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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

279-280

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Cancik, Hubert, Schäfer, Alfred, u. Wolfgang Spickermann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Zentralität und Religion. Zur Formierung urbaner Zentren im Imperium Romanum.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. VIII, 319 S. gr.8° = Studien und Texte zu Antike und Chris­tentum, 39. Kart. EUR 69,0. ISBN 978-3-16-149155-9.

Rezensent:

Hartmut Leppin

Aus einer Fachtagung erwachsen, fragt dieser Band, »welche Bedeutung Religion für die Konstruktionen von Zentralität im römischen Reich auf der politisch-administrativen Ebene sowie im engeren Bereich der Religion selbst gehabt hat« (2). Dabei sollen Rom als Zentrum und das Verhältnis einzelner Zentren untereinander sowie städtische Unterzentren beleuchtet werden; religiöse Zentren ohne städtische Anbindung werden nicht untersucht. Der erste Teil ist systematischen Untersuchungen gewidmet, der zweite behandelt »Zentrale Orte und Stadtreligionen«.
Die Beiträge des systematischen Teils haben eine sehr unterschiedliche Ausrichtung und Reichweite: Hubert Cancik schreibt zum Thema »Caput mundi. Rom im Diskurs ›Zentralität‹«. Er verweist auf die religiösen Zeichen, die Rom als Zentrum des Reiches auswiesen und die in Kolonien und Munizipien transferiert wurden, so bei allen lokalspezifischen Besonderheiten die Verbindung von Peripherie und Zentrum herstellten. Der Beitrag zielt seinem ganzen Charakter nach nicht auf eine systematische Erfassung des Phänomens, enthält aber namentlich in den Texten aus dem jüdischen Umkreis eine Reihe hochinteressanter Beobachtungen.
Rainer Wiegels (»Zentralität – Kulturraum – Landschaft: Zur Tauglichkeit von Begriffen und Ordnungskriterien bei der Erfassung religiöser Phänomene im Imperium Romanum«) setzt sich taktvoll-kritisch mit Canciks Überlegungen auseinander. Ihm geht es darum, den nicht-religiösen Dimensionen von Zentralität zu ihrem Recht zu verhelfen, wobei er forschungsgeschichtlich argumentiert und eine Begriffsklärung versucht, mit besonderem Blick auf religiöse Landschaften. Der Beitrag gibt vielseitige Anregungen, doch leugnet der Verfasser selbst nicht die Vorläufigkeit seiner Überlegungen, die ursprünglich geplanten Fallstudien mussten bedauerlicherweise fortfallen (22).
Jörg Rüpke geht es in seinem Beitrag (»Religiöse Zentralisierung in der späten Kaiserzeit: Neue Perspektiven auf traditionelle Pries­terschaften und die Rolle des Pontifex maximus«) um die Veränderung des Verhältnisses von administrativen und religiösen Funktionen der Augusti im ausgehenden 3. und im 4. Jh. n.Chr. Die Sakralisierung des Kaisers und sein zunehmender Abstand von der stadtrömischen Aristokratie hätten den Spielraum der Pries­ter­kollegien für genuin religiöse Tätigkeiten erweitert. Die Stellung des pontifex maximus wiederum, Inbegriff der religiösen Stellung des Kaisers, sei kein richtiges Priesteramt gewesen – eine kühne, aber durchaus bedenkenswert begründete Vermutung.
Eine ikonographische Analyse legt Günther Schörner seiner Analyse des Verhältnisses von Zentrum und Peripherie zu Grunde (»Opferritual und Opferdarstellung: Zur Strukturierung von Zentrum-Peripherie-Relation in Kleinasien«), wobei er von genauen Einzeluntersuchungen ausgeht: Eine forcierte Übernahme des kaiserzeitlichen Bildprogramms sei nicht erkennbar, umgekehrt lasse sich auch kleinasiatischer Einfluss in Rom feststellen. Gerade weil er auch die Rückkoppelungseffekte zwischen Peripherie und Zentrum in den Blick nimmt, kommt diesem Beitrag eine besondere Bedeutung zu.
Katharina Waldner (»Ignatius’ Reise von Antiochia nach Rom: Zentralität und lokale Vernetzung im christlichen Diskurs des 2. Jahrhunderts«) interpretiert die Briefe des Ignatius als Dokumente, aus denen man ablesen kann, wie ein Christ des 2. Jh.s sich sozial und geographisch situierte. Durch eingehende, überaus dichte Interpretationen versucht sie zu zeigen, welche Modelle zumal aus der heidnischen Welt Ignatius für seine Selbstdarstellung aufgriff. Oft hätte man sich bei den vielfach faszinierenden Verbindungen, die sie herstellt, eine eingehendere Begründung gewünscht, deutlich ist aber, dass diese Überlegungen ein großes Potential für weitere Forschungen bieten.
Eine zentrale Grundsatzfrage stellt Rudolf Haensch (»Provinzhauptstädte als ›religiöse Zentren‹? Die Situation in Kaiserzeit und Spätantike«). Er zeigt in einer auf ungeheurer Materialkenntnis beruhenden, die Ergebnisse analytisch genau synthetisierenden Studie, dass eine provinziale Hauptstadtfunktion keineswegs notwendig eine zentrale Funktion in der Religion implizierte – das wandelte sich mit dem Christentum, das die Hauptstädte auch zu Bi­schofssitzen machte.
Es folgen mehrere recht knappe, teils im Wesentlichen Mate­rial­aufbereitungen bietende, oft auch die Vorläufigkeit der Ergebnisse betonende Beiträge: Carlos Márquez handelt über »Kaiserkult und Zentralität in Hispanien. Die drei ›Provinzhauptstädte‹ Tar­raco, Emerita und Corduba«; Wolfgang Spickermann erörtert »Mo­go­n­tiacum (Mainz) als politischer und religiöser Zentralort der Germania Superior«, wobei er gerade den Vergleich mit Köln fruchtbar macht; Alfred Schäfer diskutiert auf der Grundlage eines Katalogs einschlägiger Inschriften »Sarmizegetusa als urbanes und regionales Zentrum der Provinz Dakien«, indem er den Einfluss der stadt­römischen Ritualpraxis auf die neu gegründete Stadt hervorhebt und deren eigene zentralörtliche Funktion gerade in religiöser Hinsicht gegenüber der Provinz Dakien unterstreicht; Charalampos Tsochos thematisiert »Philippi als städtisches Zentrum Ostmakedoniens in der hohen Kaiserzeit: Aspekte der Sakraltopographie«. Schließlich erörtert Christof Berns wieder unter vornehmlich ar­chäologischem Blickwinkel das Thema »Konkurrierende Zentren. Überlegungen zur religiösen Repräsentation in Ephe­sos und den Städten der Provinz Asia in der Kaiserzeit«, wobei er auf Grund einer Analyse der Formsprache zu dem Ergebnis kommt, dass diese weniger das Ergebnis einer Orientierung auf Rom als der Konkurrenz der asiatischen Städte untereinander gewesen sei.
Der Vorzug des Bandes ist, dass er ein facettenreiches Bild vermittelt und nicht versucht, eine These durchzudeklinieren. Das wird mit einer gewissen Disparatheit erkauft, die durch einen abschließenden Artikel, der mehr hätte bieten müssen als die wenigen Bemerkungen zu den Beiträgen in der Einleitung (4–6), hätte aufgefangen werden können. So hätte es aufschlussreich sein können, die Ergebnisse der Beiträge von Schörner und Berns zueinander in Bezug zu setzen, das Verständnis von Zentralität in den verschiedenen Beiträgen abzugleichen oder aber die von Wiegels entwickelten Kategorien, auf die nur selten Bezug genommen wird, auf die Beiträge des Sammelbandes zu applizieren. Es ist kein Buch, das eine Diskussion abschließt, und will das auch gar nicht sein – viele Beiträge betonen ja die Vorläufigkeit ihrer Ergebnisse –, sondern eines, das die Diskussion weiterführt und sie beleben kann.