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Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

236-237

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Jahnel, Claudia

Titel/Untertitel:

Religion lernen. Die Bedeutung von Religion in schulischer Bildung in den USA – Impulse für die Diskussion in Deutschland.

Verlag:

Neuendettelsau: Erlanger Verlag für Mission und Ökumene, 2007. 464 S. 8° = Missionswissenschaftliche Forschungen. Neue Folge, 23. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-87214-353-2.

Rezensent:

Rolf Schieder

In den letzten Jahrzehnten ist die Vielfalt schulischer Bemühungen um religiöse Bildung in Europa vielfach untersucht und dargestellt worden. Es fehlte eine gründliche Darstellung der religionspä­dagogischen Debatten in den USA. Diese Lücke wird durch diese kenntnisreiche, umfassende und detaillierte Untersuchung ge­schlossen – wenn man auch bedauern mag, dass die gerade in den letzten Jahren von Stephen Prothero unter dem Stichwort »Religious Literacy« erfolgreich angefachte Debatte nicht mehr eingearbeitet werden konnte. Dafür sind die Kapitel über Horace Mann und John Dewey ausgezeichnet, ebenso die Darstellung der religionspädagogischen Debatten von den 60er bis in die 80er Jahre, die unter dem Eindruck der restriktiven Rechtsprechung des Supreme Court standen, sowie das neue anhaltende öffentliche und poli­tische Interesse an »teaching about religion« seit den 80er Jahren.
Weil ohne Kenntnis der religionsrechtlichen Bedingungen die Debatte über religiöse Erziehung an öffentlichen Schulen in den Vereinigten Staaten von Amerika schlechterdings unverständlich ist, widmet J. den rechtlichen Auseinandersetzungen über die Präsenz des Religiösen an den Schulen mehr als 60 Seiten ihrer 400-seitigen Untersuchung. Wer sich über religionspädagogische Problemstellungen in den USA in historischer Perspektive kundig machen will, dem sei diese Studie dringend zur Lektüre empfohlen.
Als Religionswissenschaftlerin legt J. ihr besonderes Augenmerk auf den jeweils zu Grunde liegenden Religionsbegriff, den sie selbst heuristisch und diskursiv offengehalten sehen möchte, der aber oft genug entweder zivilreligiös instrumentalisiert oder als individualisierte Religiosität privatisiert worden ist. Religiöse Erziehung an den Schulen als Erlernen einer »Zweitsprache« könnte eine Alternative zur Banalisierung und Vereinnahmen des Religiösen sein.
Während die Kapitel über religiöse Bildung in den Vereinigten Staaten dem rezensierenden Religionspädagogen viel zu entdecken und zu lernen gaben, machte ihn J.s Versuch, aus der Darstellung der Debatte in den USA »Impulse für die Diskussion in Deutschland« zu generieren, ratlos. Denn die religionspolitischen, religionsrechtlichen und religionskulturellen Bedingungen in den USA sind so grundlegend von denen in Deutschland verschieden, dass sich die Vorstellung eines religionspädagogischen Transfers verbietet. Wenn es denn ein Alternativmodell gibt, das Anregungen für die schulische Religionspädagogik in Deutschland bereithält, dann ist es das englische Modell des »learning about religion« und des »learning from religion«.
Auch scheint mir die gegenwärtige Lage in Deutschland nicht recht erfasst zu sein, wenn man das brandenburgische Schulfach LER immer noch als »heißes Eisen« apostrophiert und daraus die Notwendigkeit einer Neubestimmung des Verhältnisses von Er­ziehungswissenschaften, Religionswissenschaften und Religionspädagogik ableitet. LER ist kein heißes Eisen mehr, es ist zu einer regionalen Marginalie geworden. J.s Ansicht, dass der Religionsunterricht nach Artikel 7 (3) zwar »noch« Bestand habe, durch LER aber ins Wanken geraten sei, hat an den religionspolitischen und religionspädagogischen Realitäten in der Republik keinen Anhalt. Die Anmeldungen zum konfessionellen Religionsunterricht im Land Brandenburg steigen trotz sinkender Schülerzahl kontinuierlich. Schulen in kirchlicher Trägerschaft in Berlin und Brandenburg können sich vor Anmeldezahlen kaum retten. Das wirklich »heiße Eisen« im Nordosten der Republik ist das neue Unterrichtsfach »Ethik« im Land Berlin, das ursprünglich »Wertekunde« heißen sollte. Bemerkenswert ist, dass der Senat von Berlin weder die Erziehungswissenschaften noch die Religionswissenschaften mit der Entwicklung des Lehrplans beauftragt hat, sondern die Philosophie. Von einem religionskundlichen Modell müssen die Religionswissenschaften also nicht notwendig profitieren. Wie überhaupt zu vermelden ist, dass sich die real existierende Bildungspolitik von filigranen Modellen der Beziehung zwischen möglichen religionspädagogischen Bezugswissenschaften in missionswissenschaftlichen Dissertationen nur wenig beeindrucken lässt.