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Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

231-232

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Stork-Denker, Katharina

Titel/Untertitel:

Beteiligung der Gemeinde am Gottesdienst.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2008. 239 S. gr.8° = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 35. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02607-4.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Die Arbeit ist eine bei Christian Grethlein in Münster angefertigte Dissertation (Wintersemester 2006/07), die das erste Kriterium des »Evangelischen Gottesdienstbuches« von 1999 auf dem Wege von Literaturstudien und mit einer kleinen empirischen Erhebung (einem Schreibaufruf) untersucht.
Im ökumenischen Horizont wird dazu im ersten Kapitel die »participatio actuosa« als Prinzip der Konzilskonstitution Sacrosanctum Concilium von 1963 einschließlich ihrer langen Vorgeschichte in der liturgischen Bewegung beschrieben (16–59). Dabei wird festgestellt, dass schon in diesem ersten Konzilsdokument ein Kirchenbild vorliegt, »für das die Spannung zwischen hierarchisch-klerikalen und gemeinschaftlichen Elementen« konstitutiv ist (31, vgl. 39 zu Lumen Gentium). Aus evangelischer Sicht gilt dabei auf jeden Fall, dass durch die besondere Funktion des geweihten Vorstehers die tätige Teilnahme der Gläubigen eingeschränkt ist (56).
Im zweiten Teil (60–128) wird die Entwicklung des Prinzips »Gemeindebeteiligung« in der evangelischen Kirche beschrieben; die Stationen sind hier Schleiermacher, die ältere und jüngere liturgische Bewegung, Rudolf Otto, Wilhelm Stählin, Peter Brunner und die Agende I von 1955/1959, bis hin zum Evangelischen Gottesdienstbuch selbst. Die verschiedenen Theorien tendieren der Vfn. zufolge dazu, etwas »Eigentliches« in der Liturgie anzunehmen; dies ist etwa für Schleiermacher die Predigt und für Josef Ratzinger (Der Geist der Liturgie, 2000) die oratio, das eucharistische Hochgebet (64). Gemeinsam ist diesen beiden so unterschiedlichen Sichtweisen aber, dass sie die Teilnahme auf ein inneres Dabeisein, auf das Zuhören bzw. auf die Anbetung reduzieren (64). Es fällt auf, dass weder das Evangelische Gottesdienstbuch noch dessen Ergänzungsband die Unterscheidung zwischen aktiver Mitwirkung und innerer Beteiligung trifft (116). Im Gegenüber zum katholischen Verständnis von participatio actuosa spielt im Evangelischen Gottesdienstbuch der Lebens- und Erfahrungsbezug eine größere Rolle (122); ungeklärt bleibt jedoch hier der Beteiligungsbegriff, ebenso wie der Gemeindebegriff: Wer ist mit der »ganzen Gemeinde« gemeint – die versammelte Gemeinde, die gesamte Kirchengemeinde oder die Gremien? Sinnvoll ist es darum, vier Ebenen von Beteiligung zu unterscheiden: die organisatorische, die liturgische, die die Liturgie reflektierende und die bildungsbezogene Ebene von Beteiligung (127 f.).
Im dritten Teil (129–202) hat die Vfn. Äußerungen von Gemeindegliedern ausgewertet, die auf ihren Schreibaufruf positiv reagiert hatten. Dabei sollten die Befragten Erinnerungen an besuchte Gottesdienste, das Vorkommen ihrer spezifischen Lebenserfahrungen darin, ihre eigene Rolle in der Liturgie sowie ihre Vorlieben zu Musik, Raum, Zeit und Sprache des Gottesdienstes zusammentragen (Text des Aufrufs in Anlage 1, 223–225). Wenn auch der Kreis der möglichen Probanden (durch die Verteilung über bekannte Pfarrerinnen und Pfarrer in Westfalen) begrenzt war, so überrascht dennoch der sehr geringe Rücklauf von lediglich sechs Briefen (zwei Männer und vier Frauen).
Umso überraschender ist es jedoch, dass es trotzdem zu sehr aussagekräftigen Ergebnissen kommt. Im An­schluss an Herbert Lindners Gemeindetheorie (Kirche am Ort, Stuttgart 2000) nutzt die Vfn. zwar eine Typologie (Gemeindechris­tentum, Engagierte, Familienreligion, Auswahlchristentum), doch es wird deutlich, dass die sechs Probanden nur sehr begrenzt diesen Typen zuzuordnen sind, weil sie sich sehr unterschiedlich äußern. Besonders die in der praktisch-theologischen Literatur bisweilen getroffene Un­terscheidung zwischen gemeindenahem und kasualbezogenem Gottesdienstbesuch erweist sich als wenig hilfreich. Die besonderen Eigenarten der einzelnen Personen kommen so kaum zum Ausdruck.
So handelt es sich bei »Frau B.« um eine sich selbst als nicht glaubend bezeichnende Teilnehmerin an vielen Gottesdiensten, die vor allem Kasualien als bedrängend erlebt: »Der Anteil, der Glauben voraussetzt, ist aber gerade in diesen Gottesdiensten sehr hoch und ich sehne nur das Ende herbei, insbesondere wenn komplizierte Lieder von einer unfähigen Gemeinde ›gesungen‹ werden« (228). Auch die anderen fünf Probanden lassen sich mit der zuvor eingeführten Typologie schwer fassen – allein dieses Ergebnis rechtfertigt das Vorgehen der vorliegenden Arbeit. Gerade wegen der festgestellten Besonderheiten wäre es jedoch hilfreich gewesen, wenn noch mehr Menschen zu Worte gekommen wären, zumal drei der ausgewerteten Personen wahrscheinlich von Erfahrungen mit dem­selben Pfarrer berichten.
Die Studie wirft auf jeden Fall die Frage auf, inwieweit die allgemein verwendete Kategorisierung (kasualbezogene, sonntagsbezogene und sonderformenbezogene Teilnahmepraxis am Gottesdienst) ausreichend ist. Offensichtlich führt die individuelle Le­bensgeschichte zu Wünschen und Abneigungen, die daraus nicht abgeleitet werden können. Erneut bestätigt wird durch alle Probanden die besondere Rolle der verständlichen und persönlich wie religiös authentischen Predigt (was gerade auch für die nicht glaubende »Frau B.« gilt, 157). Das ist das letzte, zwar nicht überraschende, aber durchaus folgenreiche Ergebnis der Studie: Das Nachdenken über den guten Gottesdienst führt nicht an der Ho­miletik vorbei.