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Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

233-234

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Büttner, Gerhard, u. Hanna Roose

Titel/Untertitel:

Das Johannesevangelium im Religionsunterricht. Informationen, Anregungen und Materialien für die Praxis.

Verlag:

Stuttgart: Calwer Verlag 2007. 175 S. m. zahlr. Abb. gr.8°. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7668-3937-4.

Rezensent:

Christian Cebulj

Der Ausgangspunkt des hier vorzustellenden Bandes von Gerhard Büttner (Religionspädagoge an der Universität Dortmund) und Hanna Roose (Neutestamentlerin an der Universität Lüneburg) ist so einfach wie bestechend: Mit Recht diagnostiziert das Autoren-Tandem, das Johannesevangelium spiele in Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien die Rolle eines Lückenbüßers, da es vorzugsweise dann herangezogen werde, wenn keine synoptische Parallele exis­tiere. Beliebt seien als johanneische Texte einzelne Ich-bin-Worte, allen voran dasjenige vom guten Hirten (Joh 10,11), sowie einzelne Wundergeschichten, etwa die Hochzeit zu Kana (Joh 2,1–12) und die Auferweckung des Lazarus (Joh 11,1–44). Ferner würden aus dem Kontext der Ostererscheinungen häufig die Begegnung des Auferstandenen mit Maria von Magdala (Joh 20,11–18) und mit dem kleingläubigen Thomas (Joh 20,24–29) zitiert. Die didaktische Verwendung von Evangelientexten in Unterrichtsmaterialien folge, so konstatieren die Vf., einer Art »Patchwork-Technik«, die einzelne Bausteine aus unterschiedlichen Evangelien kombiniert und zu einem »Jesus-Mosaik« zusammensetzt. Dass das erzählerische »Gerüst« des Markus dabei mit Textstücken aus den übrigen Evangelien aufgefüllt werde, erinnere in gewisser Weise an die alten Evangelienharmonien (11).
Diese zutreffende Diagnose verknüpfen die Vf. mit der gleichermaßen überzeugenden Problemanzeige, dass die beschriebene Vorgehensweise die didaktische Gefahr einer Einebnung der unterschiedlichen christologischen Konzeptionen der Evangelien berge. Diese künstliche Vereinheitlichung entspreche jedoch nicht der theologischen Vielgestaltigkeit der Evangelien, die als unterschiedliche Glaubensdeutungen in einem je konkreten Entstehungskontext verstanden werden müssten. Biblische Texte würden so den Anspruch erheben, »Tatsachenberichte« zu sein, und wollten im Sinne eines »So war es damals« verstanden werden. Für die Bibeldidaktik ziehen die Vf. daraus den richtigen Schluss, dass solche Berichte im Religionsunterricht dann entweder hingenommen oder – gerade von älteren Schülern und Schülerinnen – als unglaubwürdig abgelehnt werden.
Gegen alle Tendenzen einer Evangelienharmonie formulieren die Vf. die plausible Forderung, die Vielstimmigkeit der Evangelien stark zu machen, da sie genau der gesellschaftlichen Pluralität entspricht, die auch den Verstehenskontext heutiger Schüler im Religionsunterricht bildet. Würden die Evangelien und ihre verschiedenen christologischen Konzeptionen im Religionsunterricht als unterschiedliche christliche Deutungsangebote ins Spiel gebracht, enthielte gerade das Johannesevangelium die interessante Lernchance, die christologische Sprachfähigkeit von Kindern und Ju­gendlichen zu fördern (13).
Soweit die zentrale These des Bandes, die viel Plausibilität für sich beanspruchen kann. In der ›didaktischen Grundlegung‹ (19–64) benennen die Vf., ohne die historisch-kritische Zugangsweise generell desavouieren zu wollen, das Anknüpfen an der Letztgestalt und die Dekonstruktion als zwei synchron orientierte Zugangsweisen zum Johannesevangelium. In der Linie von Ludger Schenke verstehen sie das Johannesevangelium als Drama im Sinne eines Theaterstücks, das seine Besucher zu verschiedenen Reaktionen herausfordern will. Von Derrida übernehmen die Vf. den post­strukturalistischen Gedanken der prinzipiellen Unabschließbarkeit der Interpretation. Dabei sind sie der Auffassung, der Zuordnungsprozess zwischen dem Text und seiner Bedeutung, der im dekonstruktiven Ansatz immer wieder neu vollzogen werden muss, eigne sich gut für die unterrichtliche Verwendung.
An dieser Stelle kommt m. E. zu wenig zur Sprache, dass dekonstruktive Zugänge für die bibeldidaktische Arbeit gleichermaßen reizvoll wie problematisch sind. Die dekonstruktive Hermeneutik ist eigentlich ja eine ›Anti-Hermeneutik‹, die für die bibeldidaktische Arbeit nur von begrenzter Reichweite ist, da sie gerade nicht auf die Generierung von ›Sinn‹ abzielt, sondern auf den Aufweis von Brüchen und Diskontinuitäten. So kritisieren die Vf. zwar mit Recht den bibeldidaktischen Ansatz von Kropac (29), der Dekonstruktion auf die ›Verfremdung‹ von Texten reduziert und damit nicht eigentlich im Sinne Derridas verwendet. Wenn die Vf. Dekonstruktion andererseits als ›Offenheit gegenüber dem Text‹ verstehen, die Kinder und Jugendliche für die Sprache und Denkwelt des Johannesevangeliums sensibilisieren soll, dann wird der Begriff ebenfalls verkürzt gebraucht. Wer sich dekonstruktiv an theologische Texte heranwagt, um ihnen einen ›Sinn‹ abzugewinnen, muss damit rechnen, dass in diesem Moment die ›Theologenfalle zu­schnappt‹, wie Andrea Schütte das schön formuliert hat. Dass auch der vorliegende Band von dieser Gefahr nicht frei ist, sind die einzigen Bedenken, die dem Rezensenten nach der Lektüre des sonst so eindrucksvollen Bandes zurückbleiben.
Das Herzstück des Bandes bildet der Gang durch neun ausgewählte Szenen des Johannesevangeliums (65–168): das Gespräch am Jakobsbrunnen (Joh 4), der Gelähmte und der Blindgeborene (Joh 5; 9), die Ich-bin-Worte vom Brot und vom guten Hirten (Joh 6; 10), ein Stück Abschiedsrede (Joh 14,18), zwei Passionsabschnitte (Joh 18; 19) und zwei Osterpassagen (Joh 20; 21). Zu jeder Szene werden exegetische Sachinformationen und didaktische Überlegungen geboten, die mit Darstellungen aus der Kunst, Rahmenerzählungen und Arbeitsvorschlägen für den Unterricht ergänzt werden. Ungeachtet der oben skizzierten hermeneutischen Bedenken ha­ben die Vf. einen sehr wichtigen Band vorgelegt. Denn wo sich z. B. kindertheologisch eine neue Wahrnehmungsfähigkeit für poetische und metaphorische Zugänge beobachten lässt, kann der Versuch, das Johannesevangelium aus der unverdienten Ecke der Nichtbeachtung in die bibeldidaktische Arbeit zurückzuholen, nicht hoch genug geschätzt werden.