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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1047–1050

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Whybray, R. N.

Titel/Untertitel:

Proverbs. Based on the Revised Standard Version

Verlag:

London: Pickering; Grand Rapids: Eerdmans 1994. XXXII, 446 S. 8° = The New Century Bible Commentary. $ 19.99. ISBN 0-551-02831-9 and 0-8028-0787-9

Rezensent:

Jutta Krispenz

Das zu besprechende Buch verschließt sich dem Leser ­ buchstäblich. Läßt man nach dem Aufschlagen die Seiten los, dann klappt es zu, so daß es nur mit besonderen Tricks möglich ist, Text und Kommentar nebeneinander vor sich liegen zu haben und daneben vielleicht gar noch zu schreiben. Das ist natürlich nichts, was dem Autor anzulasten wäre, erschwert aber die Arbeit mit seinem Werk. Und arbeiten möchte der Leser schließlich mit diesem Kommentar R. N. Whybrays, dessen Werke seit mehr als dreißig Jahren eine Art cantus firmus bilden in der Auslegung des Proverbienbuches: Beginnend mit seiner Dissertation aus dem Jahr 1962 (The Concept of Wisdom in Proverbs I-IX) hat W. sich immer wieder mit diesem spröden Buch auseinandergesetzt, unter anderem in einem Kommentar (1972). In jüngster Zeit hat W. nicht weniger als drei Bücher zum Sprüchebuch veröffentlicht: "The Composition of the Book of Proverbs" (1994), "The Book of Proverbs. A Survey of Modern Study" (1995) und den hier zu besprechenden Kommentar "Proverbs" in der Reihe "New Century Bible Commentary", in der W. bereits die Bände "Ecclesiastes" und "Isaiah 40-66" veröffentlicht hat.

Die "New Century Bible Commentaries" haben zum Ziel, in verständlicher Form und orientiert am neuesten Stand wissenschaftlicher Diskussion den Text der "Revised Standard Version" (RSV) Vers für Vers zu erklären. Damit ist dem Autor für seinen Kommentar eine Struktur vorgegeben, an die W. sich auch hält. Der Orientierung an der RSV widerspricht er allerdings bereits mit dem ersten Satz des Vorwortes: "This commentary is concerned primarily with the elucidation of the Hebrew text of Proverbs (MT)." (VII). Dem deutschsprachigen Leser macht diese Aussage das Buch erst recht interessant, denn anders als in seinem Proverbienkommentar von 1972, in dem der hebräische Text fast völlig hinter der Übersetzung verschwindet, zitiert W. in diesem neuen Kommentar den hebräischen Text und diskutiert auch dessen sprachliche Probleme. Für den Leser hat das den großen Vorteil, daß W.s Ansichten zum hebräischen Text explizit vorliegen und nicht mehr erschlossen werden müssen.

Im folgenden soll versucht werden, die Ausrichtung des Kommentars zu beschreiben, ausgehend von und im Dialog mit den in der Einleitung gemachten grundsätzlichen Aussagen, wobei die Einleitungen zu den Sammlungen und zu den einzelnen Kapiteln sowie die eigentlichen Kommentare zum Text mit herangezogen werden.

In den Abschnitten A-G der Einleitung steckt Whybray den Rahmen ab, in den er die Texte des Proverbienbuches einordnet. Nach einem kurzen Abschnitt zu "Title and Place in the Canon" (A) geht W. unter der Überschrift "Proverbs as a Book of Wisdom" (B) ein auf das Ziel des Sprüchebuches. Er sieht es im Erreichen von Weisheit, weshalb das Buch zu Recht als Weisheitsbuch bezeichnet werde. Weisheit allerdings bedeute hier nicht wie sonst im AT eine bestimmte Fertigkeit ("skill" 4), sondern die Fähigkeit ein (gutes) Leben zu führen ("life-skill" 4). Die Sprüche sähen Moral und Religion als wesentlichen Teil des Strebens nach Weisheit, insofern als das Beachten moralischer und religiöser Forderungen zu Wohlstand führten, welchen jeder auf dem von den Sprüchen gezeichneten Weg erlangen könne.

Im Anschluß an diese Zielbestimmung stellt W. die Frage nach den Gruppen, die die Sprüche hervorgebracht haben können. Die wissenschaftliche Tradition bietet im wesentlichen zwei Alternativen an: die Entstehung als Volkssprichwörter im Volk Israel oder die Entstehung als literarische Werke im Zusammenhang einer literarisch gebildeten, mit ausländischer Weisheit vertrauten "upper class" (5). W. nimmt an, daß beide Ursprünge nebeneinander möglich sind, denn "the book is a compilation from a number of originally different works..." (5). Für die Abschnitte Prv. 1-9; 22,17-24,22 und ­ weniger sicher ­ 24,23-34 nimmt W. wegen des lehrhaften Charakters dieser Abschnitte an, daß sie in der Schule verwendet wurden. Ähnlich wie bei der Frage nach dem gesellschaftlichen Ursprungsort der Weisheit nimmt W. auch hinsichtlich der Schule eine vermittelnde Position ein, neigt aber letztlich dazu, dem Famulus-Modell (der Schüler wird von einem [Zieh-] Vater in familiärem Zusammenhang unterrichtet) den Vorzug zu geben vor der Vorstellung einer mit dem königlichen Hof verbundenen Schulinstitution. Die Frage, welche Auswirkung die Zuordnung der Texte zu welcher Schule auch immer auf das Verständnis der Texte hat, stellt W. ebensowenig wie die, ob denn ein lehrhafter Text immer schon auf "Schule" bezogen sein muß. Tatsächlich haben ja viele literarische Texte einen deutlich lehrhaften Charakter.

Die Argumentation W.s zur Schule bereichert die üblichen Zuordnungen des Famulus-Modelles zur Sippenweisheit und der Hofschule zu höfisch-international geprägten Kreisen um eine neue Variante: Da das Famulussystem auf die Schreiberfamilien beschränkt blieb, sei deutlich, daß es sich bei den lehrhaften Texten um "Œupper class’ material" (6) handle. Vorstellbar ist diese Variante ­ wie auch die anderen. Gerade das zeigt m. E. aber, daß das zur Verfügung stehende Material zu einer inhaltlich konturierten Darstellung der israelitischen Schule als Institution, die die Proverbien hervorgebracht und vermittelt haben soll, nicht ausreicht. Zum Abschluß dieses Abschnittes datiert W. das Buch der Sprüche als Gesamtheit in nachexilische Zeit,weist aber darauf hin, daß einzelne Teile aus der frühen Königszeit stammen können.

Die Frage nach den literarischen Beziehungen des Proverbienbuches zu nichtisraelitischen Werken, besonders solchen ägyptischer Herkunft, behandelt W. gemeinsam mit der nach der Religiosität der Proverbien unter dem Titel "Relationship to Israel’s religious traditions" (C). Die Einschätzung, die (ältere) Weisheit Israels wie auch die Ägyptens seien weitgehend säkulare Phänomene, lehnt W. ab als "...an inadequate understanding of Israel´s religion and... a somewhat inaccurate picture of the nature of the Egyptian Instructions and of the circumstances of their composition" (8). Beide, sowohl die Proverbien Israels wie die ägyptischen Lebenslehren seien am ehesten als Unterweisungen im privaten Bereich entstanden zu denken. W. geht nicht darauf ein, wie man sich dann die Weitergabe dieser Werke über einen erheblichen Zeitraum hinweg und die Kompilation der einzelnen Unterweisungen zu letztlich einem Buch ­ den Übergang vom privaten in den öffentlichen Bereich also ­ vorzustellen habe.

Die an die Darstellung des traditionsgeschichtlichen Entstehungshintergrundes sich anschließende theologische Lokalisierung der Proverbien sieht deren Platz durchaus innerhalb der Jahwereligion, nicht zuletzt deswegen, weil die Beschränkung der letztgenannten auf Geschichtstheologie eine unhistorische Verzerrung darstelle: "...in as far as wisdom thought and the historical tradition of the redeeming God constituted two totally different modes of thought, wisdom remained sui generis a theological outsider. It is now increasingly realized, that this is an exaggeration."(12). Die Parallelen zu ägyptischen Texten hält W. für weitaus weniger gewichtig und überzeugend als in der Vergangenheit angenommen. Das hindert ihn allerdings nicht, für Prv. 4,3-5 eine deutliche Ähnlichkeit mit "...some Egytian texts, notably the Kemit..." (75) festzustellen. Die Rezn. vermag zwischen Prv. 4,3-5 und der Kemit (vgl. W. Barta, Das Schulbuch Kemit, ZÄS 105 [1978], 6-14) keinerlei Ähnlichkeit festzustellen.

Mit den Abschnitten "The Forms of Speech employed in the Book" (D) und "The Structure of the Book" (E) nimmt W. zwei Themen auf, die seit einiger Zeit stärker diskutiert werden. W.s Ausführungen zur formalen Gestalt und zur Abgrenzung von Spruchgruppen bleiben m. E. hinter dem zurück, was an literaturwissenschaftlicher Vorarbeit in der atl. Wissenschaft und auch zum Sprüchebuch bereits geleistet wurde. W. registriert zwar die Veröffentlichungen hierzu, setzt sich mit deren Argumenten aber nicht auseinander. Das wird dort deutlich, wo W. in der Einleitung zu Prv. 10-22,16 auf Spruchgruppen eingeht: Er akzeptiert lediglich "... the existence of a few obvious groupings of proverbs..." (155), woraus er schließt, man müsse hier noch weiter forschen. Die Arbeit der Rezn. ­ die Whybray hier nennt ­ hatte ergeben, daß etwa die Hälfte der Sprüche in 10-22,16 und 25-29 in solchen Spruchgruppen stehen. (Insgesamt ergaben sich 36 Gruppen, wobei Gruppen mit zwei oder drei Sprüchen nicht berücksichtigt wurden.) W. lehnt diese Ergebnisse offenbar ab, ohne Argumente für seine Entscheidung anzuführen. Ebensowenig erfährt man von ihm über die Argumentation der Arbeit von van Leeuwen. Das, was W. in diesem Zusammenhang über Boström (Paronomasi i den äldre hebreiska maschallitteraturen. Lund, 1928) schreibt, ist irreführend: Boströms Ziel war es nicht, zu zeigen, daß Paronomasien verwendet werden, um Sprüche aneinander zu binden. Boström wollte zeigen, wie Paronomasien funktionieren und daß sie ein im Sprüchebuch allgegenwärtiges Phänomen sind, so daß in einem Spruch wie Prv. 25,23 eine Textänderung den Sinn des Spruches zerstört ­ eine Sicht, die W. in diesem Fall ja auch übernimmt (368).

W. setzt für die Frage nach der Zusammenstellung der Sprüche eher beim ganzen Buch und mit thematischen Kriterien an. Seine in "The Composition of the Book of Proverbs" breiter dargelegte These lautet: Anfang (1-9) und Ende (31,10-31) sind thematisch aufeinander bezogen, da in ihnen unterschiedliche Frauentypen vorgestellt werden. Eine Idee, die es sicher verdient, weiter verfolgt zu werden, auch und gerade in Verbindung mit Spruchgruppen unterhalb der Größe Sammlung.

Die Einleitung zum Kommentar wird abgeschlossen durch einen kurzen Abschnitt zu "Text and Versions" (F) und eine Gliederung des Proverbienbuches "Outline of Contents" (G). Eine eigene Gliederung, die über die in der Forschung stets vorgenommene Unterteilung in Sammlungen hinausgeht, gibt W. nur für die Kapitel 1-9, und diese Gliederung entspricht weitestgehend der in Ws. erstem Kommentar gegebenen, wie denn dieser nun vorliegende Kommentar im Vergleich mit dem ersten insgesamt ein beharrliches Weiterentwickeln von einmal gefaßten Gedanken eher belegt als dramatische Sinnesänderungen.

W.s zweiter Kommentar zum Sprüchebuch ist ein solides und informatives Werk. Lediglich im Zusammenhang mit den auf dem Umschlagtext versprochenen Informationen über die "contemporary debate" hätte man sich mehr erwarten mögen.