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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

289-291

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Houtman, Cornelis, u. Klaas Spronk

Titel/Untertitel:

Jephta und seine Tochter. Rezeptionsgeschichtliche Studien zu Richter 11,29–40.

Verlag:

Berlin: LIT 2007. 194 S. gr.8° = Altes Testament und Moderne, 21. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-8258-0846-4.

Rezensent:

Renate Jost

Cornelis Houtman und Klaas Spronk legen mit diesem Band ein lesenwertes Buch zu einem bekannten Text vor. Zu Recht gehen sie davon aus, dass die Bibelauslegung nicht nur das Privileg Gelehrter innerhalb der Mauern der Universität und der Prediger auf der Kirchenkanzel ist, sondern auch am Schreibtisch von Romanschreibern, Poeten, Komponisten und Künstlern in Hollywood geschieht.
Dabei nehmen sie den Begriff »Auslegung« sowohl für reproduzierende als auch für produzierende Auslegung, sowohl für die Rezeption als auch die Wirkung einer Erzählung auf. Für diesen methodischen Zugang bietet sich die Erzählung von Jephta und seiner Tochter in besonderer Weise an, da diese »Story« viele Leerstellen beinhaltet, die zu Ergänzungen anregen, und unend­liche Variationen der Interpretation eröffnet.
In den zehn Kapiteln der Studie werden Rezeptionen von Jephta und seiner Tochter aus unterschiedlichen Perspektiven und methodischen Zugängen dargestellt: im Urteil der Bibelwissenschaft, in feministischer und psy­choanalytischer Auslegung, in früher Auslegung, in Katechesebüchern und Predigten, in Familienbibeln, in Literatur vergangener Jahrhunderte, in moderner Literatur, auf der Bühne, in der Musik und in der bildenden Kunst. Ein solches Unterfangen kann nicht erschöpfend geschehen, deswegen haben die Autoren nur ausgewählte Beispiele aus den verschiedenen Bereichen dargestellt. Der besondere Kontext bzw. Sitz im Leben der Autoren kommt darin zum Ausdruck, dass vor allem in den Katechesebüchern und Predigten sowie in den Familien­bibeln fast ausschließlich auf niederländische Literatur Bezug ge­nommen wird. Doch gehen sie davon aus, dass die Auswahl des Materials repräsentativ sei für die Art und Weise, wie die Geschichte von Jephta und seiner Tochter in der erbaulichen Literatur, auch in anderen modernen Sprachen, zur Darstellung komme, und sehen die von ihnen analysierten Texte als exemplarisch an. Eine Untersuchung der Rezeption der Erzählung von Jephta und seiner Tochter, die über exegetische Studien hinausgeht, war und ist schon lange ein wichtiges Desiderat. Hierzu hat das vorliegende Buch einen guten Einstieg geliefert.
Das Buch ist flüssig geschrieben und bietet an vielen Stellen anschaulich das Material dar. Das trifft vor allem auch auf die Darstellung der modernen Literatur zu, die ich für besonders gelungen halte. Forschungen aus der Bibelwissenschaft können in einem solchen Buch, das einschließlich des Namensregisters 194 Seiten umfasst, nur knapp vorkommen. Davon aber die feministischen Interpretationen abzutrennen, als gehörten diese nicht zur Bibelwissenschaft, halte ich allerdings für methodisch fragwürdig. Ebenso problematisch ist es, hier nur die besonders provozierenden Beispiele auszuwählen und feministische und psychoanalytische Auslegungen in ein gemeinsames Kapitel zu bringen. Feministische Exegese hat sich inzwischen zu einem sehr differenzierten Zweig theologischer Wissenschaft mit unterschiedlichen metho­dischen Zugängen entwickelt. Dennoch ist positiv zu bewerten, dass die Autoren überhaupt feministische Bibelauslegungen be­rück­sichtigen. Eine Aufnahme neuester Literatur zum Thema, die auch die Integration unterschiedlicher methodischer Ansätze reflektiert (vgl. Jost, Gender, Sexualität und Macht in der Anthropologie des Richterbuches, Gütersloh 2006), wäre wünschenswert gewesen. Dies gilt auch für die Aufnahme jüdischer Traditionen.
Abschließend kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass »die Metamorphose von Vater und Tochter, mit der der gegenwärtige Leser in verschiedenen Literaturarten konfrontiert werden kann, die Folge eines veränderten Umgangs mit der biblischen Erzählung« sei (183). Zuzustimmen ist der Auffassung, dass die jewei­ligen Autoren und Autorinnen ihr Weltbild mit in die Interpretation des Textes hineingenommen haben. Das trifft sowohl für die Auslegenden vergangener Jahrhunderte als auch für die modernen, weniger konfessionell gebundenen feministischen und psychoanalytischen Auslegungen sowie die Romanliteratur vergangener Jahrhunderte und der Gegenwart zu. Sie alle sind vielfältige Variationen eines biblischen Themas. Während die einen ihre konfessionelle Bindung hineintragen, nehmen die anderen stärker ihr neuzeitliches Weltbild auf. In jedem Fall wird aber das Bemühen um ein Verständnis des Textes mit den kulturellen Auffassungen der jeweiligen Zeit verbunden. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Autoren das damit verbundene hermeneutische Problem stärker reflektiert und zum Ausdruck gebracht hätten.
Das Anliegen der Auslegenden kommt in der Schlussbemerkung ihres Buches zum Ausdruck. Dort wird das Interesse deutlich, den Blick von dem tragischen Leben der jungen Frau, die früh durch das Verschulden ihres Vaters sterben musste, wieder auf den Vater zu lenken: »Wenn aber jemand die Qualifizierung tragisch verdient, dann ist es doch ihr Vater Jephta, der Mann, der uns in der Auslegung verschiedentlich als ein verzweifelter Mensch vor Augen gestellt wird, der, als er mit der Konsequenz seines Gelübdes konfrontiert wird, völlig außer sich ist, von Gewissensbissen ge­quält wird und der nach dem Opfer von Reue verzehrt dahinsiecht« (188). Abschließend versuchen die Autoren, wieder der Tochter gerecht zu werden: »Trotz ihres Schicksals ist Jephtas Tochter diejenige, die sich in der Auslegung immer wieder auf imponierende Weise in ihrem aufrechten Gang zu behaupten weiß« (188).
Wenn ich die in diesem Buch exemplarisch vorgeführten zeitbedingten, gattungsbedingten und konfessionellen Interpretationen mit einer Macht- und Herrschaftsanalyse verbinde, die sich auf dem Hintergrund gegenwärtig in der Presse diskutierter gewalttätiger Vater-Tochter-Verhältnisse nahelegt, drängen sich mir folgende Fragen auf: Welche Wirkung und welche Funktionen haben die unterschiedlichen Interpretationen? Was bewirken sie in den Einzelnen? Welches Vater-Tochter-Bild, welche Gottesbilder und welche Theologien lassen sich mit ihnen begründen? Für die Zu­kunft wäre es wünschenswert, wenn rezeptionsgeschichtliche Untersuchungen ästhetische und ethische Aspekte der Interpretation – vor allem bei so problematischen Texten, wie Ri 11,29–40 – stärker miteinander verknüpften.