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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1044–1047

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fischer, Irmtraud

Titel/Untertitel:

Die Erzeltern Israels. Feministisch-theologische Studien zu Genesis 12–36

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1994. XII, 396 S., 1 Beilage gr. 8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 222. Lw. DM 148,­. ISBN 3-11-014232-5

Rezensent:

Erhard Blum

Die Grazer Habilitationsschrift behandelt schwerpunktmäßig die Genesistexte um Sara, Hagar und Abraham und möchte gegen "androzentrische" Engführungen der bisherigen Exegese diese "Frauentexte" deutlicher als solche herausarbeiten und gewichten (1 ff.). Dazu gehört auch der Vorschlag, nicht mehr von "Vätergeschichten" o.ä. zu sprechen, sondern von "Erzelternerzählungen" (= EEE).

Die Arbeit hat zwei Hauptteile, deren erster ("Vom sozialen Status der Frauen in den Erzeltern-Erzählungen") mit einer Art Bestandsaufnahme den Textanalysen vorarbeitet: Zunächst werden die Vorkommen von Frauen in den "genealogischen" Texten (Geburtserzählungen, geneal. Listen, Gebär- und Zeugungsnotizen) zusammengestellt und erläutert, ausführlicher folgende Episoden: Gen (16) 17; 18; 19Ende; 21,1 ff.; 29 f.; 35,16 ff.; 38. (Gen 18 wird dabei wohl zu frauenfreundlich gelesen. Nach F. geht es darin um die Ankündigung der Geburt Isaaks an die Mutter; die Ankündigung von einem "Sohn Saras" [v. 10.14] ist aber an Abraham gerichtet.) Die zusammenfassende Auswertung (71 f.) führt zum einen auf die große Bedeutung der Mütter, zumal in den häufigen Geburtsnotizen, zum anderen auf "die völlige Bedeutungslosigkeit der weiblichen Nachkommenschaft, der Töchter" (mit Ausnahme der Nebenlinie von Haran: 11,29; 22,23; 24,24).

Ein weiteres Kapitel in Teil I behandelt den "Soziokulturelle(n) Lebenszusammenhang der Frauen: Sitten und Rechtsüberlieferungen in den Erzelternerzählungen". In einer differenzierten Darstellung wird hier das Material zu "Ehe", "Personenrecht für Unfreie" und "Erbansprüche" zusammengestellt. Beachtung verdient auch die semantische Differenzierung zwischen schiphcha (die Sklavin im Verhältnis zur Herrin) und ´ama (die Sklavin im Verhältnis zum Mann und zur Gesamtfamilie) (92-97).

Das Hauptgewicht der Arbeit liegt jedoch auf einer Exegese der drei Ahnfraugeschichten ("Preisgabeerzählungen") in Gen 12, 20 und 26 sowie der beiden Hagarepisoden in Gen 16 und 21. Die Einzelanalyse erfolgt jeweils in den Schritten "Abgrenzung ­ Literarkritik ­ Struktur ­ Intention" (also methodisch mit einer Vorordnung der Literarkritik).

Von den Preisgabeerzählungen gilt 12,10-20 als einheitliche Einzelüberlieferung mit dem Skopos: "Die Preisgabe der Frau und ihre Rettung durch JHWH" (136). Gen 20 dagegen wird in einer komplizierten [und diskussionsbedürftigen] Literarkritik in eine Grundschicht (20G = 20,1aa¿.b. 2-3. 4b [Redeeinl.]. 5aa. 6aa [bis ha-elohim]. 7aa [bis ha-isch].b*.b. 8a¿. 9. 11. 14-15. 17b-18) und eine Bearbeitung (20B = der Rest) mit völlig unterschiedlichen Intentionen geschieden: erst die Bearbeitung trage das Thema der Gerechtigkeit Gottes und Abrahams Entschuldigungsversuch ein. In Gen 26 gilt die Verheißungsrede in 3a’-5 (dazu noch 2b) als Erweiterung. Auf der Grundlage eines eingehenden Vergleichs (190-230) werden die Texte schließlich in der genetischen Abfolge 12 ­ 20G ­ 26 ­ 20b angeordnet (mit jeweils literarischer Abhängigkeit). Für die Datierung bildet die Endgestalt von 20 (= 20B) den äußersten Fixpunkt; sie wird (mit Blum) mit 18,23 ff. zusammengesehen und nachexilisch verortet; zugleich gilt (mit Van Seters) Gen 26 insgesamt als abhängig von 20(G); 21,22 ff. An der Überlieferungsgeschichte läßt sich zugleich eine deutliche Tendenz zur "Verharmlosung des Geschehens" und "Verherrlichung des göttlichen Schutzes" ablesen (229).

Die inhaltliche Profilierung der Episoden wird durch einen Vergleich mit thematisch verwandten Frauentexten (Gen 34; 2Sam 3; 2Sam 11; Ri 19 f.) weitergeführt (230-244). Tentativ kann Gen 12 dann als "kritischer Reflex" auf die entsprechenden Daviderzählungen gedeutet werden (242 f.). Ein Blick auf ausgewählte nachbiblische Auslegungen (Jub, GenAp, GenR u.a.m.) schließlich erweist diese als Weiterführung der in der innerbiblischen Rezeptionsgeschichte angelegten Tendenzen (s.o.).

Die beiden Hagar-Erzählungen stehen ebenfalls in einer literarischen Abhängigkeit. Als ältere gilt die Grundschicht von Gen 16 (v. 3.15-16 = "P"; v. 9+10 = red. Verknüpfung mit 21,8 ff.). Ihre "Intention" wird (aus der Perspektive Hagars als der Hauptperson) doppelt bestimmt: als "Bedrückungsgeschichte" (v. 1-6*) und als "Rettungsgeschichte" (v. 7-14). (Daß dabei die ätiologische Spitze von v. 11-12 allenfalls anmerkungsweise vorkommt, resultiert wohl aus der spezifischen Fragestellung. Es bleiben freilich auch so gewisse Unschärfen, wenn etwa Saras Kinderlosigkeit zunächst als "die Problemstellung der Geschichte" bezeichnet wird [272], die Darstellung der Spannungsbögen dann aber ein ganz anderes Bild ergibt. Schön ist der Hinweis, daß mit Gen 16,13 f. die erste auf eine Epiphanie antwortende Benennung Gottes und eines Ortes von einer Frau, und zwar einer entlaufenen Sklavin erzählt wird [286 f.].)

Zu Gen 21,8 ff. arbeitet F. treffend heraus (316.327 ff.), daß diese Episode in ihrer vorliegenden Gestalt auf einen Erzählungskontext hin formuliert ist, zu dem auch 16 (außerdem 18; 19; 21,1 ff.*) gehörte. Sie rechnet sogar mit einer völlig freien Neugestaltung des Stoffes für diesen kontextuellen Ort (331). (Allerdings bleiben dabei einige Spannungen ausgeblendet. So impliziert schon der vor-P-Kontext für Ismael ein deutlich höheres Alter als für Isaak, cf. die Einführung des hohen Alters der EE in 18,11 [erst] nach Gen 16. Zugleich würden ohne den Kontext die Leser/innen bei einem Kind, das unter einen Strauch geworfen [!] wird und das dort schreiend allein liegenbleibt, kaum an einen heranwachsenden Knaben denken. Dies und noch mehr deutet eher auf einen Erzählstoff zu Ismaels Geburt.)

In der inhaltlichen Deutung liegt das Gewicht dann aber auf einem prägnanten theologischen Zusammenhang mit Gen 22, der freilich erst durch eine literarkritische Ausscheidung von 21,11-13 als Bearbeitung (301 ff.) ermöglicht wird. In der so gebildeten Grundschicht vertreibt Abraham Hagar und Ismael skrupellos und angestiftet von der um das Erbe Isaaks eifernden Sara; dem steht allein das Rettungshandeln Gottes entgegen. Mehr noch: Da 21,8 ff. und 22,1 ff. bekanntlich über signifikante Parallelen aufeinander bezogen sind, entpuppt sich in einem solchen Kontext Abrahams schreckliche Glaubensprobe von 22 als göttliche Ahndung: "Der eine Sohn wurde leichten Herzens preisgegeben, der andere muß schweren Herzens geopfert werden." (337) Die Herzlosigkeit der Erzeltern wird zur Rechtfertigung des schwierigen Gottes der Aqeda. Die Frage ist nur, ob die Literarkritik diese Theodizee zu tragen vermag. (Zu den Hauptargumenten: Die beiden Vorkommen der Volk-Verheißung in v. 13. 18b bilden eben keine "auffällige Doppelung", da sie an verschiedene Adressaten in verschiedenen Situationen ergehen; in beiden Fällen geht es um sinnvolle Motivierungen der geforderten Handlung; die fehlende Situierung der Gottesrede [21,12] hat eine genaue Parallele in 22,1 [cf. 21,14 // 22,3].)

Auch wenn eine Diskussion allgemeiner Pentateuchfragen nicht das primäre Interesse der Arbeit bildet (3), schließt sie doch konsequenterweise mit einem eigenständigen Entwurf des "literarhistorischen Kontext(es) des Abraham-Sara-Kreises" (339 ff.). Vor "P" werden drei Phasen unterschieden. Der ältesten Schicht ("frühere Königszeit") werden über eine Art Reduktionsverfahren Gen 12,10 ff.; 13*; 16G; 18*; 19 zugeschrieben. Die lockere Zusammenstellung sei durch die Themen "Land" (Abraham-Lot-Erzählungen) und "Nachkommenschaft" (Abraham-Sara-Erzählungen) geprägt; die "Hauptperson" des Ganzen stelle "eindeutig" Sara dar, die "theologische Sinndimension" "das Eingreifen JHWHs für die Frauen" (342). In einem nächsten Schritt sei dieser Komplex in einer nicht näher definierten (aber vorexilischen) Pentateuchschicht mit dem Jakobzyklus verknüpft worden (343 ff.). Auf dieser Ebene kämen (in Gen 12-26) hinzu: Gen 11,29 f.; 12,6-9; 13,1.3-4.14-17.18b; 15* (nicht genauer abgegrenzt); 20G; 21,22 ff.*; 22,20-24 sowie Kap. 26G. Erstmals seien dabei die Ahneltern des Nordens und Südens in einem Erzählkreis verbunden worden. Wesentlich werden hier die Verheißungen und deren Gefährdung in den Preisgabeerzählungen. Einer relativ späten "exilischen Bearbeitung" (357 ff.) werden schließlich die ehedem exemplarischen "J"- bzw. "E"-Texte Gen 12,1-4a und Gen 22* zugerechnet, dazu auch Gen 15*(B) und 21G (+ 16,9-10). Theologisch können in diesem Kontext nun die Linien der Wege Abrahams auf Gen 22 als Höhepunkt hin gedeutet werden: Nachdem Abraham zuvor die Menschen um sich (Sara, Hagar/Ismael) preisgegeben hatte, wird ihm nun zugemutet, den Verheißungsträger aufzugeben, damit "präsentiert Gott ihm gleichsam das Resümee seines Lebens. Mit Isaak muß er seine eigene Zukunft aufgeben, sich selber mit seiner ganzen Existenz preisgeben." (364) (Insbesondere mit der Zusammenschau von 12,1 ff. und 22,1 ff. hält die Analyse auf dieser Ebene wichtige [ältere und neuere] Einsichten fest. Fragen ergeben sich im Blick auf die Einzelabgrenzung, vor allem gegenüber der postulierten Vorstufe, z. B.: Weshalb sollte der Komplex 20G + 21,22 ff. durch 21A nachträglich aufgesprengt worden sein ­ gegen die Analogie von 26 und gegen den Zusammenhang "21A + 22*"? Sieht man [umgekehrt] in den Abimelech-Episoden einen späteren Eintrag, erübrigen sich auch die problematischen literarkritischen Scheidungen in Gen 20 und 21,8 ff.)

Die Einarbeitung der P-Stücke, insbesondere des vaterzentrierten Kap. 17, bedeutete nach Einschätzung von F. einen "Patriarchalisierungsschub", der aber durch Gen 23 gemildert werde (370). Den überlieferten Endtext der EEE verantworte schließlich eine "nachexilische Bearbeitung", welche die Bearbeitungen von 18,23 ff.; 20B; 21B sowie 22,15 ff.; 26,2 ff. hinzugefügt habe. Für diese Schicht wird eine Entlastung des Abrahambildes "zulasten des Gottesbildes" (372) konstatiert.

Mit dieser Untersuchung hat die Vfn. einen gewichtigen Beitrag zur Genesisforschung vorgelegt. Eine ihrer Stärken liegt zweifellos in den anregenden Textexegesen. Im Blick auf die neuere Pentateuchdiskussion bekräftigt sie den Eindruck, daß zumindest im Bereich der EEE (vor "P") die Befunde eher auf ein "Baustein-Modell" hinauslaufen als auf parallele Erzählfäden. Im Blick auf das "feministisch-theologische" Anliegen wird sich in der Einzeldiskussion zeigen müssen, ob hier neben notwendigen Korrekturen der Textwahrnehmungen nicht partiell auch wieder inhaltliche Engführungen stehen. Die Arbeit dürfte jedenfalls ihren Beitrag zur Verbreitung der "inklusiven" Redeweise von den "Erzelternerzählungen" leisten.