Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

239-240

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Voigt, Karl Heinz

Titel/Untertitel:

Internationale Sonntagsschule und deutscher Kindergottesdienst. Eine ökumenische Herausforderung. Von der Zeit der Anfänge bis zum Ende des Deutschen Kaiserreichs.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2007. 266 S. gr.8° = Kirche– Konfession – Religion, 52. Geb. EUR 44,90. ISBN 978-3-89971-402-9.

Rezensent:

Matthias Spenn

Beim Kindergottesdienst handelt es sich um eine der am weitesten verbreiteten Formen evangelischer Arbeit mit Kindern. Sowohl der Besuch des Kindergottesdienstes als auch die Mitwirkung als ehrenamtliche Kindergottesdienstmitarbeiter scheinen im Blick auf biographische Prägungen und Kirchenbindung von großer Bedeutung zu sein.
Der Kindergottesdienst kann in Deutschland mittlerweile auf eine mehr als 150-jährige wechselvolle Geschichte zurückblicken und ist inzwischen landeskirchlich etabliert, wenn auch die Praxis immer wieder vor den Herausforderungen der sich wandelnden Lebensbedingungen von Kindern und Familien steht. Seine Wurzeln hat der deutsche Kindergottesdienst in der angelsächsischen Sonntagsschularbeit. Allerdings gibt es dazu bisher nur wenige Arbeiten. Die Veröffentlichung von Karl Heinz Voigt erhellt diese Hintergründe »von den Anfängen bis zum Ende des Deutschen Kaiserreichs«, und zwar aus freikirchlicher Perspektive mit dem besonderen Blick auf interkonfessionelle, ökumenische und internationale Zusammenhänge und Herausforderungen.
V., Pastor und langjähriger Ökumene-Beauftragter der Evangelisch-methodistischen Kirche, hat die verfügbaren historischen Dokumente gründlich aufgearbeitet und stellt in den ersten vier Kapiteln die wesentlichen Entstehungszusammenhänge und ihre Transformationsversuche in den deutschen Kontext im 19. Jh. dar: die Sonntagsschule in England sowie in Amerika und die Be­mühungen um ihre Einführung in Deutschland durch ihre jeweiligen Protagonisten. Die Entstehung der Sonntagsschule in England ist eng verknüpft mit der dortigen Industrialisierung im 18./19. Jh., der aufkommenden sozialen Frage auf Grund der sich entwickelnden städtischen, proletarischen Kindheit mit Kinderarbeit, menschlicher Verrohung, Wandel der Familien und Bildungsferne und den theologischen und sozialen Einsichten einzelner Aktivis­ten im Umfeld der angelsächsischen Erweckungsbewegung im 19. Jh. wie Robert Raikes, John Wesley und Johann Gerhard Oncken. V. weist darauf hin, dass es in Deutschland bereits im 18. Jh. Versuche gab, säkulare Sonntagsschulen zum Zweck der Katechisierung der Kinder und der Wiederholungsübungen im Lesen und Schreiben für noch unverheiratete Schulentlassene »von Oben« einzuführen, etwa in Preußen im Jahr 1763 per Anordnung durch Friedrich den Großen. Diese Versuche waren allerdings nicht von langer Dauer. Aber auch die Versuche der Übertragung der angelsächsischen Sonntagsschule in den staatskirchlich verfassten deut­schen Kontext trafen auf große Schwierigkeiten.
Sowohl die angelsächsische Herkunft als auch die Tatsache, dass die Hauptakteure sog. theologische und pädagogische Laien, vornehmlich Frauen, waren, war sowohl aus konservativ-theologischen als auch aus emotional-nationalen Gründen suspekt. Die Machtposition der Landeskirchen gegenüber den entstehenden Freikirchen wurde in vielen Fällen nahezu rücksichtslos herausgekehrt. V. zeigt exemplarisch an der Einführung der Sonntagsschule, wie im 19. Jh. gesellschaftliche Liberalisierungs- und Pluralisierungsbestrebungen durch antimodernistische Kräfte gehindert wurden, welch schwere Hypothek aber auch auf der innerdeutschen Ökumene auf Grund der Erfahrungen freikirchlicher Ge­meinden mit staatskirchlichen und obrigkeitsstaatlichen Bedingungen lastete.
Das Anliegen der Studie ist es freilich nicht, dies aufzurechnen, sondern, ganz im Gegenteil, die zentrale Rolle der Sonntagsschulbewegung beim Aufkommen und Entstehen der ökumenischen Bewegung zu zeigen. Drei Jahre vor der Weltmissionskonferenz von Edinburgh organisierte sich im Jahr 1907 in Rom die World Sunday School Association mit Teilnehmenden aus England, Amerika, Kontinentaleuropa, Asien und Afrika. Vorläufer dieser Association waren die am Beginn des 19. Jh.s gebildete London Sunday School Union und die American Sunday School Association.
Diese Entwicklungslinien und die Bedeutung der kirchlichen Arbeit mit Kindern für die weltweite Ökumene wurden bisher kaum beachtet. Die Veröffentlichung stellt dies aus freikirchlicher Perspektive heraus und gibt gleichzeitig wichtige Anregungen für eine inhaltliche und konzeptionelle Weiterentwicklung der Praxis der Arbeit mit Kindern, indem nachdrücklich auf den wechselseitigen, untrennbaren Zusammenhang von Verkündigung, Bildung und sozialem Engagement erinnert wird, der bereits in den Anfängen der Sonntagsschul- und Kindergottesdienstarbeit eine Rolle spielte und wohl auch heute und zukünftig einen Schlüssel für konzeptionelle Weiterentwicklungen kirchlicher Bildungsarbeit und missionarischer Initiativen darstellt.