Stützung einer literargeschichtlichen Hypothese, sondern steht für sich selbst. Die Wahrnehmung des Lesers bleibt für eine längere Zeit ungestört auf der vorliegenden Textgestalt ruhen, weitergehende Schlüsse sind jedoch selbstverständlich erlaubt und werden durchaus auch angeregt.
Was beim Vf. zu kurz kommt, ist die politische Dimension der Texte. Dass die Erzählungen des Samuelbuches Ausdruck eines Konflikts zwischen Juda und Benjamin sind, dass die Judäer mit diesen Erzählungen eine Apologie der Davididen liefern – all dies gewinnt in den Auslegungen des Vf.s kaum Profil, für ihn steht im Samuelbuch ganz allgemein »der Mensch im Zentrum« (11).
Die Arbeitsweise des Vf.s. in den philologischen Erläuterungen besteht in erster Linie in Hinweisen auf vergleichbare Schriftstellen, die Besonderheiten oder Schwierigkeiten der vorliegenden erklären können, Verweise auf wissenschaftliche Grammatiken feh­len dagegen ganz, textkritische Diskussionen weitgehend. Im­mer wieder greift der Vf. Erklärungen traditioneller jüdischer Ausleger auf (Raschi, Abrabanel, Kimchi u. a.), aber auch gar nicht traditionelle wie Spinoza (zu 1Sam 13,1) kommen zu Wort. Die jüdischen Ausleger werden nicht aus traditionalistischen Gründen, sondern wegen ihres Erklärungswertes herangezogen.
Dieser Kommentar unterscheidet sich von den anderen deutschsprachigen natürlich durch die literaturwissenschaftliche Herangehensweise, die ihm einen Platz in der Kommentarlandschaft sichern wird. Aber auch gegenüber ähnlichen, englischsprachigen Werken bietet er Eigenes: Robert Alters »The David Story« (New York 1999) ist knapper, ohne philologische Erläuterungen, und in seinen Kommentierungen etwas belletristischer angelegt. Und gegenüber Jan P. Fokkelmans »Narrative Art and Poetry in the Books of Samuel« (Assen 1981–1993) ist der Ansatz des Vf.s nicht strukturalistisch, sondern funktional ausgerichtet, und anders als die bisweilen zum Psychologisieren neigenden Ausführungen des Niederländers be­stechen die Erklärungen des Vf.s durch treffsichere Kürze.