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Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

237-239

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Tanja

Titel/Untertitel:

Die Bibel als Medium religiöser Bildung.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2008. 243 S. gr.8° = Arbeiten zur Religionspädagogik, 34. Kart. EUR 28,90. ISBN 978-3-89971-427-2.

Rezensent:

Michael Fricke

Tanja Schmidt verfolgt mit ihrer im Wintersemester 2006/07 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bo­chum angenommenen Dissertation das Ziel, die »Gründe auszuleuchten, die eine Beschäftigung mit der Bibel auch im Religionsunterricht des beginnenden Jahrtausends nahe legen«, und zu zeigen, welche Funktion die Bibel »sowohl für die Identitätsbildung des Einzelnen als auch für die Kultur im Ganzen in posttraditionaler Zeit hat« (38). Dazu unterzieht S. die bibeldidaktischen Ansätze von H. K. Berg und I. Baldermann einer kritisch-konstruktiven Relektüre und entwickelt daraus eine eigene Position.
Im 1. Kapitel (13–39) zeichnet S. die Lage der Bibel- bzw. Religionsdidaktik bipolar: Auf der einen Seite stehen subjektorientierte (H. Luther) und phänomenologische bzw. kulturtheologische An­sätze (Buschmann, Gräb), die einen Hiatus zwischen Subjekt und Tradition sehen, die »prominente Rolle« der Bibel im Religionsunterricht problematisieren (28) und demgegenüber die religiöse Identitätsfindung zum Ausgangspunkt der Religionsdidaktik ma­chen. S. kritisiert hier die einseitige Ausrichtung an der Lebenswelt der Heranwachsenden und das ihres Erachtens falsch verstandene Individuationskonzept. Religionsunterricht stehe in der Ge­fahr einer »Inhaltsentleerung« (33). Einen bibeldidaktischen Gegenpol dazu bilden S. zufolge Berg und Baldermann. Auf der Basis »tatsächliche[r] Unterrichtserfahrungen« versuchten sie, »die Be­deu­tung der Bibel für die Persönlichkeitsbildung« zu erweisen (38).
Das 2. Kapitel (41–109) widmet sich Berg. Am Anfang seiner Bibeldidaktik steht die Analyse gegenwärtiger Schülerprobleme. S. würdigt dies, widerspricht jedoch Bergs These, dass »Fremdbestimmung« das Lebensgefühl von Schülern sei und sich die Hilfe zur »Selbstfindung und -bestimmung« als Perspektive der Bibellektüre ergeben müsse. Aktuelle soziologische Studien zeigten, dass Heranwachsende gerade unter dem Zwang zur Selbstbestimmung litten (73). Positiv sieht S. Bergs »Kontextdidaktik«, bei der biblischer Ur­sprungskontext und Kontext der Gegenwart erhellt werden. Die Gegenwart lese sich im Lichte der Erinnerung an die biblische Tradition von Gerechtigkeit und Befreiung. S. zieht Verbindungslinien zu J. Assmanns Theorie des kulturellen Gedächtnisses, der auf die identitätsbildende Kraft der generationsübergreifenden Erinnerung und die Gefahr des »Absolutismus der Gegenwart« hinweist (78–82). S. würdigt Bergs Vielfalt in den Methoden der Bibelauslegung, die zu einer »eigenständigen Auseinandersetzung mit der kulturellen Überlieferung« befähigen könne, kritisiert aber, dass er die Bibel zu sehr auf ihre moralische Umsetzbarkeit hin lese (109).
Im 3. Kapitel (111–168) stellt S. Baldermanns Bibeldidaktik als »Alphabetisierung in der Sprache der Hoffnung« dar. Die Arbeit mit der religiösen Sprachform der Klage sei eine wichtige »Ressource für die Identitätsentwicklung« (129). Positiv bewertet S. auch die Didaktik des Lobes. Durch sie fände die Lebensfreude der Kinder Ausdruck. Zugleich wirkten die Psalmworte (Ps 139,14) prägend auf die Kinder. S. schließt sich Baldermann darin an, dass (Selbst-) Wahrnehmung mit Sprache gekoppelt sei. Unter Rekurs auf Luhmanns Kritik der Massenmedien betont S. die Bedeutung »alternativer Identitätskonstruktionen« (147), die sich Baldermann zufolge durch die »Arbeit der Erinnerung« an biblischen Figuren und Erzählungen bilden lassen (149).
S. zieht im 4. Kapitel (169–202) Schlüsse für eine »Theorie religiöser Bildung«. Dazu unterfüttert sie Baldermanns Ansatz mit dem Konstruktivismus und der Systemtheorie Luhmanns. Das Herausbilden einer eigenen Identität erfolge zwar als Selbstsozialisation, aber ohne Kopplung an »die Sprachmuster einer konkreten Religion können Heranwachsende keinen eigenen Glauben entwi­ckeln« (193). Freilich dürfe Religionsunterricht nicht einfach Analogien zwischen Schüler und Text bilden, sondern müsse die Schüler »mit den ihnen fremden Kommunikationsformen vertraut machen« (180).
Im Schlusskapitel (203–226) konturiert S. ihre Position. Sie warnt vor einer übersteigerten »Thematisierung des Selbst« im Religionsunterricht und der Erwartung, Massenmedien könnten das »herausragende Medium der Bildung von religiöser Individualität« sein (203 f.). Da Heranwachsende diese »nur in Auseinandersetzung mit den angebotenen Deutungsmustern« ihrer sozialen Umwelt fänden, stelle sich die Frage nach der Qualität dieser Umwelt. Die Bibel biete Sprachformen, die das kulturelle und religiöse Gedächtnis pflegen und seelsorgerliche Dimensionen im Religionsunterricht ermöglichen, sie fördere die »Genese religiöser Individualität« (217). S. widerspricht überzeugend der These, diese Genese sei Resultat einer Wahl aus einem vielfältigen Sinnangebot. Empirische Studien zeigten, dass die Abwesenheit von prägenden Inhalten nicht zu religiöser Individuierung, sondern zu Indifferenz und Sprachlosigkeit führe (221 f.).
Insgesamt liegt eine gehaltvolle und kluge, engagierte und anregende Studie vor, die Stärken sowie blinde Flecken der beiden Nestoren der modernen Bibeldidaktik herausarbeitet und (neu) aufzeigt, warum die Bibel für die religiöse Bildung elementar ist.