Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

216-217

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wintzek, Oliver

Titel/Untertitel:

Ermächtigung und Entmächtigung des Subjekts. Eine philosophisch-theologische Studie zum Begriff Mythos und Offenbarung bei D. F. Strauß und F. W. J. Schelling.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2008. 325 S. gr.8° = ratio fidei, 35. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-7917-2116-3.

Rezensent:

Malte Dominik Krüger

Gegenwärtig wird in der deutschsprachigen katholisch-systematischen Theologie der Deutsche Idealismus gern rezipiert, um fundamentaltheologische Fragestellungen zu bearbeiten. In diesen Kontext gehört auch die Arbeit von Oliver Wintzek. Mit ihr möchte W. einen Beitrag zu der Gotteslehre leisten, die vor der Alternative steht: Entweder ist Gott das Produkt des Menschen oder der Mensch ist das Produkt Gottes. Die Rede von der »Ermächtigung« und »Entmächtigung« des menschlichen Subjekts bringt dies auf den Begriff. Dieser alternativen Rede entsprechen nach W. auf klassische Weise die Theorie von David Friedrich Strauß und die Spätphilosophie von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. So sieht Strauß das Christentum als menschengemachten Mythos an. Der späte Schelling hingegen lehrt auf dem spekulativen Niveau des Deutschen Idealismus die freie Schöpfung und Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Für Schellings Spätphilosophie votiert W. in seiner Studie, die sich in vier Kapitel gliedert.
Das erste Kapitel entwickelt die Fragestellung (13–28): Die »his­torische Frage« als Frage nach der historischen Wahrheit der Evangelien thematisiert grundsätzlich das Verhältnis des neuzeitlichen Subjekts und seiner Vernunft zum mythisch erscheinenden Stoff der Evangelienüberlieferung. Klassisch und prägnant stellt Strauß diese Frage. Klassisch und prägnant antworten Rudolf Bultmann und Kurt Hübner: Bultmann vertritt das Programm der Entmythologisierung, um das Kreuz Christi als echten Anstoß freizulegen, dem der Glaube in einem existentiellen »Sprung« trauen darf. Hübner dagegen erkennt in dem Mythos eine aktuell legitime Erkenntnisweise, die das erkennende Subjekt in der Wirklichkeit des erkannten Gottes lokalisiert.
Das zweite Kapitel gilt Strauß (29–159). Detailliert zeichnet W. den Werdegang von Strauß nach und macht so etwa plausibel, inwiefern Schleiermachers Christologie dem rationalen und spekulativen Anspruch von Strauß nicht genügen kann. In diesem Zusammenhang wird auch die Orientierung von Strauß an Schelling und Hegel einsichtig. In den Mittelpunkt rückt W. die Interpretation des »Lebens Jesu«. Den spekulativ entscheidenden Punkt sieht W. darin, dass Strauß die Theorie Schellings von der intellektuellen Anschauung missversteht und in dieser missverstandenen Form zum spekulativen Schlüssel seiner Deutung werden lässt: An die Stelle der Selbstvergegenwärtigung des Absoluten in der endlichen Subjektivität bei Schelling tritt bei Strauß der Standpunkt der endlichen Subjektivität. Entsprechend setzt Strauß letztlich das Endliche in seinem Fortgang mit der Erscheinung des Absoluten gleich. Ausdrücklich stimmt W. dem Urteil des späten Schelling zu, der darin einen Mangel an Geist erblickt.
Das dritte Kapitel wendet sich Schellings Spätphilosophie zu (160–293), deren Interpretation W. vorbereitet, indem er kenntnisreich Schellings Entwicklungsgang darstellt. So spricht Schelling in seiner Erlanger Zeit nicht mehr von der intellektuellen An­schauung, sondern von der »Ekstase« der Vernunft: Die Vernunft erkennt im Anderen ihrer selbst ihren Grund. Dieses Andere ist das Absolute. Genau diese Einsicht kommt in Schellings Spätphilosophie mit dem Wechsel von der sog. negativen zur positiven Philosophie zum Zug: Nachdem die reine Vernunft ihre eigene Grundlosigkeit eingesehen hat, ist ein plausibler – und insofern keineswegs irrationaler und paradoxer – »Sprung« auf den Standpunkt des Absoluten möglich, von dem aus die Welt in ein neues Licht getaucht wird. In dieser Perspektive erscheint Gott als Freiheit, die Welt als Schöpfung und die Mythologie als ein Durchgangsstadium der in Jesus Christus wiederhergestellten Integrität des Menschen. Entscheidend ist die Einsicht: Die endliche Subjektivität des Menschen kann nicht wirklich frei sein, wenn sie nicht in der unendlichen Subjektivität und Freiheit Gottes ihren bleibenden Grund findet. Diese Einsicht Schellings deutet W. als christliche Mystik bzw. »christlichen Ontologismus« (vgl. 289 ff.): Die endliche Subjektivität gründet in dem Sein mit der unendlichen Subjektivität, wie es in Jesus Christus erschlossen ist.
Das vierte Kapitel führt die Interpretationen von Strauß und Schelling vor dem Hintergrund der ursprünglichen Fragestellung zusammen (294–305): Hinter der »historischen Frage« nach dem mythisch erscheinenden Stoff der Evangelien steht in Wahrheit die Frage nach dem Verhältnis von endlicher und unendlicher Subjektivität. Diesem Verhältnis wird man nach W. nicht gerecht, wenn man mit Bultmann für einen irrationalen Sprung des Glaubens plädiert oder mit Hübner faktisch die Problematik des Verhältnisses beiseiteschiebt. Doch auch die Lösung von Strauß ist – wie gezeigt – für W. unbefriedigend. Vielversprechend erscheint W. Schellings Spätphilosophie, der er herrliche Tage prophezeit.
Insgesamt legt W. eine gut lesbare Studie zu dem Verhältnis von Strauß und Schelling vor. Dabei hilft ein Personenregister, die zahlreichen auch biographischen Bezüge nachzuvollziehen. Mitunter gerät die argumentationsanalytische Rekonstruktion der Referenztexte in den Hintergrund. Doch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Studie zu dem Verhältnis von Strauß und Schelling Standards setzt und einen diskutablen Beitrag zur »historischen Frage« liefert.